Samstag, Oktober 5

Was ist wichtiger: die Bundeskasse oder ein Steuerprivileg für Hoteliers? Die Schuldenbremse oder Exportsubventionen? Eine schwarze Null oder die Armee? Die bürgerlichen Parteien haben Pläne, welche die Löcher in der Bundeskasse noch vergrössern würden.

Die Zeit der Vorgeplänkel ist vorbei. Diese Woche will der Bundesrat den geheimnisumwitterten Bericht seiner externen Finanzexperten veröffentlichen. Erwartet wird eine lange Liste unpopulärer Vorschläge von möglichen Sparmassnahmen, Kürzungen oder Streichungen über Aufgabenverschiebungen an die Kantone bis zu Mehreinnahmen, höheren Steuern oder Abgaben. Das Ziel ist klar: Indem Bundesrat und Parlament einen Teil der Massnahmen umsetzen, sollen sie es schaffen, die Bundeskasse rechtzeitig wieder ins Lot zu bringen und die drohenden Defizite ab 2026 zu verhindern.

Nur: Um wie viel Geld geht es nun eigentlich? Wie gross sind die Lücken in den Bundesbudgets der nächsten Jahre, die mit tieferen Ausgaben oder höheren Einnahmen verhindert werden müssen? Das ist nicht so klar, wie man meinen könnte. Es gibt zwar den offiziellen Finanzplan des Bundesrats, aber dieser basiert zurzeit auf noch grösseren Unsicherheiten als normalerweise.

Und wenn plötzlich 5 Milliarden fehlen?

Der aktuelle Finanzplan umfasst die Jahre bis 2028. Berücksichtigt man die neuen Zahlen und Vorentscheide zur AHV, die mittlerweile vorliegen, dürfte das drohende Defizit im Jahr 2028 rund 2,9 Milliarden Franken betragen. Eine Reihe wichtiger Streitfragen ist aber noch offen. Je nachdem, wie die Entscheide ausfallen, könnte das Defizit auf 5 Milliarden anwachsen.

Das wäre eine andere Dimension. Innerhalb von vier Jahren Korrekturen von 5 Milliarden zu erreichen, wäre – gelinde gesagt – ehrgeizig. Ob das ohne Steuererhöhung machbar wäre, ist fraglich. Als Anhaltspunkt: Die Expertengruppe hat den Auftrag, Kürzungen vorzuschlagen, mit denen man ab 2027 mindestens 3 Milliarden sparen kann und ab 2030 mindestens 4 Milliarden. Ob das reicht, wenn die Lücke bereits 2028 auf 5 Milliarden anwächst?

Wie viel Geld wirklich fehlen wird, hängt stark davon ab, was das Parlament im Fall der AHV und der anderen offenen Streitfragen beschliessen wird. Das macht die Sache politisch spannend: National- und Ständerat haben es selbst in der Hand, zu entscheiden, wie stark sie die Fehlbeträge anwachsen lassen wollen, die sie danach mühsam wieder kompensieren müssen.

Eines zeichnet sich ab: Die Spardebatte wird primär die bürgerlichen Parteien ins Dilemma stürzen. Im Gegensatz zur Linken werden SVP, FDP und Mitte immer wieder abwägen müssen, was ihnen wichtiger ist – konkrete Ausgaben und Subventionen oder die Bundeskasse und die Schuldenbremse. Eine Übersicht zu den delikaten Fragen:

Steuerprivileg für Hotels: 270 Millionen Franken

Noch immer gilt bei der Mehrwertsteuer ein «Sondersatz für
Beherbergung», der nur 3,8 statt der üblichen 8,1 Prozent beträgt. Dieses Steuerprivileg der Hotelbranche war ursprünglich als Übergangslösung gedacht, hat sich aber längst zum Providurium entwickelt. Mittlerweile ist es sechsmal befristet verlängert worden. Die jüngste Frist endet 2027. Folgerichtig rechnet der Bundesrat im Finanzplan damit, dass ab 2028 auch die Hotels Steuern gemäss Normalsatz abliefern. Dies würde rund 270 Millionen Franken zusätzlich in die Kasse spülen – Geld, das der Bund gerade dringend braucht.

Doch die betroffene Branche setzt sich zur Wehr. Sie will den Sondersatz noch ein siebtes Mal verlängern lassen. Zu diesem Zweck haben die SVP-Ständerätin Esther Friedli und der Mitte-Nationalrat Philipp Matthias Bregy bereits identische Vorstösse eingereicht, sie werden von Parlamentariern aus allen bürgerlichen Parteien inklusive FDP unterstützt. Halten sie am Sondersatz fest, müssen die Kürzungen oder Mehreinnahmen unweigerlich grösser ausfallen. Der Ständerat entscheidet nächste Woche über den Vorstoss.

Rückerstattung von Zöllen: 230 Millionen Franken

Hier liegt bereits ein erster Entscheid vor: Der Nationalrat will im Rahmen der Revision des Zollgesetzes bestehende Exportsubventionen ausbauen. Der Bundeskasse entzöge er damit gesamthaft Einnahmen von 230 Millionen Franken im Jahr. Die Sache blieb bisher weitgehend unbeachtet, nun aber – angesichts der knappen Finanzen – dürfte sich dies ändern.

Zur Debatte stehen Einfuhrzölle auf landwirtschaftlichen Produkten, die der Bund teilweise rückerstattet, um den Export verarbeiteter Lebensmittel zu erleichtern. Diese Rückzahlungen sollen nun ausgebaut werden, indem der Bund etwa auf Einnahmen aus der Versteigerung von Zollkontingenten verzichtet. Im Nationalrat haben sich SVP, FDP und Mitte hinter diesen Plan gestellt. Im Ständerat formiert sich nun aber Widerstand. Wie die Sache ausgeht, ist offen.

Schnellere Nachrüstung der Armee: 1,2 Milliarden Franken

SVP, FDP und Mitte sind sich einig, dass sie das Armeebudget schneller erhöhen wollen als bisher vorgesehen. Aber noch immer ist kein mehrheitsfähiger Plan in Sicht, mit dem sie das Ziel erreichen könnten. Der aktuelle Finanzplan sieht bereits ein relativ starkes Wachstum vor: Das Budget der Armee soll von heute 5,7 auf 6,9 Milliarden Franken im Jahr 2028 steigen. Geht es nach den bürgerlichen Parteien, müssen es 8,1 Milliarden sein.

Der Streit dreht sich um den Zielwert, den das Parlament definiert hat: Künftig soll 1 Prozent des Bruttoinlandprodukts in die Armee fliessen. Dieses Ziel wird mit dem aktuellen Finanzplan erst 2035 erreicht, die bürgerlichen Parteien wollen es bereits 2030 umsetzen. Der Ständerat hat sich für die schnellere Variante ausgesprochen; in der Herbstsession, die nächste Woche beginnt, dürfte der Nationalrat nachziehen. Offen bleibt, woher das Geld kommt.

Die drohenden Lücken in der Kasse würden allein durch diesen Entscheid von 2,9 auf 4,1 Milliarden wachsen. Die SVP will dies voll über Ausgabenkürzungen kompensieren, was bisher nicht mehrheitsfähig war. Zur Debatte steht auch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer für die Landesverteidigung. Einen ersten Entscheid über diesen Ansatz fällt der Ständerat ebenfalls in der bevorstehenden Session.

Bundesbeitrag an die AHV: 400 Millionen Franken

Neben der Armee ist es vor allem die AHV, die den finanziellen Stress auslöst: Weil der Bund einen Fünftel der Ausgaben des Sozialwerks bezahlen muss, führt zum einen die anhaltende Pensionierungswelle zu stark steigenden Lasten, zum anderen kommt auch noch die 13. Rente hinzu. Um die Folgen zu mildern, will der Bundesrat den Beitrag leicht senken (von 20,2 auf 19,5 Prozent). Das klingt nach wenig, macht aber 400 Millionen im Jahr aus.

Mit anderen Worten: Wenn der Bundesrat mit seinem Vorschlag scheitert – und damit ist nach den Verlautbarungen der Parteien zu rechnen –, fallen die Fehlbeträge noch einmal um 400 Millionen grösser aus. In diesem Fall kommt der Widerstand nicht nur aus dem bürgerlichen, sondern auch aus dem linken Lager. Allerdings hat die Linke im Gegensatz zu den Bürgerlichen keinerlei Mühe, für den Bund oder die AHV höhere Abgaben zu verlangen.

Enttäuscht werden all jene, die gemeint hatten, die Korrektur der AHV-Ausgaben, die im August so viel zu reden gab, werde die Finanzprobleme des Bundes lösen. Die Entlastung beträgt «nur» 150 Millionen im Jahr 2028.

Und wenn das EU-Paket kommt?

Daneben gibt es ein weiteres Thema, bei dem noch vieles offen ist, das im Finanzdepartement aber bereits Sorgenfalten verursacht: das EU-Dossier. Wenn die Verhandlungen mit Brüssel erfolgreich sind, hat das viele Auswirkungen – auch finanzpolitische. Alles in allem veranschlagt der Bundesrat die mögliche Belastung zurzeit vage auf gut 1 Milliarde im Jahr. Der Grossteil entfällt auf das Forschungsprogramm Horizon, an dem die Schweiz endlich wieder vollwertig teilnehmen will.

Das sind zwar keine echten Mehrkosten, weil der Bund mit diesen Geldern zurzeit behelfsmässig ein eigenes Forschungsprogramm finanziert. Weil aber der Rhythmus der Auszahlungen anders ist, sind bei der erhofften Rückkehr in das EU-Programm anfänglich temporäre Zahlungsspitzen zu erwarten. Auch weitere Elemente des Verhandlungspakets würden Mehrkosten bewirken. Unter anderem soll die Schweiz neu einen regelmässigen Beitrag an ärmere EU-Länder bezahlen, dessen Höhe wohl erst am Ende der Verhandlungen definiert wird.

Krippenvorlage auf der Kippe?

Neben den potenziellen Verschlechterungen gibt es auch eine relativ simple Möglichkeit, die Defizite zu reduzieren – aber sie wird nicht allen gefallen: Im aktuellen Finanzplan ist die Krippenvorlage inbegriffen, die der Nationalrat beschlossen hat. Sie sieht neue Subventionen für die Kinderbetreuung vor, die den Bund 840 Millionen Franken im Jahr kosten würden. Im Ständerat dominiert allerdings Skepsis, ein neuer Ansatz verlangt eine Finanzierung durch die Arbeitgeber. Wenn sich diese Variante durchsetzt oder die Vorlage scheitert, «spart» der Bund 840 Millionen. Das würde die Sache vereinfachen.

Zumindest im Fall der Krippenvorlage sollten auch die bürgerlichen Parteien nicht in ein Dilemma geraten. Für FDP und SVP dürften die Prioritäten sofort klar sein – und für die Mitte vermutlich nach einigem Hin und Her.

Rettung dank Mindeststeuer?

Und zuletzt noch dies: Letzte Woche ist ein neuer Hoffnungsschimmer aufgetaucht. Der Kanton Luzern gab bekannt, dass die Einnahmen aus der neuen OECD-Mindeststeuer für internationale Konzerne zehnmal so hoch ausfallen dürften wie bisher angenommen (400 statt 40 Millionen Franken). Wenn dies auch in anderen Kantonen der Fall wäre, würden die Geldsorgen des Bundes stark nachlassen, da er einen Viertel dieser Einnahmen erhält.

Aber es sieht nicht danach aus. Hohe Einnahmen sind vor allem in den Kantonen Basel-Stadt und Zug zu erwarten. Und dort erklären die Zuständigen, dass sie weiterhin von den bisherigen Zahlen ausgehen. Andere Kantone wie Genf oder Schaffhausen haben zudem die kantonalen Steuern erhöht, so dass der Bund mehr oder weniger leer ausgeht. Fazit: Dass die Finanzprobleme wegen der Mindeststeuer verschwinden, ist maximal unrealistisch.

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