Der Arsenal FC hat zu alter Stärke zurückgefunden. Weil der Coach die Qualitäten der härtesten Konkurrenten perfektioniert und mit eigenen Stärken kombiniert hat. Im Champions-League-Halbfinal empfängt der englische Verein am Dienstagabend PSG.
Am Dienstagabend empfängt der FC Arsenal im Halbfinal-Hinspiel der Champions League Paris Saint-Germain. Vor dieser Partie steht im Klub aus London ein spektakulärer Zugang aus dem Sommer 2023 im Mittelpunkt. Einer, wie ihn der englische Fussball noch nie gesehen hat: eine Hündin.
Der Arsenal-Trainer Mikel Arteta war damals überzeugt, ein brauner Labrador Retriever könnte helfen, die gemeinschaftliche Atmosphäre im Klub zu fördern. Die ungewöhnliche Verpflichtung erklärte er damit, dass der Verein «eine Repräsentantin für unsere Familie» benötige. Der Baske, der zuvor schon für Arsenal gespielt hatte, taufte die Hündin auf den Namen «Win» – als Motivation für die Spieler, endlich wieder einmal einen bedeutenden Titel mit Arsenal zu erringen.
Die letzte Meisterschaft hat der Klub im Jahr 2004 gewonnen, in der Champions League reüssierte Arsenal noch gar nie. Als wollte er dieses schlechte Karma vertreiben, führte Arteta die Hündin vor kurzem prominent aus. Mit «Win walk», Siegerstrasse, fand die Zeitung «The Sun» ein passendes Wortspiel.
Just Gary Cotterill talking about Bukayo Saka at Arsenal’s training ground with Mikel Arteta walking Win the dog in the background 🐕 pic.twitter.com/IpDEWLFOIh
— Sky Sports Premier League (@SkySportsPL) April 22, 2025
Mikel Arteta profitiert vom Stadionneubau
Die tierische Anekdote zeigt anschaulich, dass Arteta alles unternimmt, um den FC Arsenal zurück auf die Siegerstrasse zu führen. Nach seiner Einstellung im Dezember 2019 hat er den Verein aus dem Schlummerschlaf geweckt, in den er in den Saisons nach Arsène Wengers Ära von 1996 bis 2019 gefallen war. Wengers Gunners litten seinerzeit auch darunter, dass der Grandseigneur durchgesetzt hatte, ein neues Stadion zu bauen, das der Verein grösstenteils ohne Unterstützung der Besitzer finanzieren musste. Arteta profitierte von dem Kraftakt, indem er die neu generierten Einnahmen zur Runderneuerung der eigenen Mannschaft nutzen konnte. Der Transferverlust in der Zeit seines Wirkens beträgt mehr als eine halbe Milliarde Franken.
Dabei liess sich Arteta von den führenden Fussballklubs in England inspirieren, dem Liverpool FC und Manchester City, dessen Trainer Josep Guardiola er vor seinem Wechsel zu Arsenal jahrelang assistiert hatte. Artetas Strategie ist es, die Erfolgsmittel der Konkurrenten zu nutzen, um sie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen
So entwickelte Arteta mit seinem Team einen dominanten Ballbesitzfussball, der der Spielweise von Manchester City ähnlich ist. Die Gunners haben ein gutes Ballgefühl, können sich einen Gegner geduldig zurechtlegen und so lange kombinieren, bis sich eine Lücke auftut. Hinzu fügte der Trainer Elemente, wie sie Liverpool seit längerem praktiziert: ein scharfes Pressing, das der frühere Reds-Trainer Jürgen Klopp populär gemacht hat. Ebenso hat Arteta Klopps Sprechweise übernommen, die Fans als sogenannten «zwölften Mann» einzubinden.
Bei jeder sich bietenden Gelegenheit hebt er die Bedeutung einer mächtigen Geräuschkulisse hervor. Arsenals Anhänger singen neuerdings vor dem Anpfiff eine eigene Hymne, die an das Liverpooler Vorbild «You’ll Never Walk Alone» angelehnt ist. Sie wurde von einem Arsenal-Mitglied ersonnen, soll die Stimmung im Stadion anheizen und trägt den Titel «North London Forever», was sich auf die geografische Lage des Vereins bezieht.
Vieles guckte der Coach von den härtesten Konkurrenten ab – aber nicht nur
Artetas Handlungsweise ist in England teilweise skeptisch beäugt worden. Ihm wurde vorgeworfen, die Gegner zu plagiieren. Gegen solche Anschuldigungen wehrte sich Arteta indes entschieden: Er sagte, er habe nie bloss «Copy and paste» betrieben, sondern die Qualitäten der härtesten Konkurrenten perfektioniert und mit eigenen Stärken ergänzt. Und doch gestand er seine Bewunderung für Guardiola ein, immer wieder bezeichnete er den einstigen Mentor als Inspiration. In Bezug auf Klopp drückte er sich ähnlich aus. Nach einem Sieg gegen Liverpool jubelte er auf dessen Art: Er zückte mehrmals die Jubelfaust. Dazu sagte Klopp damals beschwichtigend, er habe diese Geste nicht erfunden und habe kein Urheberrecht darauf, jeder könne sich freuen, wie er wolle.
Den Aufschwung von Arsenal allein auf die genannten Aspekte zu reduzieren, wäre jedoch zu kurz gegriffen. Denn Arteta hat sein Team auch in Dingen geschult, auf die Liverpool und Manchester City nicht besonders Wert gelegt haben. Hierzu zählen Tore, die Arsenal nach einstudierten Varianten bei Eckbällen und Freistössen erzielt; Artetas Assistent, der aus Berlin stammende Nicolas Jover, gehört zu den Fachleuten bei Standardsituationen.
Dazu kommt die Fähigkeit, eine Führung über längere Zeit in der eigenen Hälfte zu verteidigen. Dies gelingt, weil Arsenal die Regeln durch etwaige Spielverzögerungen und Provokationen bis an den Rand der Legalität dehnt. Das sei im Fussball völlig normal, sagte der Verteidiger Gabriel Magalhães nach einem Spiel gegen Manchester City. Guardiola konterte, wenn die Spieler von Arsenal einen sportlichen Krieg anzetteln wollten, könnten sie diesen bekommen. Die Methoden zeitigten indes die erhoffte Wirkung: In der Premier League hat Arsenal gegen Liverpool und Manchester City seit zwei Saisons keine Partie verloren.
All diese Qualitäten muss der Arsenal FC im Halbfinal-Duell mit den jungen Himmelsstürmern aus Paris unter Beweis stellen, um zum zweiten Mal nach 2006 den Champions-League-Final zu erreichen. Damals unterlag der Klub aus London dem FC Barcelona nach einer frühen roten Karte gegen den Torhüter Jens Lehmann (1:2).
In der Liga schien es jüngst, als würde die selbstauferlegte hohe Erwartungshaltung schwer auf der Mannschaft lasten. Ähnlich erging es dereinst Liverpool, das noch länger auf einen Triumph in der europäischen Königsklasse wartete. Doch im Liverpool FC löste sich die Verkrampfung mit dem Triumph in der Champions League 2019, ein Jahr später folgte der Titelgewinn in der Premier League.
Womöglich ist das auch der Weg für die Gunners – um dann dem Namen der Hündin gerecht zu werden.