Der Regisseur Denis Villeneuves behandelt alles: Ein verarmter Süden contra den reichen, ausbeutenden Norden. Ein bisschen Mittlerer Osten, ein bisschen Trump. Und der von Timothée Chalamet gespielte Held wird zum Refugee.
Woran erkennt man einen wahren Erlöser? Er will keiner sein. Bilbo Beutlin, Luke Skywalker, Neo, Harry Potter: Sie alle sind Auserwählte und wollen gerade diese Rolle nicht spielen. Bilbo möchte nicht weg aus dem gemütlichen Auenland, Luke Skywalker hat es gut als Farmer auf Tatooine. Neo tut sich schwer mit der roten Pille, die ihm Macht über die Matrix verleiht. Harry Potter sehnt sich nach seinen Eltern, nicht nach dem Sieg über das Böse in Gestalt von Lord Voldemort. Der Topos vom widerwillig Erwählten ist Bestandteil der sogenannten Heldenreise, eines Grundmusters der Dramaturgie seit der Antike und für die populäre Filmunterhaltung stilprägender denn je.
Die «Dune»-Saga reiht sich in diese Erzähltradition ein: Paul Atreides (Timothée Chalamet), Erbfolger eines mächtigen Fürstentums, muss nach einem Komplott, dem sein Vater zum Opfer fällt, mit der Mutter fliehen. Es geht um Ressourcen und Macht; ein aristokratisches, auf verschiedene Adelshäuser verteiltes Regime beutet den Planeten gnadenlos aus. Spice heisst der Wunderstoff, der Zivilisationen in Gang halten kann. In gigantischen Schürfwerken wird er der Wüste abgetrotzt.
Wie in der Bibel
Paul, der einstige Herrschersohn, findet sich in Teil zwei in der Rolle des Vertriebenen wieder. Auch dieses Motiv ist ausreichend etabliert – schon der Heiland der Bibelgeschichte war ein Refugee. Vor der glorreichen Wiederkehr kam die Flucht.
Auf Paul lastet die Bürde der Prophetie: Für die Fremen, die in der Wüste lebenden Beduinen und Guerillas, könnte er der Messias sein, der die geknechteten Stämme von den Usurpatoren befreit und das Paradies auf Erden herbeiführt. Aber Paul, ganz in der Tradition des Schicksals- und Selbstzweiflers, will diesen Part nicht übernehmen.
Der erste «Dune»-Film zeigte eine futuristische Hochkultur, die Machtgier und Ranküne zerstören. Der zweite nun präsentiert noch bildgewaltiger und stilsicherer die Diaspora und die Erweckung des Helden zum Erlöser. Dazu muss er die angestammte Noblesse abstreifen und ein anderer werden. Das heisst sich eingliedern in die indigene Kultur der Fremen, deren Lebensraum immer schon die Wüste war.
Visuell sind die geografischen Räume klar unterschieden: hier die gelborange leuchtende Domäne aus Dünen und Sandbergen, mit den unterirdischen Kultstätten der Fremen in Schattierungen von Terrakotta und Sepia. Der feindliche Harkonnen-Clan lebt im starren Gehäuse eines Architektur gewordenen Herrscherwahns. Schwarz, Grau und Silber sind die dominanten Farben dieser hyperfaschistischen Ästhetik; eine gepanzerte Welt, deren Fassaden und Interieurs wie versiegelt wirken mit Düsternis. Albert Speer hätte seine Freude an diesem Erhabenheits-Look gehabt.
Dass hier die Gestaltung der Moral entspricht, dass das Böse schwarz und rigide, das Gute hell und beweglich erscheint, macht nichts. Die Ambivalenzen sind ja in den Helden selbst verlegt. Sein Konflikt ist nuanciert und spannt sich zwischen Angst und Pflichtgefühl, Zweifel und Befreierpathos aus. Dass die eigene Mutter, von Rebecca Ferguson virtuos als Machiavellistin gespielt, dem Zögling ihre Idee von Weltherrschaft oktroyieren will, macht die Sache nicht leichter. Und wenn sich eine Fremenkämpferin als grosse Liebe herausstellt, wird das Erlöserprojekt noch riskanter.
Erinnert auch an Trump
«Dune 2» ist anschlussfähig an zahlreiche aktuelle Konflikte. Ein verarmter Süden, ein reicher, ärmere Regionen ausbeutender Norden; die Abwicklung traditioneller Wertesysteme und Kulturen, die Gefahr eines Weltkriegs – wer will, kann Denis Villeneuves Film als Bebilderung so ziemlich jeder zeitgeschichtlichen Misere lesen. Dass der ressourcenhungrige Hightech-Staat der Harkonnen streckenweise an die USA erinnert und das Fremen-Land an den Mittleren Osten, beweist, dass gelungene Science-Fiction viel weniger in die Zukunft schaut, als dass sie die jüngste Vergangenheit oder Gegenwart bebildert. Von Feyd-Rautha Harkonnen («Elvis»-Star Austin Butler), dem schlimmsten Mistkerl im Fascho-Techno-Staat, heisst es einmal: «Er ist ein Soziopath, sein Antrieb sind Gier und Erniedrigung.» Es fällt schwer, dabei nicht an einen politisch agitierten Immobilienhai aus New York zu denken.
Vieles in «Dune 2» ist eklektisch: Die Schurkenarmeen sind mit Ninjas gekreuzte Sturmtruppler, die intrigante Klerikerkaste mit ihren Tschador-artigen Roben kennt man aus dem Horrorfilm. Wenn Helikoptergeschwader auf den Zuschauer zusteuern, ist das immer auch «Apocalypse now». Momentweise aber gelingt Villeneuve und seinen Designern ein Bild, dass das Geschehen auf so überraschende Weise zusammenfasst, dass eine neue, wirklich avantgardistische Emblematik entsteht.
So ist das Feuerwerk, das zu Ehren eines Gladiatorenkampfs abgehalten wird – ja, der Sandalenfilm hat hier auch seine Spuren hinterlassen –, ein Bouquet schwarzer Tinte im bleichen Firmament. Es wirkt, als sei die Atmosphäre eine Haut, in der Blutgefässe platzten. Wenn die Fremen eine Sandwurmherde durch die Wüste treiben, sind die Naturgesetze ausgesetzt und zugleich auf höherer, phantastischer Ebene erneuert. Das Mineralische fliesst wie jene herbeigesehnten Meere, die der Erlöser nach Epochen der Dürre bringen soll.
Dritter Teil?
Wie schon im ersten Film bleibt das Neben- und Durcheinander technologischer Innovationsstufen rätselhaft. Warum kann man sich einerseits mit unsichtbaren Ultraschallrüstungen panzern, im Kampf aber nicht auf Schwert und Dolch verzichten? Auch dass im Jahr 10 000 die gravierte Schriftrolle eine wichtige Rolle im diplomatischen Austausch spielt, wo man doch mental schon in telekinetische Bereiche vorgestossen ist, erstaunt. Womöglich liegt es daran, dass sich neue Welten nicht ohne Versatzstücke der bereits vorhandenen kreieren lassen. Nur ein Alien könnte uns das komplett Andere zeigen, und wir würden es dann nicht verstehen.
Das Unbehagen, der eine, der Einzige zu sein: Das aber verstehen viele. Der Traum, sich über die Masse zu erheben, ist nur so lange beflügelnd, bis die Fallhöhe erreicht ist. Jeder Leistungsträger weiss: Hoch über der Sphäre des Durchschnitts wird die Luft dünn. Dann geht der Atem schneller. Paul wird weiterkämpfen. Atemlos eilt er in den dritten Teil voraus. Das Drehbuch soll bereits fertig sein.