Montag, Februar 24

Wie ein Helfer des organisierten Verbrechens selbst zur Zielscheibe geworden ist.

Der 9. April 2024 verändert für Bulat Yildiz (Name geändert) alles.

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Zuvor war sein Supermarkt ein Geschäft, wie es im Zürcher Langstrassenquartier viele gibt: Zum Sortiment des Ladens gehören Gemüse, Schwarztee, Hülsenfrüchte, Frischkäse, frisches Fleisch, aber auch Raki und Rasierklingen. Alles nichts Besonderes. Während die Angestellten auf Kundschaft warten, laufen türkische Radiosendungen.

Doch am 9. April steht Yildiz vor dem Zürcher Bezirksgericht – und wird zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Er hat in seinem Laden nicht nur Lebensmittel und Haushaltartikel verkauft, sondern auch schmutziges Geld gewaschen. Viel Geld: Insgesamt 10,5 Millionen Franken aus dem illegalen Glücksspiel und dem Kokainhandel hat Yildiz für seine Kunden verschoben.

In der Nacht nach dem Gerichtsurteil wird sein Laden ein erstes Mal von Unbekannten verwüstet.

Die Geschichte von Bulat Yildiz ist eine über harte Arbeit, schmutzige Geschäfte und türkische Politik. Nun zeigt ein neues Gerichtsverfahren, wie die Attacken auf das Lebensmittelgeschäft und die Geldwäscherei zusammenhängen. Und mehr noch: Das Verfahren gewährt tiefe Einblicke in die Strukturen des organisierten Verbrechens in der Schweiz.

Einer, der keine Fragen stellt

Yildiz kommt Anfang der achtziger Jahre aus der Türkei in die Schweiz. Damals ist er Anfang zwanzig. Er arbeitet viel, Zeit für Hobbys und Freunde bleibt da kaum, wie er später vor Gericht aussagen wird.

Yildiz übernimmt einen kleinen Supermarkt in Zürich, irgendwann beschäftigt er mehr als ein Dutzend Mitarbeitende. Ende der neunziger Jahre wird er eingebürgert.

Die Einnahmen reichen für Yildiz und seine Familie zum Leben. In einem Zeitungsartikel nennt er einmal das Erfolgsgeheimnis seines Geschäfts: Die meisten Kunden fänden seinen Laden sympathisch. Das Lokal sei sein Lebenswerk, in das er sechsstellige Beträge investiert habe.

Doch nicht alles läuft gut. Der Geschäftsmann kommt mit dem Gesetz in Konflikt. 2015 wird er wegen Zollhinterziehung zu einer Busse verurteilt, zwei Jahre später erhält er eine Geldstrafe, weil er einen ausländischen Mitarbeiter ohne Bewilligung beschäftigt.

Angeblich sind es Geldsorgen, die Bulat Yildiz während der Corona-Pandemie im Herbst 2020 zum Verbrecher machen. Er fängt an, in seinem Laden im Langstrassenquartier Bargeld entgegenzunehmen. Es sind fünf- bis sechsstellige Beträge. Das Geld stammt zur Hauptsache aus dem internationalen Drogenhandel und dem gewerbsmässigen illegalen Glücksspiel. Yildiz wechselt es in andere Währungen oder verschiebt es auf fremde Konten.

Die Firma von Yildiz ist für kriminelle Organisationen ideal. Sie hat einen seriösen Anstrich und operiert auch legal mit grösseren Geldbeträgen. Und genau darum fällt es nicht auf, wenn in dieser Masse auch Beträge aus krimineller Herkunft verschoben werden. Während mehrerer Jahre bleibt Yildiz unbehelligt, er verschiebt dreckiges Geld im Wert von insgesamt 10,5 Millionen Franken. Ein Prozent des transferierten Betrages darf er jeweils behalten. So macht er während seiner Zeit als Geldwäscher einen Gewinn von mehr als 100 000 Franken.

Sein Prinzip: Yildiz nimmt seinen Anteil und stellt keine Fragen. Auch Pass oder Identitätskarte muss bei ihm niemand vorlegen.

Yildiz fragt nicht nach, woher die 677 000 Franken stammen, die ihm ein Familienclan übergibt. Er fragt auch nicht nach, als er einen Juwelier kennenlernt, der in Zürich einen Schmuckladen führt und ihm insgesamt 3,5 Millionen Franken übergibt.

Sporttaschen voller Drogengeld

Bei dem Juwelier handelt es sich um einen 56-jährigen Schweizer mit iranischen Wurzeln. Er betreibt in Zürich an guter Lage ein nach eigenen Aussagen «florierendes» Uhren- und Schmuckgeschäft.

Der Juweiler hat einen 63-jährigen Geschäftspartner. Neben den Geschäften mit Luxusuhren sind die beiden umtriebige Akteure im Untergrund. Die Ermittler beobachten, wie der Kompagnon im Auftrag des Juweliers mit dem Auto immer wieder nach Italien, Deutschland und in die Niederlande fährt. Bei sich hat er mehrere hunderttausend Franken Bargeld, versteckt in Geheimfächern seines Geschäftsautos. Bei einem Goldhändler in Mailand tauscht er das Geld in Gold um.

Die Übergabe findet heimlich statt, das Bargeld steckt in Sporttaschen.

Das Gold bringt der Kurier zurück nach Zürich, wo es eingeschmolzen wird, um seine Herkunft zu verschleiern. Von hier geht das Gold per Flugzeug nach Dubai und in die Türkei. Alles in allem bewegen die beiden Männer 34 Millionen Franken und 830 Kilo Gold.

Das Geld stammt aus Drogengeschäften im grossen Stil, davon sind die Ermittler überzeugt.

Yildiz hat noch weitere solche Grosskunden. So kommt er beispielsweise mit dem Angestellten eines Gebrauchtwagenhändlers in Kontakt, der mutmasslich Drogengelder in Millionenhöhe gewaschen hat.

Mit einem anderen kriminellen Kunden unterzeichnet er sogar einen fiktiven Darlehensvertrag. Dies, um gegenüber der Polizei vorzutäuschen, dass das Geld des Kunden aus legaler Quelle stammt. Die Polizei stellt das Bargeld am 1. Dezember 2021 am Flughafen Zürich beim Kunden von Yildiz sicher. Yildiz gibt daraufhin vor, er habe das Geld als Darlehen gewährt. Er erfasst das fiktive Darlehen extra in der Buchhaltung seines Ladens.

Die Spur dieses Kunden führt zu einem grossen, illegalen Netzwerk für Glücksspiel. Sein Name: Antepay. Die Beteiligten der mafiösen Gruppierung boten schweizweit Online-Geldspiele an und erwirtschafteten 324 Millionen Franken. Ein Grossteil des Geldes soll daraufhin in die Türkei transferiert worden sein – auch mithilfe von Yildiz.

Vor dem Bezirksgericht in Zürich versucht Yildiz im April 2024, seinen Einstieg in das kriminelle Nebengeschäft zu erklären. «Ich geriet in finanzielle Schwierigkeiten. Wir hatten keine Kundschaft mehr, wegen Corona und wegen einer Baustelle vor dem Geschäft. Trotzdem musste ich Miete, Strom und alles bezahlen.»

Wenn er gewusst hätte, wem er da behilflich gewesen sei, dann wäre er niemals eingestiegen, sagt der 61-Jährige. «Niemals hätte ich solche Leute in meinen Laden gelassen.» Doch er gebe zu, dass er etwas hätte ahnen müssen.

«Diese Aktion schadet meinem Image»

Einen Tag nach dem Urteil vom 9. April 2024 greifen die Linksextremen an. Dass es den Laden von Bulat Yildiz trifft, ist kein Zufall. In einem Rapport hält die Stadtpolizei Zürich später fest, wie die Attacke auf das Lokal abläuft: Kurz nach Mitternacht werfen Unbekannte mit Farbe gefüllte Bierflaschen gegen das Schaufenster und die gläserne Schiebetür das Supermarkts.

In der darauffolgenden Nacht kehren die Angreifer zurück. Diesmal sprayen sie mit goldener Farbe einen Schriftzug sowie das Hammer-und-Sichel-Symbol an die Fenster. Der Schriftzug lautet «Biji PKK» – «Lang lebe die PKK». Es entsteht ein Sachschaden von rund 11 000 Franken.

Ein Zeuge beschreibt, wie er zur Tatzeit mit dem Auto an dem Laden vorbeigefahren sei und vier vermummte Personen gesehen habe, die die Flucht ergriffen hätten.

Yildiz selbst gibt gegenüber der Polizei zu Protokoll: «Ich weiss nicht, wer mir das angetan hat. Diese Aktion schadet meinem Image. Weiter kann ich dazu nichts sagen.» Später wird er den Vorfall weit drastischer schildern: Sein Laden sei von vier Maskierten verwüstet worden. Beim Anschlag seien alle Scheiben und Eingangstüren eingeschlagen worden, zudem sei das Geschäft mit Farbbomben verunstaltet worden. Diese Darstellung deckt sich allerdings nicht mit den Angaben der Stadtpolizei.

Yildiz’ Anwalt schreibt in einer Eingabe, sein Mandant drohe «zum Opferlamm innertürkischer Angelegenheiten gemacht zu werden». Wahlweise drohe ihm von militanten Internationalisten oder aber von der türkischen Regierung Ungemach.

Was es damit auf sich hat, stellt sich einige Tage später auf dem Messenger-Dienst Telegram heraus. Dort veröffentlichen Linksextreme aus dem prokurdischen Lager ein Bekennerschreiben zu der Aktion, die sie als Beitrag «im Kampf gegen den faschistischen türkischen Staat und seine Verbündeten» verstehen.

Yildiz schreiben sie «eine tragende Rolle» bei der Finanzierung der türkischen Regierungspartei AKP zu. Wenn er nicht gerade überteuerte Lebensmittel oder Raki unter der Ladentheke verkaufe, dann steuere er die Finanzierung von Erdogans Partei in der Schweiz. «Grund genug, nicht in diesem Drecksladen einzukaufen, sondern vielmehr ihn auch als Figur des türkischen Faschismus zu behandeln, ihn also anzugreifen.»

Es bleibt nicht der einzige Vorfall im Laden. Im Oktober schlagen Linksextreme die Scheiben des Händlers ein. In dem Bekennerschreiben heisst es: «Wir zogen verrichteter Dinge und mit einem Lächeln im Gesicht von dannen.» Und Anfang Januar legen sie in der Nähe des Ladens ein Feuer.

Bei der Stadtpolizei Zürich bestätigt man auf Anfrage die Vorfälle und die Sachbeschädigungen. Die Polizei spricht von einem politischen Hintergrund der Aktionen. Die Täter hätten bisher nicht identifiziert werden können.

Geschäftsmann verweigert die Aussage als Zeuge

Diego Gfeller, der Verteidiger von Bulat Yildiz, bestreitet auf Anfrage, dass sein Mandant etwas mit dem türkischen Präsidenten Erdogan und der Finanzierung seiner Partei zu tun hat. «Das ist alles Blödsinn. Er ist ein reines Bauernopfer, mit der türkischen Politik hat er nichts zu tun.» Die Vorwürfe in den Bekennerschreiben seien sehr allgemein gehalten, es könne auch sein, dass sein Mandant zufällig auf den Radar der unbekannten Täter geraten sei.

Sicher ist: Die Angriffe auf seinen Laden spielen plötzlich auch eine Rolle in einem Verfahren der Bundesanwaltschaft.

Im Juni 2024 lädt die Bundesanwaltschaft Bulat Yildiz vor, um ihn als Zeugen gegen den Juwelier und seinen Geschäftspartner zu befragen. Doch Yildiz weigert sich. Der Grund: Die Anschläge auf seinen Laden hätten ihn erheblich eingeschüchtert, er habe Angst, dass seine weitere Involvierung in das Strafverfahren zu weiteren Anschlägen auf seinen Laden oder ihm nahestehende Personen führe. Schliesslich hätten die Täter in ihrem Bekennerschreiben einen direkten Bezug zu den Geldwäscherei-Ermittlungen gegen ihn hergestellt. Er sei deshalb nicht bereit, ein Risiko einzugehen.

Die Beschwerde landet schliesslich beim Bundesstrafgericht. Dieses schenkt seiner Darstellung jedoch keinen Glauben. Im Entscheid vom Dezember 2024 heisst es, der Angriff auf den Laden von Yildiz sei gewiss belastend gewesen. Allerdings gebe es keine Anhaltspunkte dafür, dass er durch eine Zeugenaussage erheblich an Leib und Leben gefährdet sei. Polizeischutz habe er nie beantragt.

Eine Zeugenaussage bleibt Bulat Yildiz jedoch erspart. Denn die Bundesanwaltschaft schliesst die Untersuchung gegen die beiden Männer, die Drogengelder in Millionenhöhe transportiert haben sollen, im Herbst mit einem abgekürzten Verfahren ab. 36 Monate Freiheitsstrafe für den Juwelier, 18 Monate bedingt für seinen Kompagnon. Es ist ein Deal, der ohne das Zutun von Bulat Yildiz zustande kommt.

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