Freitag, September 19

Wie gut steht es um die deutsche Sprache? Ein ausführlicher Bericht gibt Auskunft – und zeigt Problembereiche auf.

Alle vier Jahre ist es so weit, dann muss der Patient zur Routinekontrolle. Geht es der deutschen Sprache gut? Es gehe ihr im Grossen und Ganzen gut, sagen die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung und die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften.

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Zum vierten Mal seit 2013 haben sie einen grossen Bericht vorgelegt. Er trägt den nüchternen Titel «Deutsch in Europa» und ist vierhundert Seiten stark. Gerade auftretende Durchblutungsstörungen wie das Gendern sieht die Diagnose wohl als «passagere» an, im Arztjargon: als vorübergehend. Dennoch ist das Aufregerthema Gendern in Umfragen höchst präsent, neben den Anglizismen und der Jugendsprache.

Ein Bayer ist kein Berliner

Laut einer zitierten Studie sind neunzig Prozent der deutschen Bevölkerung mit ihrer Sprache zufrieden oder sehr zufrieden. In achtzig Prozent der deutschen Haushalte wird ausschliesslich Deutsch gesprochen. Welche Sprachen sonst noch gesprochen werden, möglicherweise ebenfalls ausschliesslich, ist nicht Gegenstand des Berichts.

Hier geht es um die nach dem Russischen am stärksten verbreitete Sprache Europas. In der EU ist sie sogar die meistgesprochene. Dass sie ausserdem in ihrer Vielfalt einzigartig ist, unterstreichen die Akademien besonders gerne: Deutsch ist plurizentrisch, funktioniert als Gesamtsprachgruppe, aber auch als Unterscheidungsinstrument.

Lokale Unterschiede sind wichtig. Ein Österreicher möchte nicht mit einem Bundesdeutschen verwechselt werden und ein Bayer nicht mit einem Berliner. Hinter Begriffen, die Gleiches meinen, verbergen sich sprachliche Welten. Und so ist es auch nicht egal, in welchen Anwendungsgebieten man Kamin, Schornstein oder Rauchfang, Schrank oder Kasten, Aprikose oder Marille sagt.

Besonderes Augenmerk legt der Bericht auf die Entwicklung deutscher Sprachgruppen in anderssprachigen Ländern. So sind elf europäische Länder aufgeführt, in denen es in dieser Hinsicht (noch) signifikante Bevölkerungsteile gibt. Historische und politische Aspekte haben vor allem in den östlichen Ländern Europas zur dramatischen Verkleinerung deutscher Sprachgruppen beigetragen. Lebten in den polnischen Grenzgebieten von 1919/20 noch 741 000 Deutschsprachige, so stellen sie heute nur noch 0,4 Prozent der Bevölkerung. Das ergibt eine Zahl von ungefähr 150 000.

In Russland hat sich die relevante Gruppe allein zwischen 2010 und 2021 mehr als halbiert. Derzeitiger Stand: 197 547. Die Gründe sind komplex, auch die deutsche Aussiedlerpolitik spielt hier eine Rolle. In Rumänien ist die Lage für die Sprachinseln der Siebenbürger Sachsen, der Banater Schwaben, für Zipser, Landler und andere, wie es heisst, «fragil».

Regionale sprachliche Eigenheiten sind hier bedroht. Nach 1989 hat es eine starke Auswanderungswelle gegeben. Heute geben nur noch 15 943 Rumänen Deutsch als Muttersprache an. Wiederum anders prekär sind die Dinge in Deutschlands Nachbarland Frankreich. Obwohl 54 Prozent der Elsässer angeben, Deutsch zu sprechen, gilt es als Fremdsprache wie jede andere auch.

Die Ränder sind bedroht

So trocken der von den Akademien gewählte Titel «Deutsch in Europa» klingen mag, die von zweiundzwanzig Wissenschaftern erarbeitete und im Narr-Francke-Attempto-Verlag erschienene Studie liefert eine wichtige und zugleich anschauliche Kulturgeschichte der europäischen Identität. Das Deutsch, wie man es heute in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Liechtenstein spricht, wird gut durch die Zeiten kommen.

An den Rändern sieht es anders aus. Noch verzeichnen die Akademien auch die im Hinblick auf die Sprecherzahl kleinsten deutschen Sprachvarianten, die sich vor allem im nördlichen Italien finden. Aber die Tage des Zimbrischen, Plodarischen, Zahrerischen, Tischelwangerischen oder Fersentalerischen könnten gezählt sein.

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