Ein Schweizer Nazi-Banker und ein früherer algerischer Wirtschaftsminister wollten im Rahmen einer Nahost-Friedenskonferenz den damaligen US-Aussenminister Henry Kissinger umbringen. Der Plan scheiterte an einer Finte des Geheimdiensts CIA.
Als am frühen Samstagmorgen des 6. Oktober 1973 die Armeen Ägyptens und Syriens in einer koordinierten Militäroperation Israel von Norden und von Süden her angriffen, logierte Henry Kissinger in der 35. Etage des Hotels Waldorf-Astoria in New York. Erst seit wenigen Tagen bekleidete Kissinger das Amt des US-Aussenministers. Ein Mitarbeiter des State Department weckte Kissinger um 6 Uhr 15 Ortszeit und meldete ihm den Kriegsausbruch im Nahen Osten.
Es war Jom Kippur, der höchste Feiertag im jüdischen Kalender und gleichzeitig der erste Tag des Ramadans für Muslime. Dass die arabischen Staaten ausgerechnet an diesem Tag einen Krieg lostreten würden, damit hatte trotz der angespannten Lage niemand gerechnet. In seiner Hotelsuite wechselte Kissinger sofort in den Krisenmodus. Zu seiner Angewohnheit gehörte es, jedes einzelne Telefongespräch protokollieren zu lassen. Die meisten dieser Protokolle, die sogenannten «Telcons», sind inzwischen freigegeben.
Dank den «Telcons» lässt sich Kissingers unbedingter Wille nachzeichnen, bereits kurz nach Ausbruch des Jom-Kippur-Kriegs das Zepter zu übernehmen. Noch vom Hotelzimmer aus nutzte er sein weltumspannendes Netzwerk und führte Dutzende von Telefongesprächen. Selbst den eigenen Geheimdiensten war er stets mehrere Schritte voraus.
Bemerkenswert ist sein allererster Anruf, den er am frühen Morgen des 6. Oktober tätigte. Er galt nicht einem Vertreter Israels, Ägyptens, Syriens oder Jordaniens, auch nicht dem britischen Botschafter oder dem Uno-Generalsekretär Kurt Waldheim – sie alle rief er später an. Doch als Allererstes telefonierte er um 6 Uhr 40 mit Anatoli Dobrynin, dem langjährigen sowjetischen Botschafter in den USA.
Die beiden waren gut befreundet, im Laufe des Vormittags sollten sie noch mehrfach die Entwicklung im Nahen Osten analysieren. Wohlgemerkt: Das taten Kissinger und Dobrynin mitten im Kalten Krieg, als führende Vertreter der Erzfeinde USA und UdSSR.
Erst kürzlich hat das private National Security Archive in Washington weitere Telefonprotokolle Kissingers veröffentlicht. Aus einem dieser «Telcons» geht hervor, wie er einige Tage nach Ausbruch des Jom-Kippur-Kriegs zu seinem sowjetischen Gegenüber sagt: «Mein Albtraum ist es, wenn eine der beiden Seiten gewinnen würde.» Worauf Dobrynin antwortet: «Das ist nicht nur dein Albtraum.»
Kein Vorteil auf dem Schlachtfeld
Die kurze Konversation der zwei mächtigen Diplomaten bringt es auf den Punkt: Friedensverhandlungen sind dann erfolgreich, wenn sich keine Partei auf dem Schlachtfeld im Vorteil sieht. Keine drei Monate später, kurz vor Weihnachten 1973, sollten in Genf die angestrebten Friedensverhandlungen zwischen Israel und den arabischen Staaten an einer Nahostkonferenz lanciert werden.
Was bisher nicht bekannt war: Die Konferenz und vor allem das Leben Kissingers waren akut gefährdet durch Anschlagspläne militanter Palästinenser. Drahtzieher war aber nicht etwa ein Araber, sondern der berüchtigte Genfer Nazi-Banker François Genoud. Ein Team des «Schwarzen September» war nach Erkenntnissen der Geheimdienste bereits in die Schweiz beordert worden – jene Terrororganisation, die 1972 das Olympia-Attentat in München verübt hatte.
Damit an den Friedensverhandlungen in Genf das erforderliche Patt auf dem Schlachtfeld hergestellt werden konnte, hatte es zuvor einen gewaltigen Kraftakt Kissingers gebraucht. US-Präsident Richard Nixon fiel praktisch aus, weil er im Oktober 1973 vollends in den Strudel der Watergate-Affäre geraten war. Dieses Machtvakuum füllte der machtbewusste Kissinger noch so gerne aus. Er war bestrebt, den Jom-Kippur-Krieg in die aus seiner Sicht richtigen Bahnen zu lenken.
Wenige Tage nach Kriegsausbruch stand die israelische Armee mit dem Rücken zur Wand. Die Existenz des jüdischen Staates war nach dem Überraschungsangriff ernsthaft gefährdet, angesichts der übermächtigen, von der Sowjetunion bestückten Panzerdivisionen Ägyptens und Syriens. In ihrer Verzweiflung ordnete Israels Ministerpräsidentin Golda Meir am 9. Oktober 1973 an, das geheime israelische Atombombenarsenal zu aktivieren. Es ist bis heute das einzige Mal, dass sich Israel für diesen ultimativen Schritt entschieden hat, um sein Fortbestehen zu sichern.
Auf das Schreckensszenario reagierte Henry Kissinger mit einem ausgeklügelten Notfallplan. In einer legendären Operation lieferte die US-Luftwaffe den Israeli dringend benötigte Waffen und Munition. Dadurch erreichte die israelische Armee schon Ende Oktober das von Kissinger angestrebte Patt – zuerst Ägypten und dann auch Syrien schloss mit Israel einen Waffenstillstand.
Kissingers Pendeldiplomatie
In den folgenden Wochen, bis zum Beginn der Friedenskonferenz in der Schweiz, startete Kissinger seine berühmte Pendeldiplomatie. Unermüdlich reiste er zwischen den Konfliktparteien im Nahen Osten und den westlichen Partnern hin und her. Er versuchte zu vermitteln, Kompromisse auszuhandeln und neue Ideen einzubringen.
Einzig für die PLO und ihren Chef Yasir Arafat fand Kissinger keinen Platz in seinem Reisekalender – das sorgte für böses Blut und hätte ihn fast das Leben gekostet.
Im «Spinnennetz» des internationalen Terrorismus, wie es der österreichische Historiker Thomas Riegler bezeichnet, nahm Genf eine zentrale Rolle ein. Die Stadt galt als europäische Drehscheibe für die Planung von palästinensischen Terroranschlägen, nicht zuletzt aufgrund der Präsenz eines inoffiziellen PLO-Büros am Sitz der Uno. Auch Vertreter des «Schwarzen September», des militanten Ablegers der Fatah, trafen sich regelmässig am Genfersee.
Das entging auch den Schweizer Behörden nicht. In einem vertraulichen Bericht stellte die Bundespolizei im März 1973 fest, dass in Genf ein «Stützpunkt für Leute palästinensischer Widerstandsbewegungen» existiere. Zum «Spinnennetz» gehörte offenbar auch der Wohnort von François Genoud in der Nähe von Lausanne.
Phantom der Schweizer Zeitgeschichte
Genoud ist ein Phantom der Schweizer Zeitgeschichte, seit er einst als Jugendlicher bei einer Zufallsbegegnung mit dem späteren «Führer» Adolf Hitler ein paar Worte ausgetauscht hatte. In den folgenden Jahrzehnten taucht Genoud in so manchem Konfliktherd auf – als überzeugter Nationalsozialist und erbitterter Feind Israels.
In Genf führte Genoud in jener Zeit eine Privatbank, die Banque commerciale arabe. In dieser Funktion spielte er eine Schlüsselrolle bei der Finanzierung des palästinensischen Terrorismus. Insbesondere verwaltete Genoud auf seiner Bank Gelder in Millionenhöhe, die Libyens Diktator Muammar al-Ghadhafi den Palästinensern für ihre Operationen zur Verfügung stellte, so auch dem «Schwarzen September».
Derart präsentierte sich die reichlich explosive Gemengelage im Vorfeld der Nahost-Friedenskonferenz von Dezember 1973 in Genf.
Das Dossier «Eingang Kilowatt 1973»
Was sich in jenen Tagen und Wochen abseits der Öffentlichkeit abspielte, lässt sich im Bundesarchiv anhand eines Dossiers mit dem erklärungsbedürftigen Titel «Eingang Kilowatt 1973» erschliessen. Im Zentrum steht, wie könnte es anders sein: François Genoud, der Schweizer Nazi-Banker.
Als sich zu Beginn der 1970er Jahre in Europa Terroranschläge von palästinensischen Kommandogruppen häuften, taten sich einige Nachrichtendienste zu einem Netzwerk zusammen. In diesem exklusiven Verbund, der sich «Club de Berne» nannte, tauschten eine Handvoll Geheimdienste ihre Erkenntnisse aus. Auf diese Weise wollte man besser gegen Anschläge militanter Araber gewappnet sein.
Den Kommunikationskanal, mit dem die geheimen Informationen ausgetauscht wurden, nannte man «Kilowatt». In der Schweiz war es die Bundespolizei, die an «Kilowatt» angeschlossen war. Das Dossier «Eingang Kilowatt 1973» enthält also sämtliche Meldungen, die in jenem Jahr von den im «Club de Berne» vereinigten Nachrichtendiensten bei der Bundespolizei eingegangen sind.
Das Dossier unterliegt der Schutzfrist, ein Einsichtsgesuch der NZZ ist bewilligt worden.
Eine erste Nachricht, die ins Auge sticht, datiert vom 29. November 1973. Ein befreundeter Dienst meldet, nach kürzlich erfolgten Zusammenkünften in Genf, Lausanne und Évian hätten arabische Terroristen beschlossen, in Westeuropa eine neue Organisation «zur Förderung der terroristischen Tätigkeiten» zu gründen. Zum Chef sei Ali Hassan Salameh ernannt worden – ein bekanntes Führungsmitglied des «Schwarzen September» und enger Vertrauter Genouds.
Tags darauf, rund drei Wochen vor Eröffnung der Friedenskonferenz, meldet ein weiterer Partnerdienst ungewöhnliche Bewegungen terroristischer Operateure aus dem Nahen Osten nach Europa – Ziel sei vermutlich Genf. Angekündigt wird zudem ein baldiges Treffen von «erfahrenen Terroristen», ebenfalls in Genf, unter Leitung von Daoud Barakat – dem Leiter des inoffiziellen PLO-Büros am Genfer Uno-Sitz.
Mitte Dezember, rund eine Woche vor Beginn der Genfer Nahostkonferenz, werden die eingehenden Meldungen zusehends konkreter. Neun Terroristen der Fatah sollen nach einem Spezialtraining im Nahen Osten nach Europa unterwegs sein. Es wird vermutet, dass sie von Libyen mit SA-7 ausgerüstet werden – das sind Kurzstrecken-Boden-Luft-Raketen, die von der Schulter aus abgeschossen werden können.
Am 15. Dezember 1973 schliesslich wird die Bundespolizei auf dem «Kilowatt»-Kanal von einem Partnerdienst namentlich auf zwei in der Schweiz wohnhafte Fatah-Aktivisten aufmerksam gemacht.
Sie werden mit Vorbereitungen für einen terroristischen Anschlag an der bevorstehenden Friedenskonferenz in Genf in Verbindung gebracht: Es sind dies François Genoud und Bachir B., ein früherer algerischer Minister, der enge Beziehungen zu Genoud unterhält und seit längerem in Lausanne lebt.
Der Sachbearbeiter der Bundespolizei beruhigt sich selbst
Die Meldung vom 15. Dezember ging von der «Verbindung XVII» ein – das ist der italienische Partnerdienst im «Club de Berne». Italien war in jenen Tagen über einen bevorstehenden Anschlag im eigenen Land gewarnt worden, und zwar vom israelischen Geheimdienst Mossad.
Die Warnung wurde nicht ernst genug genommen, mit fatalen Folgen: Am 17. Dezember 1973 verübten militante Palästinenser auf dem Römer Flughafen Fiumicino einen Bombenanschlag, 32 Personen wurden dabei getötet. Verantwortlich für den Anschlag war der «Schwarze September», das Ziel war die Torpedierung der Genfer Friedenskonferenz.
In «Kilowatt»-Akten stapeln sich einzig die eingehenden Meldungen der befreundeten Nachrichtendienste. Wie die Schweizer Behörden auf die explizite Warnung reagiert haben, erschliesst sich hingegen in einem weiteren Dossier im Bundesarchiv («Genoud François 1968–1974»). Auch dieses Dossier konnte die NZZ einsehen.
Daraus geht hervor, dass der Sachbearbeiter der Bundespolizei, der sich um die Meldung aus Italien kümmert, am 20. Dezember eine Notiz erstellt hat. Darin hält er zusammenfassend fest, die zwei Genannten, also François Genoud und Bachir B., könnten an einem Terrorakt der Palästinenser an der bevorstehenden Friedenskonferenz «nicht unbeteiligt» sein.
Konkrete Fakten würden vom Partnerdienst aber keine genannt, scheint sich der Sachbearbeiter selber zu beruhigen, es handle sich vielmehr um eine Vermutung der Quelle.
Dann umreisst der Sachbearbeiter in seiner Notiz das weitere Vorgehen: Da die Bundespolizei die beiden Genannten gut kenne, sei man, in Absprache mit dem Vorgesetzten, übereingekommen, sie zu kontaktieren und zu ihrer Position im Nahostkonflikt zu befragen.
Präventiv sei schon einmal eine Telefonkontrolle gegen die beiden veranlasst worden, heisst es in der auf Französisch verfassten Notiz. Dabei habe man festgestellt, dass François Genoud am 17. Dezember 1973 von Genf nach Zürich-Kloten und von dort nach Libyen geflogen sei. Das Motiv seiner Reise sei nicht bekannt. Genouds Rückkehr sei für Samstag, 22. Dezember, geplant. Folglich sei es der Bundespolizei nicht möglich, ihn zu kontaktieren.
Treffen mit Bachir B.
Mit dem zweiten Verdächtigen hingegen, Bachir B., vereinbart der Sachbearbeiter ein Treffen. Dieses findet am 20. Dezember 1973 statt, also fünf Tage nach dem Eingang der Warnung aus Italien und nur einen Tag vor der Eröffnung der Genfer Friedenskonferenz. Der Bundespolizist trifft den Terrorverdächtigen im Restaurant City in Lausanne.
Bachir B. ist kein Unbekannter. Mitte der 1960er Jahre amtierte er in Algerien als Wirtschaftsminister. In dieser Funktion warf er Genoud vor, mit dessen Genfer Privatbank algerisches Staatsvermögen veruntreut zu haben. Als Genoud 1964 in Algier weilte, liess ihn Bachir B. in Untersuchungshaft setzen. Erst nach einem Hungerstreik kam Genoud nach über drei Monaten wieder auf freien Fuss.
Einige Jahre später kam es in Algerien zu einem Machtwechsel. Bachir B. flüchtete in die Schweiz, wo er zufällig François Genoud über den Weg lief. Die einstigen Widersacher versöhnten sich und schlossen sich gemeinsam dem militanten palästinensischen Widerstand an.
Das Gespräch mit Bachir B. im Restaurant City in Lausanne fasst der Sachbearbeiter der Bundespolizei in einer schriftlichen Notiz zusammen. Als Erstes fragt er den ehemaligen algerischen Minister, ob dieser einen Anschlag an der bevorstehenden Konferenz für möglich halte.
Der Algerier wiegelt ab. Im Nahostkonflikt stehe er uneingeschränkt auf der Seite der Araber, auch wenn er gewisse Terrorakte missbillige, etwa jenen von Rom einige Tage davor. Alles in allem sei es aber schon so, dass sich Gewalt für die palästinensische Sache mehr auszahle als lange Gespräche. Eine weitere solche Aktion (wie in Rom) schliesse Bachir B. in nächster Zeit jedenfalls nicht aus. Er bezweifle allerdings, dass sie auf Schweizer Boden stattfinden werde, notiert der Bundespolizist.
Er wolle aber offen sein, fährt Bachir B. fort: Wenn er von einem Terrorakt in unserem Land wüsste, würde er die Schweizer Behörden nicht benachrichtigen, da er die arabische Sache für heilig halte.
Nach der Unterredung mit dem algerischen Terrorverdächtigen im Lausanner Restaurant kommt der Bundespolizist zu folgendem Schluss: Es sei wohl nicht nötig, in den nächsten Tagen auch noch mit Genoud zu sprechen – es sei denn, dieser rufe die Bundespolizei selber an, was er ja häufig tue.
Aus heutiger Sicht erscheint diese Einschätzung reichlich naiv, blauäugig – und angesichts des Anschlags in Rom mit über dreissig Toten äusserst fahrlässig.
«Hier hätten wir ihn erwischen können»
Zurück aus Libyen, schaut sich François Genoud im Fernsehen einen Beitrag zur Nahostkonferenz in Genf an, die am 21. Dezember 1973 plangemäss eröffnet worden ist. Als Genoud in den TV-Nachrichten sieht, wie Henry Kissinger die Treppen zum Genfer Hotel Intercontinental hinaufsteigt, löst das beim Nazi-Banker grossen Ärger aus. «Hier hätten wir ihn erwischen können», erzählt er später einem befreundeten Geschäftsmann aus der Westschweiz.
Genoud weiss nicht, dass sich dieser Geschäftsmann dem amerikanischen Geheimdienst CIA angedient hat, um ihn auszuspionieren. Die Schilderungen des Westschweizer Geschäftsmanns sind Teil eines Dossiers, das die CIA in jener Zeit über François Genoud angelegt hat. Es ist der dritte Archivbestand, den die NZZ in Bezug auf die Genfer Nahostkonferenz vor fünfzig Jahren ausgewertet hat.
Ziel der CIA war es, François Genoud mithilfe des Informanten als indirekte Quelle im Kampf gegen den palästinensischen Terror zu gewinnen – eine sogenannte «unwitting source», die nicht weiss, dass ihr Wissen an einen Geheimdienst weitergetragen wird.
Gegenüber seinem amerikanischen Führungsoffizier rapportierte der Westschweizer Geschäftsmann, er habe den Eindruck gewonnen, die Ermordung Kissingers sei das Hauptziel Genouds und seiner arabischen Komplizen. Aus Genouds Schilderungen schliesse er, dass sich damals in Genf Terroristen aufgehalten hätten. Diese seien aber nicht fähig gewesen herauszufinden, in welchem Hotel Kissinger absteige. Genoud nehme die Schuld auf sich, dass der Plan gescheitert sei.
«Er hat uns hereingelegt»
Wie aus dem CIA-Dokument weiter hervorgeht, ist bereits wenige Wochen vor der Genfer Nahostkonferenz ein geplanter Anschlag gegen Kissinger gescheitert – an der Verleihung des Friedensnobelpreises Anfang Dezember in Oslo.
Der Friedensnobelpreis war Kissinger, zusammen mit seinem nordvietnamesischen Verhandlungspartner, reichlich überraschend zugesprochen worden, für die Aushandlung eines Waffenstillstands, an den sich Nordvietnam nicht gehalten hat. An der traditionellen Übergabe des prestigereichen Preises in Oslo tauchte Henry Kissinger nicht auf.
«Er hat uns hereingelegt», wird François Genoud im CIA-Dossier zitiert. Weiter erzählt der Informant des US-Geheimdienstes seinem Führungsoffizier, wie ihm Genoud erzählt habe, dass bereits eine oder zwei Wochen vor der geplanten Preisverleihung ein Team von Terroristen in Norwegen eingetroffen sei.
Seine Absenz bei der Preisverleihung entschuldigte Henry Kissinger zunächst mit seiner intensiven Reisetätigkeit im Hinblick auf die Genfer Nahostkonferenz. Später führte er an, er habe in Oslo mit seiner Anwesenheit keine Anti-Vietnamkriegs-Demonstration provozieren wollen.
Ob das wohl die Wahrheit ist? Oder nicht eher eine Notlüge angesichts der Anschlagspläne? Das lässt sich vorläufig nicht verifizieren.
Die Genfer Nahostkonferenz wurde am 21. Dezember 1973 plangemäss eröffnet. Nach einem Unterbruch über die Festtage wurde sie im Januar 1974 fortgesetzt. Die Konferenz gilt als Wegbereiter für den 1979 abgeschlossenen Friedensvertrag zwischen Israel und Ägypten, der bis heute hält.
Henry Kissinger starb im vergangenen November in seinem 101. Lebensjahr. François Genoud war 1996, im Alter von 81 Jahren, mithilfe von Exit aus dem Leben geschieden. Der Algerier Bachir B. lebte bis zuletzt in Lausanne, wo er 2009 im Alter von 82 Jahren starb.
Laut amerikanischen Geheimdienstkreisen hat Genoud bei seiner Schilderung des gescheiterten Anschlagsplans für die Genfer Nahostkonferenz nicht die ganze Wahrheit gesagt: Es treffe nicht zu, dass Genoud Kissingers Hotel nicht habe ausfindig machen können. Vielmehr habe die CIA von seinen Anschlagsplänen erfahren. In der Folge sei Genoud über einen Mittelsmann ein falsches Hotel genannt worden. Auf diese Weise sei Genoud auf eine falsche Fährte geführt und das geplante Attentat vereitelt worden.
Quellen: Bundesarchiv, E4320-07C#1994/349#807 («Eingang Kilowatt 1973») und E4320C#2001/55#957 («Genoud François 1968–1974») sowie National Archive Catalog, NAID 139340155 (GENOUD, FRANCOIS).