Montag, November 25

Die Karriere des langjährigen Schweizer Nationalcoachs wurde durch einen Zufall lanciert. Was er daraus machte, ist erstaunlich.

Ein trüber Dienstagnachmittag im Dezember. Ralph Krueger sitzt in einem tiefen Ledersessel, vor ihm eine Tasse Tee. Im Kamin brennt ein Feuer, draussen liegt Schnee. Kruegers Haare, jene, die ihm geblieben sind, sind dünn und ergraut. Die Nase ist noch immer markant, die Stimme fest.

Im kommenden Sommer wird der Deutschkanadier 65 Jahre alt. Es ist ruhig geworden um den Mann, der nicht nur das Schweizer Eishockey, sondern im Prinzip den ganzen Schweizer Sport während mehr als eines Jahrzehnts geprägt hat. Von Herbst 1997 bis Frühling 2010 war Krueger Schweizer Eishockey-Nationaltrainer. Das ist eine kleine Ewigkeit in einer Position, in der sich kaum einer seiner Vorgänger länger als ein bis zwei Jahre hatte halten können.

Das Wirken als Schweizer Nationalcoach öffnet die Türen zur NHL und in den englischen Fussball

Krueger nennt die dreizehn Jahre an der Spitze der Eishockeynationalmannschaft «das Mittelstück meines Berufslebens». Man könnte es auch als Filetstück bezeichnen. Selbst wenn Krueger mit den Schweizern nie eine Medaille gewonnen hat, verschaffte ihm die Arbeit mit der kleinen und anfänglich noch unbedeutenden Eishockeynation international ein Renommee, das ihm später die Türen zur NHL und im Fussball auch zur englischen Premier League aufgestossen hat.

Kürzlich hielt Krueger ein Referat am Tegernsee in der Nähe von München. Es ist Fussballland. Als der Moderator seine Stationen aufgezählt habe, sei ihm bewusst geworden, was er alles erlebt habe, sagt Krueger. «Ohne den Sport, ohne meine Zeit im Schweizer Eishockeyverband wäre das wahrscheinlich nicht möglich gewesen.»

Gefragt, ob er nun, den letzten Teil seines Lebens vor Augen, eine Bucket-List erstellt habe, sagt Krueger: «Eine solche brauche ich nicht. Ich will auch gar nicht darüber spekulieren, wo ich in fünf Jahren stehen werde. Das Bild wird immer kleiner. Ich bin ein Sportfanatiker und bewege mich heute noch mehr als früher. Dazu nehme ich meine Rolle als vierfacher Grossvater sehr ernst und versuche vor allem, auch die Wünsche meiner Frau Glenda so gut wie möglich zu erfüllen. Der Preis, den eine Frau an der Seite eines Sportlers zahlen muss, ist gross.»

Krueger spielte nie den grossen Philosophen. Eher sah er sich als Motivator, als Mann, der an die eigenen Möglichkeiten, aber auch an die seiner Mitmenschen glaubt. «Glaube an das Unmögliche, und das Unmögliche wird möglich.» Die legendäre SMS, die er im Frühling 2000 an der WM in St. Petersburg nach einer überraschenden Niederlage gegen Frankreich vor dem entscheidenden Gruppenspiel gegen Russland an seine Spieler verschickte, schrieb Schweizer Sportgeschichte.

Der Satz, mit dem er damals seine Spieler hatte motivieren wollen, wurde ihm später auch als Phrasendrescherei um die Ohren gehauen. Doch er blieb nicht ohne Wirkung. Die Schweizer gewannen den Match gegen die Russen 3:2 und zogen in die Viertelfinals ein.

Um die Wartezeit zu überbrücken, wird Krueger Trainer in Vorarlberg

Seither gilt Krueger als eine Art König Midas des Sports. Was immer er anfasste, entwickelte sich hin zum Guten. Seine Erfolge weckten neben Anerkennung auch Neid. Zu Arno Del Curto, der zweiten grossen Trainerfigur jener Zeit, entstand eine Rivalität, die die Medien stärker auslebten als die beiden Protagonisten, die in Davos Tür an Tür lebten und deren Wege sich fast täglich in der Tiefgarage kreuzten.

Kruegers Karriere war eigentlich ein Produkt des Zufalls. Er machte ein Praktikum als Hotelfachmann. Danach wollte er ein Hotel in Austin, Texas, übernehmen. Als kanadischer Staatsbürger brauchte er dazu in den USA eine Green Card. Auf dem Golfplatz hatte er den späteren US-Präsidenten George W. Bush kennengelernt, der ihm ein Empfehlungsschreiben zuhanden der zuständigen Einreisebehörde verfasste.

Doch der Beamte, der den Antrag auf eine Arbeitsbewilligung bearbeitete, war Demokrat und nicht Republikaner. Entsprechend wenig half Bushs Empfehlung. Man beschied Krueger, die Bearbeitung des Antrags werde ein halbes Jahr beanspruchen. Im Minimum. Zur Überbrückung der Zeit flog er nach Europa und fand im November 1991 bei der VEU Feldkirch einen Job als Eishockeytrainer.

«Ich war damals 32 Jahre alt und wurde zufällig Trainer. Vieles im Leben ist das Produkt glücklicher Fügungen», sagt er. Bereits als aktiver Spieler bildete er sich ständig weiter, besuchte Kurse, bis er merkte, was ihm fehlte: Verantwortung. Er begann Motivationsvorträge zu halten und gründete die Firma Teamlife, deren Ideologie er später auch in einem Buch verarbeitete, das es bis auf die Bestsellerlisten schaffte.

Ralph Krueger: "Ich habe nicht´s in der National League geplant"

«Ich wollte nie Schriftsteller werden. Ich hatte einfach den Hunger, immer etwas Neues zu erleben. Über dreissig Jahre lang war ich im Eishockey unterwegs. Ich habe in dieser Zeit viel erlebt und auch gelernt.» Medaillen fehlen zwar in Kruegers Palmarès als Schweizer Eishockey-Nationaltrainer, doch ein neues Arbeitsethos und ein neues Denken hielten Einzug. Davon profitieren seine Nachfolger bis heute.

Kruegers Philosophie auf dem Eis war simpel. Sie hiess: intensiver, nicht länger. Beim ersten Nationalmannschaftszusammenzug im November 1997 in Rapperswil klopfte es in der Pause des ersten Trainings an seine Kabinentüre. Vor der Tür stand eine Spielerdelegation, die sagte: «Trainer, nicht so hart. Wir haben morgen einen Match.» Da habe er gewusst, mit wem er nicht in die Zukunft gehen könne.

Krueger riskierte damit einiges. Er besass nur einen Einjahresvertrag und sass auf einem Schleudersitz. Doch der damalige Verbandspräsident Werner Kohler erkannte als einer der Ersten, was Krueger wollte. «Bereits im Februar und noch vor der WM verlängerten wir den Vertrag um vier Jahre. Andernfalls wäre meine Trainerkarriere möglicherweise schnell vorüber gewesen.»

Die Karriere als Trainer endet unschön

Auch ohne Medaille mit der Schweizer Eishockey-Nationalmannschaft ist Kruegers Palmarès beeindruckend. Er gewann als Mitglied des Betreuerstabs 2014 in Sotschi mit Kanada Olympiagold. Später wurde er Coach bei den Edmonton Oilers und den Buffalo Sabres. Als Trainer führte er eine ohne jeden Kredit gestartete europäische Verlegenheitsauswahl 2016 in den Final des World Cup. Trotzdem wurde er nach seiner Zeit bei den Sabres auf einem lokalen Kanal als «schlechtester Coach in der Geschichte der Sabres» bezeichnet.

Danach wechselte er die Sportart und war von 2014 bis 2019 Vorstandsvorsitzender des englischen Premier-League-Klubs Southampton FC. Die Schweizer Besitzerin Katharina Liebherr hörte Krueger an einem Referat seiner Firma Teamlife und engagierte ihn von der Stelle weg.

Jener Job ist vielleicht verantwortlich dafür, dass er den Stanley-Cup als Coach nicht gewonnen hat. Im Herbst 2014 wollten ihn die Pittsburgh Penguins als Headcoach verpflichten. Der Spieler Sidney Crosby hatte ihn zuvor im Olympiateam erlebt und beim Management empfohlen.

Doch Krueger stand seit drei Monaten bei Liebherr und Southampton im Wort. «Der Entscheid fiel mir unglaublich schwer. Doch ich hätte zu viele Menschen, die auf mich gesetzt hatten, im Stich gelassen.»

Hat er mit dem Job an der Bande definitiv abgeschlossen? An diesem Winternachmittag vor dem Kaminfeuer in Davos antwortet Krueger: «Man darf nie nie sagen. Doch ich bin kein Mensch, der sich an Vergangenem festklammert. Die Pause, die ich nach meinem Job bei den Buffalo Sabres hatte, war dringend nötig. Ich war nach der Corona-Zeit am Ende meiner Kräfte, fühlte mich müde und ausgelaugt.»

Nach der Entlassung in Buffalo stand er noch bis im Sommer 2022 auf der Lohnliste des NHL-Teams. Seither ist Ralph Krueger Privatmann. Doch mittlerweile hat er wieder ein Mandat angenommen. Seit vergangenem Herbst ist er Aufsichtsratsvorsitzender des österreichischen Fussballklubs Austria Wien. «Ich bin in diese Rolle hineingerutscht. Ich habe den Klub ab vergangenem Januar einmal im Monat besucht, als Berater und Freund. Irgendwie hat sich das Ganze so organisch entwickelt, dass man mich im Herbst gefragt hat, ob ich diese Position nicht übernehmen könne.»

Der Traditionsverein kämpft mit grossen finanziellen Problemen. Im vergangenen Jahr schrieb er ein Defizit von 6,85 Millionen Euro. Die Verbindlichkeiten belaufen sich auf 66,73 Millionen. Nun sucht Austria einen Abnehmer für sein neues Stadion, das zwischen 2016 und 2018 für 42 Millionen Franken saniert wurde und zur finanziellen Hypothek wurde.

Ralph Krueger denkt nicht nur positiv, er denkt auch weiterhin gross. Southampton spielte unter ihm in europäischen Wettbewerben, die Austria aus Wien wieder dorthin zu bringen, ist die Motivation, die ihn antreibt.

«Ich bin ein Schweizer, der in Kanada geboren und aufgewachsen ist»

Krueger bleibt in der Schweiz so etwas wie der ewige Nationaltrainer. «Ich war so lange Coach der Mannschaft, dass ich im Schweizer Eishockey keine andere Rolle mehr hätte übernehmen können.» Im Sommer war er kurze Zeit auch ein Kandidat, als der Verband einen neuen Präsidenten suchte. Das Gespräch, sagt er, habe nur ein paar wenige Minuten gedauert. Zu viel stimmt im Umfeld von Swiss Ice Hockey momentan nicht.

Im Frühling 2019 haben er und seine Frau die Schweizer Staatsbürgerschaft erhalten. Sie sind in Davos heimisch geworden. Als er jüngst ein Referat in der Region hielt, fragte der Moderator vor dem Beginn, wem im Saal der Name Ralph Krueger nichts sage. Nur ein paar wenige Hände seien in die Höhe gegangen. «Das hat mich sehr berührt. Offensichtlich habe ich hier doch etwas bewegt.»

Wo gehöre ich hin? Diese Frage stellt sich den meisten Menschen früher oder später. Gerade wenn der Lebenshorizont kürzer oder, um es mit Ralph Kruegers Worten zu sagen, das Bild kleiner wird. Es gibt im Fussball oder im Eishockey Trainer, die sich an ihren Job klammern, bis sie beinahe gewaltsam von der Bank getragen werden müssen.

Krueger gehört nicht zu ihnen. 2021, nach der Entlassung bei den Buffalo Sabres, nahm er sich Zeit, um Bilanz zu ziehen. Da habe auch er sich diese Frage gestellt: Wo gehöre ich hin? Die Antwort sei schnell klar gewesen. «Wenn ich heute im Ausland gefragt werde, woher ich komme, dann antworte ich: ‹Ich bin ein Schweizer, der in Kanada geboren und aufgewachsen ist.›»

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