In den letzten fünfzehn Jahren erwies sich die Band um den Sänger Dan Reynolds als eine der erfolgreichsten Rockformationen. So erstaunt es nicht, dass Imagine Dragons im Stadion Letzigrund zweimal für ein Volksfest sorgen kann.

Kurz vor dem Hit «Radioactive» wird am Donnerstagabend eine mannshohe Trommel auf die Bühne im Stadio Letzigrund gefahren. Dann stellt sich der bullige, muskulöse Sänger Dan Reynolds mit entblösstem Torso vor das riesige Fell, um die Zeit mit einem wuchtigen Beat zu traktieren: bum, bum, bum, bum!

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Die Pop-Rock-Band Imagine Dragons verwandelt das Stadion in eine Galeere. Die vier Musiker führen die 50 000 Zuhörerinnen und Zuhörer in eine Schlacht. Es geht aber nicht gegen einen Feind, gekämpft wird vielmehr für die eigenen Emotionen – das psychische Benzin der Leistungsgesellschaft. Die seelische Verkrustung, die nervliche Verspannung im Publikum werden weggeputzt mit Sounds, Beats und Texten über Naturkatastrophen oder hitzige Beziehungen, damit es sich wieder wohler fühlen kann.

Musik für die Gesundheit

Der Mensch des 21. Jahrhunderts ist abgeklärt und desillusioniert, er glaubt ja kaum noch an die grosse Liebe, an den Weltfrieden oder an die Macht der Kunst. Aber er weiss, was gut ist für seine physische und psychische Fitness. Und in dieser Beziehung haben ihm die vier Kollegen aus Las Vegas als Therapeuten und Trainer einiges zu bieten (am Samstag treten sie im Letzigrund ein zweites Mal auf).

Imagine Dragons verwerten fast die ganze Geschichte der Pop-Musik, um Seelen und Muskeln zu animieren. Ob Hard Rock, Blues, Gospel, Hip-Hop, Melodien à la Coldplay und Chöre à la Boygroups – in ihrem Repertoire dürften alle etwas finden, was sie anspricht. Das erklärt auch die Diversität im Publikum: Die Generationen sind quasi von A bis Z vertreten an diesem milden Frühsommerabend.

Wer den Jungs ihren üppigen Eklektizismus, ihre überfrachteten Soundmixturen oder ihr ständiges Pathos zum Vorwurf machen will, hat sicher Gründe. Aber das ästhetische Urteil ist hier wohl fehl am Platz. Es geht nicht um das stilistische Profil, nicht um Originalität. Diese Musik ist fast ebenso eine sportliche wie eine künstlerische Angelegenheit. Die Rhythmik animiert weniger zum Tanzen als zum Muskeltraining. So passen die Hits von Imagine Dragons bestens ins Gym – aber noch besser ins Stadion.

Die Anspannung ist Dan Reynolds beim Singen zuweilen ins Gesicht geschrieben. Wie bei einem Gewichtheber zeigen sich Sorgenfalten auf der Stirn. Aber wenn er dann in Hits wie «Bones», «Thunder» oder «Enemy» in den Refrain dringt und seine gepresste Stimme das ganze Stadion füllt, lächelt er verschmitzt wie ein Sieger.

Stets muss sich Reynolds als Leader beweisen – einmal spielt er Piano, einmal liefert er sich einen Wettkampf mit dem Schlagzeuger. Nur selten dürfen sich auch die Begleitmusiker solistisch in Szene setzen. Das gilt insbesondere für den Gitarristen Daniel Wayne Sermon, der sich im Intro zum Worksong «I’m So Sorry» als Rock-Virtuose profiliert. Tatsächlich wirkt das Repertoire von Imagine Dragons live erdiger und menschlicher, weil die Band für rockige Direktheit sorgt.

Singen tut gut

Die Stimmung aber erreicht ihren Höhepunkt, wenn das Publikum in Songs wie «Demons», «Natural» und «Enemy» selbst mitsingen darf – genauer: mitbrüllen. Dann sieht man den Leuten an, wie gut es tut, wenn aller Frust durch die Kehle entlassen wird.

Nach knapp zwei Stunden kulminiert das Konzert im grössten Hit der Band: «Believer». Dan Reynolds schwingt jetzt eine Ukraine-Fahne, was man als Geste für den Frieden verstehen darf. Apropos Flaggen: Irgendwann sieht man auf den gigantischen Screens, die die Bühne rahmen, die Farben Schwarz, Rot, Gold aufleuchten. Das sieht sehr schön aus, wirkt indes seltsam. Ach, die Amis! Halten sie Zürich vielleicht für eine deutsche Stadt?

Exit mobile version