Wer folgt auf die zurücktretende Bundesrätin Viola Amherd? Das Bundesrats-Karussell der Mitte-Partei.
Am Samstagabend hat Gerhard Pfister in einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger» bekanntgegeben, dass er nicht Bundesrat werden will.
Dabei sah alles so aus, als wolle er genau das. Nur wenige Tage, bevor die Mitte-Bundesrätin Viola Amherd ihren Rücktritt bekanntgab, hatte Pfister seinen Rücktritt als Parteipräsident verkündet. Sein Interesse am höchsten Amt in der Schweizer Politik stritt er nie ab – oder kokettierte er immer nur damit?
Am Tag nach Viola Amherds erklärte er im «Tagesgespräch» von Radio SRF wortreich, man solle ihm noch einige Tage des Nachdenkens geben, um dann aber zu betonen, dass er sich «zu 95 Prozent» entschieden habe, und dass es in der Mitte-Partei genug Vize-Präsidentinnen gebe, die seine Aufgaben übernehmen könnten. Es klang wie der letzte Beweis für seine Ambitionen. Pfister hatte der alten CVP ein neues Gesicht gegeben: sein eigenes. Was die Partei ohne ihn darstellt, muss sich erst noch zeigen. Aber so wurde er zum logischen Bundesratsfavoriten.
Jetzt sagt er aber im «Tages-Anzeiger»-Interview: «Ich wäre kein glücklicher Bundesrat.» Zwar hätte er sich das Amt «bei aller Bescheidenheit» zugetraut, aber er debattiere und streite sehr gerne, dazu brauche er eine gewisse persönliche Freiheit. Dass er seine ganze Karriere auf das Bundesratsamt ausgerichtet hätte, sei «ein grosses Missverständnis» gewesen.
Pfister sagt auch, dass er über einen sehr geringen «Gmögigkeitsfaktor» verfüge. Der machtbewusste Mitte-Präsident bekam das auch in den vergangenen Tagen zu spüren. Er bekam Kritik aus seiner eigenen Partei heraus zu hören: Die Mitte-Frauen sagten, sie wollten eine «One Man Show» verhindern und forderten eine externe Untersuchung zu den personellen Unruhen, die es in den vergangenen Jahren auf dem Generalsekretariat gab. Zudem problematisierte Mitte-Vizepräsidentin Yvonne Bürgin am Freitag in der «Arena» Pfisters Alter. Er sitzt bereits seit 2003 im Nationalrat.
Dennoch nimmt sich mit Gerhard Pfister einer der grossen Favoriten aus dem Kandidatenkarussell. Wer nun Mitte-Bundesrätin oder -Bundesrat wird?
Eine Übersicht.
Wer es sich überlegt (oder überlegen dürfte)
Martin Candinas, 44, Kanton Graubünden: Er ist innerhalb der neuen Mitte ein klassischer CVPler. Ein Mann aus einer abgelegenen Talschaft, der im Bundeshaus vor allem ein Prinzip kennt: die Bedürfnisse des eigenen Milieus verteidigen. Candinas sitzt zwar im Nationalrat, wirkt geistig aber eher wie ein Ständerat. Er kämpft für die Alimentierung des Service Public, für das Rätoromanische, für die Berggebiete. In Graubünden ist er überall anzutreffen – wenn die Prominenz des Kantons sich trifft, wie auch wenn Bauern und Jäger in einer Hütte ihre Wut über den Wolf äussern. Ein Jugend- und Parteifreund sagte neulich im «Tages-Anzeiger», es kursiere der Witz, dass Candinas bestimmt schon jeder Bündnerin und jedem Bündner einmal die Hand geschüttelt habe. Als Nationalratspräsident wirkte er im Jahr 2023 noch mehr als sonst nicht wie einer, der die Politik parteiisch zu beeinflussen versucht, sondern wie einer, der die Politik moderiert. Anders als bei Gerhard Pfister ist der «Gmögigkeitsfaktor» bei Martin Candinas hoch, nach Pfisters Rückzug dürfte Candinas (sofern er selbst tatsächlich Bundesrat werden will) der grosse Favorit sein.
Heidi Z’graggen, 58, Kanton Uri: Sie war schon einmal Bundesratskandidatin, im Jahr 2018, als die damalige CVP ihre Bundesrätin Doris Leuthard ersetzen musste. Z‘graggen machte 60 Stimmen, verlor aber schon im ersten Wahlgang gegen Viola Amherd. Damals war sie Urner Regierungsrätin, inzwischen sitzt sie seit 2019 im Ständerat. Z’graggen wäre eine mögliche Kandidatin, um ein reines Männerticket zu verhindern, wie es innerhalb der Partei nicht nur die Mitte-Vizepräsidentin Yvonne Bürgin anstrebt. In der «Arena» von SRF sagte sie, sie könnte sich etwa ein Dreierticket vorstellen: «Mann, Mann, Frau.»
Andrea Gmür, 60, Kanton Luzern: Im gleichen Atemzug wie Heidi Z’graggen wird immer wieder die Luzerner Ständerätin Andrea Gmür genannt. Bei CH-Media setzte sie kürzlich zu einer Art Bewerbung in eigener Sache an: Als Präsidentin der ständerätlichen Sicherheitskommission kenne sie alle Dossiers im frei werdenden Verteidigungsdepartement. «Ich kenne auch die Menschen im VBS und arbeite sehr gerne mit ihnen zusammen.» Gmür überlegt sich eine Kandidatur. Allerdings gab sie ihr politisch bisher wichtigstes Amt schon nach einem Jahr wieder ab: Als Fraktionschefin der Mitte agierte sie glücklos, bis heute wird sie deshalb von vielen kritisch gesehen in der Partei.
Philipp Matthias Bregy, 46, Kanton Wallis: Er ist zwar Fraktionschef, könnte sich aber offenbar gleich zwei andere Ämter ebenfalls vorstellen: Als Gerhard Pfister seinen Rücktritt als Mitte-Präsident bekanntgab, sagte Bregy, dieser Tag gehöre ganz Pfister. Es gelte seine Leistungen zu würdigen. Alles andere habe Zeit. Als Viola Amherd ihren Rücktritt aus dem Bundesrat bekanntgab, sagte Bregy, dieser Tag gehöre ganz Amherd. Es gelte ihre Leistungen zu würdigen. Alles andere habe Zeit. Er macht sich derzeit «ernsthafte Gedanken». Bregy ist ein klassischer Mitte-Mann: politisch sehr flexibel, machtpolitisch sehr gefestigt. Dass ein Walliser aus Naters einer Walliserin aus Brig in den Bundesrat folgt, ist aber weniger wahrscheinlich, als dass der aktuelle Fraktionschef den aktuellen Parteipräsidenten beerbt.
Wer es sich noch einmal überlegen soll
Isabelle Chassot, 59, Kanton Freiburg: Eigentlich hat sie sich mit einem leicht sibyllinischen Satz – «Es fehlt mir die Lust, Lust zu haben» – bereits vom Karussell genommen. Aber seit einigen Tagen versuchen mehrere Mitte-Frauen, sie wieder ins Zentrum zu rücken: «Sie hat erst halbwegs abgesagt – sie soll nochmals darüber schlafen», sagte Yvonne Bürgin, Vizepräsidentin der Mitte-Partei, bei CH-Media. Noch zuversichtlicher äusserte sich Christina Bachmann-Roth, die Präsidentin der Mitte-Frauen: «Wir arbeiten daran, dass Isabelle Chassot auf ihre Absage zurückkommt.» Chassot wäre wohl die profilierteste Kandidatin der Partei, sie kennt fast alle Motoren und Getriebe im Maschinenraum der schweizerischen Politik: Sie war Grossrätin und Staatsrätin im Kanton Freiburg, sie leitete das Bundesamt für Kultur, zuletzt wurde sie in den Ständerat und zur Präsidentin der Credit-Suisse-PUK gewählt. Auch die Arbeit einer Bundesrätin kennt sie schon – als persönliche Mitarbeiterin von Ruth Metzler und Arnold Koller. Bekäme sie doch noch Lust, Lust zu haben (und vielleicht ändert der Rückzug von Pfister ja etwas daran), so könnte ihre Herkunft zum Nachteil werden: Die lateinische Schweiz ist mit Cassis, Parmelin und Baume-Schneider bereits dreifach im Bundesrat vertreten, Isabelle Chassot wäre die vierte.
Wer noch überraschen könnte
Zum Beispiel Karin Kayser-Frutschi, 58, Kanton Nidwalden: Die alte CVP war die Partei des Föderalismus, ihre grossen Figuren waren nicht selten Lokalfürsten, fast allmächtig in den katholischen Stammlanden. Im «Tagesgespräch» bei SRF sagte Gerhard Pfister kürzlich, ihm kämen auf dem Kandidatenkarussell die vielen Regierungsrätinnen und Regierungsräte seiner Partei zu kurz. Möglich wäre etwa eine Kandidatur der Nidwaldner Regierungsrätin Karin Kayser-Frutschi, die derzeit auch die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren co-präsidiert. Im vergangenen Jahr war sie verantwortlich für die Sicherheit rund um die Bürgenstock-Konferenz. Die Kandidatur eines Regierungsrats oder einer Regierungsrätin hätte aber, so zeigt die Geschichte der Bundesratswahlen, höchstens Aussenseiterchancen.
Wer verzichtet
Benedikt Würth, 56, Kanton St. Gallen: Er war einer der Favoriten, bevor er am Freitag absagte: Benedikt Würth bleibt lieber Ständerat, als für den Bundesrat zu kandidieren. Vielleicht rechnet er sich keine Chancen aus, weil mit Karin Keller-Sutter bereits eine St. Gallerin im Bundesrat vertreten ist. Er verkörpert damit aber auch den Typus des selbstbewussten Mitte-Ständerats, der weiss, dass er als frei schwebender (aber in die vielleicht mächtigste Parlamentsgruppe eingebundener) Solitär fast mehr Macht entfalten kann als innerhalb einer Kollegialregierung.