Montag, November 10

Das Oberverwaltungsgericht in Nordrhein-Westfalen bestätigt damit eine Entscheidung der ersten Instanz. Die deutsche Innenministerin Nancy Faeser begrüsst das Urteil. Die AfD will Revision beantragen.

Die AfD darf vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft werden. Das hat das Oberverwaltungsgericht von Nordrhein-Westfalen nach einer Berufungsverhandlung in Münster am Montag entschieden. Der Verfassungsschutz darf damit auch weiterhin nachrichtendienstliche Mittel zur Beobachtung der AfD einsetzen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Das Gericht liess zwar keine Revision zu. Die AfD kann dagegen aber Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig einlegen. Die Partei hat angekündigt, dies zu tun.

«Dass der Senat die Revision nicht zugelassen hat, obwohl wir tagelang über komplexe Rechtsfragen debattiert hatten, ist nicht nachvollziehbar. Wir werden selbstverständlich die nächste Instanz anrufen», sagte Roman Reusch, Mitglied des Bundesvorstands der AfD.

Die Richter entschieden zudem, dass auch die Einstufung der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative als Verdachtsfall rechtens war. Dies gilt auch für die Beobachtung des mittlerweile aufgelösten sogenannten Flügels als «erwiesen extremistische Bestrebung». Bei der Gruppierung handelte es sich um eine Strömung der Parteirechten. In beiden Fällen sei die öffentliche Bekanntgabe rechtmässig gewesen.

Kein Anspruch auf Unterlassung der Beobachtung

Der Vorsitzende Richter des Senats führte zur Begründung des Urteils aus, dass die AfD keinen Anspruch auf Unterlassung der Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz habe. Die Regelungen des Bundesverfassungsschutzgesetzes stellten eine ausreichende rechtliche Grundlage für die Beobachtung als Verdachtsfall dar. Dies gelte auch für politische Parteien.

Anhaltspunkte dafür, dass das Bundesamt bei der Einstufung und Beobachtung der AfD als Verdachtsfall aus sachwidrigen und parteipolitischen Motiven gehandelt habe oder handele, sehen die Richter nicht.

Nach Überzeugung des Senats gibt es hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass die AfD Bestrebungen verfolgt, die gegen die Menschenwürde bestimmter Personengruppen sowie gegen das Demokratieprinzip gerichtet sind. «Es besteht der begründete Verdacht, dass es den politischen Zielsetzungen jedenfalls eines massgeblichen Teils der AfD entspricht, deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund nur einen rechtlich abgewerteten Status zuzuerkennen», hiess es in einer Mitteilung des Gerichts.

Dies stelle eine nach dem Grundgesetz unzulässige Diskriminierung aufgrund der Abstammung dar, die mit der Menschenwürdegarantie nicht zu vereinbaren sei. Dem Senat liege eine grosse Anzahl von gegen Migranten gerichteten Äusserungen vor. Diese belegen nach Auffassung des Gerichts, dass Migranten auch unabhängig vom Ausmass ihrer Integration in die deutsche Gesellschaft systematisch ausgegrenzt werden sollen. Trotz ihrer deutschen Staatsangehörigkeit werde ihre vollwertige Zugehörigkeit zum deutschen Volk infrage gestellt.

Nach Auffassung der Richter liegen zudem hinreichende Anhaltspunkte für den Verdacht vor, dass die AfD Bestrebungen verfolge, die mit einer Missachtung der Menschenwürde von Ausländern und Muslimen verbunden sind. «In der AfD werden in grossem Umfang herabwürdigende Begriffe gegenüber Flüchtlingen und Muslimen verwendet, zum Teil in Verbindung mit konkreten, gegen die gleichberechtigte Religionsausübung von Muslimen gerichteten Forderungen», so das Gericht. Nach Auffassung des Senats gibt es bei der AfD darüber hinaus Anhaltspunkte für demokratiefeindliche Bestrebungen, wenn auch nicht in der Häufigkeit und Dichte wie vom Verfassungsschutz angenommen.

Die deutsche Innenministerin Nancy Faeser begrüsste die Entscheidung. «Das Urteil zeigt, dass wir eine wehrhafte Demokratie sind», teilte die Sozialdemokratin am Montag mit. «Unser Rechtsstaat hat Instrumente, die unsere Demokratie vor Bedrohungen von innen schützen», so Faeser. «Diese Instrumente werden auch eingesetzt – und sind erneut von einem unabhängigen Gericht bestätigt worden.»

AfD ging in Berufung

Weil das Bundesamt für Verfassungsschutz seinen Sitz in Köln hat, wurde in Nordrhein-Westfalen verhandelt. Das Kölner Verwaltungsgericht hatte dem Inlandgeheimdienst vor zwei Jahren in erster Instanz recht gegeben. Bereits in diesem Verfahren hatte die AfD versucht, dem Verfassungsschutz die Einstufung als Verdachtsfall zu untersagen und sie öffentlich zu machen. Eine solche Einstufung komme in ihrer Wirkung einem Parteiverbot gleich, weshalb auch die für ein solches Verbot geltenden Massstäbe anzulegen seien, argumentierte die Partei damals.

Die Richter in Köln folgten dem nicht. Es gebe ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen innerhalb der Partei, führte das Gericht im März 2022 zur Begründung aus. Für eine Einstufung als Verdachtsfall sei zudem nicht erforderlich, dass eine Partei von einer verfassungsfeindlichen Grundtendenz beherrscht werde. Es genüge, dass es ernstzunehmende Bestrebungen innerhalb der Partei gebe.

Die Partei legte dagegen vor dem nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgericht Berufung ein. Das Gericht war die letzte Instanz, die Tatsachen ermitteln kann. Die AfD brachte deshalb zahlreiche Beweisanträge ein. Sie hatte im Verfahren kritisiert, dass das Verwaltungsgericht Köln seiner Pflicht, den Sachverhalt zu ermitteln, nicht nachgekommen sei. In der nächsten Instanz, vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, kann das jetzige Urteil nur noch auf Formfehler überprüft werden.

Urteil kommt der Partei ungelegen

Das Urteil ergeht kurz vor den Europawahlen im Juni. Ausserdem stehen im September drei Landtagswahlen in Ostdeutschland an. Bei allen Wahlen erhofft sich die Partei gute Ergebnisse. Das jetzige Urteil kommt der AfD deshalb ungelegen. Unklar ist, wie schädlich es sich für sie tatsächlich auswirken wird. Ein Teil der Wählerschaft dürfte sich unbeeindruckt zeigen.

Seit Jahresbeginn hat die AfD insgesamt an Zustimmung verloren. Im Januar sorgte ein Bericht für Aufsehen, wonach Vertreter der Partei bei einem angeblichen Geheimtreffen die massenhafte Vertreibung von Personen mit Migrationshintergrund aus Deutschland geplant haben sollen. Jüngst wurde der Wahlkampfauftakt der Partei zur Europawahl von Spionagevorwürfen gegen einen ehemaligen Mitarbeiter des Spitzenkandidaten Maximilian Krah überschattet.

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