Mittwoch, März 19

Trotz verhaltener Wirtschaftsdaten und immer höherer Schulden gewinnt die Hausse an Breite. Möglicherweise ist das ein Vorbote für einen Melt-up-Boom an den Aktienmärkten.

«Das Tragische an jeder Erfahrung ist, dass man sie erst macht, nachdem man sie gebraucht hätte»
Friedrich W. Nietzsche (deutscher Philosoph, 1844 – 1900)

Der geopolitische Konflikt zwischen der alten Hegemonialmacht USA mit ihren europäischen Vasallen und dem Herausforderer China mit seinem abhängigen Juniorpartner Russland spaltet die Welt. Viele grosse Länder wie Indien, Brasilien, Saudi-Arabien oder Südafrika wollen sich nicht vor den Karren von einem der zwei Rivalen spannen lassen. Willkommen in einer multipolaren Welt!

Doch die Spaltung findet auch innerhalb der einzelnen Nationen statt. So stehen sich in den USA Demokraten und Republikaner immer feindseliger gegenüber. Wobei die Demokraten eher links und die Republikaner eher rechts verortet werden. Und auch bei uns zeigen die jüngsten Massenproteste gegen «rechts», wie gespalten unsere Gesellschaft inzwischen ist. Wobei man unter «rechts» alles subsumiert, was nicht dem rot-grünen Mainstream huldigt – wie die inflationäre Nutzung des Wortes «Nazi» zeigt.

Das Problem besteht darin, dass man die Meinung Andersdenkender nicht mehr hören will, geschweige denn akzeptiert, da man seine eigene Meinung moralisch und ideologisch für die einzig richtige hält. Diese Intoleranz zerfrisst unsere Gemeinschaft und ist eine echte Bedrohung für die Demokratie.

Auch die Börsen driften auseinander

Auch die Entwicklung an den Börsen driftet auseinander. Während US-Aktien in den letzten zehn Jahren um phänomenale 234% nach oben schossen, konnten die Aktien im Rest der Welt gerade mal kümmerliche 47% zulegen (alle Angaben in Dollar inklusive Dividenden).

Bedingt durch den Boom des passiven Investierens und die wachsende Popularität von ETF auf den Aktienindex MSCI World und den S&P-500-Index zieht Amerika wie ein riesiger Staubsauger das internationale Anlagekapital an die Wallstreet. Denn im von MSCI berechneten Weltaktienindex (ACWI) sind US-Aktien mit 61,8% gewichtet, während zum Beispiel chinesische Aktien nur mit 2,3% berücksichtigt werden. Und auch die ETF auf den S&P 500 sind absolute Schwergewichte. Allein der S&P-500-ETF von Vanguard bringt es auf ein Fondsvolumen von 413 Mrd. $.

Der riesige Zufluss an Anlagekapital ermöglicht es den Amerikanern, im Technologiebereich Indexschwergewichte mit fast monopolartigen Strukturen aufzupumpen. So sind die «glorreichen Sieben» im MSCI-Weltaktienindex mit 17% gewichtet und im S&P 500 sogar mit 27%. Was für die Amerikaner ein gravierender Prosperitätsfaktor ist, ist für die Anleger ein erhebliches Klumpenrisiko.

Die Chinesen haben dagegen nicht begriffen, dass starke Unternehmen ein Machtfaktor im internationalen Wirtschaftswettbewerb sind. Sie haben ihren wachstumsstarken Privatunternehmen durch Regulierung die Flügel gestutzt und sie an die Kandare genommen. Heute driftet die Börse im Reich der Mitte auf einem 5-Jahres-Tief dahin, und der Staat ist zudem mit einer veritablen Immobilienkrise belastet. Ausländische Investoren sind auf der Flucht. Vielleicht eine Chance für antizyklische Investoren.

Value-Aktien sind einigermassen moderat bewertet

Eine weitere Kluft tut sich zwischen der Entwicklung bei Wachstumsaktien (Growth) und Substanzwerten (Value) auf. So konnte der MSCI World Growth Index in den letzten zehn Jahren 210% zulegen, während der MSCI World Value Index abgeschlagen bei 96% landete. Auch hier sind die Angaben in Dollar inklusive Dividenden.

Der starke Kursanstieg der Wachstumsaktien ging mit einer Bewertungsexpansion einher, da das Gewinnwachstum bei den Unternehmen nicht Schritt halten konnte. So wird für Wachstumsaktien inzwischen ein durchschnittliches Kurs-Gewinn-Verhältnis von 33 bezahlt, während Value-Aktien mit dem 14-fachen Jahresgewinn und einer Dividendenrendite von 3,2% recht moderat bewertet werden. Da hier unser Jagdgebiet liegt, finden wir trotz der All-time-Highs an den Börsen immer wieder attraktive Anlagemöglichkeiten.

Melt-up-Boom oder Börsencrash?

Interessanterweise ist in den nächsten Jahren sowohl ein Melt-up-Boom als auch ein veritabler Börsencrash möglich. Viele Aktienmärkte haben inzwischen neue Allzeithöchst erreicht. So ist der gleich gewichtete S&P-500-Index vor kurzem aus einer dreijährigen Seitwärtsbewegung nach oben ausgebrochen, was darauf hindeutet, dass der Aufschwung an Breite gewonnen hat. Und in Japan konnte der Nikkei 225 sein Ende 1989 erreichtes Höchst überschreiten. Damit ist der Weg nach oben frei und es gibt keine Widerstände mehr.

Angetrieben wird die Aufwärtsbewegung offensichtlich von einer Liquiditätsflut. So haben die führenden Notenbanken ihre aufgeblähte Bilanz bisher nur geringfügig abgebaut. Die Bank of Japan verfolgt weiter einen extrem expansiven Kurs, und in China sinken die Zinsen. Viele Unternehmen schwimmen in Cash und verwöhnen ihre Aktionäre mit Aktienrückkäufen und Dividendenerhöhungen.

Das Volumen der US-Geldmarktfonds hat sich in den letzten fünf Jahren verdoppelt und inzwischen die Marke von 6000 Mrd. $ überschritten. Sollte das Fed wegen rückläufiger Inflationsraten im Jahresverlauf tatsächlich die Zinsen senken, könnte es weitere Zuflüsse in Aktien geben.

Auf der anderen Seite gibt es weiterhin viele Krisenherde. So zum Beispiel am Immobilienmarkt. In den USA verzeichnet man eine rekordhohe Büroleerstandsquote von 20%, und in China warten 100 Mio. Wohnungen vergeblich auf einen Käufer. Zudem flossen bisher die flüssigen Mittel fast ausschliesslich in Technologieaktien, wo sich bei den «glorreichen Sieben» Anzeichen einer klassischen Blasenbildung zeigen. Sie erfüllen die drei O-Kriterien overvalued, overloved, overinvested.

Entscheidend ist jedoch, dass wir weltweit sehenden Auges in eine ernste Staatsschuldenkrise hineinlaufen. Nassim Taleb hat dies als weissen Schwan bezeichnet, da sich kein Weg aus der Schuldenspirale abzeichnet. So fahren die USA unter anderem mit dem «inflation reduction act» bereits jetzt unfassbare jährliche Budgetdefizite von 7% des Bruttosozialprodukts.

Und auch sonst wird überall fleissig Geld ausgegeben, das man nicht hat. Die Sozialausgaben wurden überall kräftig aufgebläht. Das ist aber noch gar nichts im Vergleich zu dem, was auf längere Sicht auf uns zukommt. Bei Renten und Pensionen und im Gesundheitswesen wachsen die Defizite weiter, die Armeen müssen anscheinend dringend «kriegstüchtig» gemacht und die Wirtschaft auf eine CO2-neutrale Basis umgestellt werden und vieles mehr.

Staatsschuldenkrise ist unvermeidbar

Das Schlimme ist, dass all diese Ausgaben konsumtiv sind, das heisst keine Rendite bringen. Mit einem Panzer kann man zwar Leute umbringen, erzielt aber keine Wertschöpfung. Öffentliche Investitionen zum Beispiel in die Verkehrsinfrastruktur oder in das Bildungssystem kommen dafür oft zu kurz. Zu allem Überfluss weist auch der Privatsektor weltweit bereits eine Rekordverschuldung auf.

Wer die ganzen Staatsschulden finanzieren soll, ist mir vor diesem Hintergrund völlig schleierhaft. Letztendlich werden die Notenbanken als «lender of last resort» wieder einspringen – unabhängig von der jeweiligen Situation an der Inflationsfront.

Ich ging bisher davon aus, dass die damit verursachte Vertrauenskrise eine Flucht in Sachwerte wie Aktien oder Gold auslösen würde. Vielleicht ist die aktuelle Börsenhausse trotz lausiger Wirtschaftsdaten aufgrund der absehbaren Entwicklung an der Schuldenfront bereits ein Teil dieser Fluchtbewegung. Das würde den Märkten natürlich noch viel Potenzial nach oben eröffnen, zumal der überwiegende Teil der Aktien noch immer massvoll bewertet ist. Deshalb sind wir trotz aller Risiken in unserem Vermögensfonds weiter mit 60 bis 70% signifikant in Aktien investiert.

Peter E. Huber

Peter E. Huber ist Gründer und Geschäftsführer der Huber Portfolio GmbH in Oberursel. Er ist spezialisiert auf antizyklische Investitionen an den Aktien- und Anleihenmärkten. Zuvor war er Partner und Fondsmanager beim Vermögensverwalter StarCapital, den er 2016 an die Bellevue Group verkaufte. Huber hat in Mannheim Betriebswirtschaft studiert und danach für die Privatbank SMH in Frankfurt gearbeitet, bevor er sich 1981 selbständig machte.

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