Ein renaturierter Fluss kann weniger Geröll transportieren als ein kanalisierter. Der Rückbau der Moesa habe die Überflutung aber nicht begünstigt, sagen Wasserbau-Experten.

Auf Luftbildern sieht es so aus, als habe sich ein gigantischer Fächer über den Fluss Moesa und die Autobahn 13 gelegt. Der Schuttkegel, den ein Gebirgsbach dorthin verfrachtet hat, wird die wichtige Nord-Süd-Achse durch das Misox noch eine Weile kappen. Die «Weltwoche» hat sich auf die Suche nach Schuldigen gemacht und ist fündig geworden: Der grün-ökologische Zeitgeist habe dazu geführt, dass der Hochwasserschutz nicht mehr ernst genommen werde, schreibt sie. Oberhalb des zerstörten Autobahnteils sei der Fluss Moesa in den nuller Jahren renaturiert worden. Doch hat dieser Rückbau tatsächlich die Überflutung der Autobahn begünstigt?

Geröll aus dem Bach ist schuld

Volker Weitbrecht ist an der Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie der ETH Zürich auf Flussbau spezialisiert. Er sagt, es stimme zwar, dass ein kanalisierter Fluss meist mehr Geröll abtransportieren könne als ein aufgeweiteter. Doch auf den Luftaufnahmen aus dem Misox sei gut zu erkennen, dass die Autobahn ohne die Gerölllawine aus dem seitlichen Gebirgsbach höchstwahrscheinlich nicht kaputtgegangen wäre. Erst dieser Schutt habe die Moesa auf die andere Talseite geschoben, wo sie die Fahrbahn unterspült habe. Ein Zusammenhang zwischen der Revitalisierung der Moesa und dem aufgetretenen Schaden an der Autobahn sei nicht zu erkennen.

Auch Christoph Graf, Geomorphologe bei der Eidgenössischen Forschungsanstalt WSL, sieht keine Versäumnisse bei diesem Renaturierungsprojekt. Renaturierungen hätten auch den Zweck, einem Fluss mehr Platz zu geben, dadurch verteile sich seine Kraft auf eine grössere Fläche, was die Hochwassergefahr reduziere. Man könne sich höchstens fragen, ob das Zusammenwirken des einmündenden Gebirgsbachs mit der Moesa und die Auswirkungen von Geschiebe aus dem Seitental umfassend angeschaut worden seien. Das Schadensbild an der Autobahn wäre aber vergleichbar gewesen, wenn die Moesa überhaupt nicht renaturiert worden wäre.

Breiter wäre besser gewesen

Der Kulturingenieur Ueli Schälchli hat mit dem Büro Flussbau AG schon unzählige Renaturierungsprojekte umgesetzt. Beim Projekt im Misox war er nicht involviert. Schälchli weist darauf hin, dass die Moesa an der Stelle, wo die Autobahn überflutet wurde, sehr eng ist – also das genaue Gegenteil von renaturiert. Wäre die Schuttlawine weiter oben heruntergekommen, im renaturierten Flussabschnitt, wäre nichts passiert, ist er überzeugt. Dank ihrer Breite hätte die Moesa das Geröll puffern können.

Bei der Buffalora-Brücke, wo die A 13 nun beschädigt ist, wurde die Moesa mit dem Bau der Autobahn in den 1970er Jahren eingeengt und kanalisiert. Damals war dies gängige Praxis im Wasserbau. Erst nach den verheerenden Hochwasserereignissen von 1987 habe man erkannt, dass man den Fliessgewässern wieder mehr Raum geben müsse, um extreme Hochwasser abzuleiten, sagt Schälchli. Heute sei gesetzlich vorgegeben, dass bei wasserbaulichen Massnahmen der natürliche Verlauf eines Fliessgewässers möglichst wiederhergestellt werden müsse. Schälchli sagt, der Abschnitt der Moesa unmittelbar vor der Buffalora-Brücke sei zum Erhalt von Landwirtschaftsland kanalisiert belassen worden. Hätte man auch diesen Teil revitalisiert, wären die Schäden wesentlich kleiner ausgefallen.

Zweiter Damm hat genützt

Das Bundesamt für Strassen (Astra) schreibt, das Schadenrisiko werde pro 100 Meter Autobahnstrecke genauestens analysiert. So habe man nach dem Murgang von 2019 im Misox den bestehenden Moesa-Damm verstärkt und zusätzlich einen zweiten Damm zum Schutz der Autobahn errichtet. Diese Massnahmen hätten sich als nützlich erwiesen, um die Buffalora-Brücke zu schützen. Sie habe nur geringfügige Schäden erlitten und könne bald wieder in Betrieb genommen werden.

Das Tiefbauamt Graubünden hält auf Anfrage fest, es achte sehr genau darauf, dass Flussrenaturierungen sich nicht negativ auf den Hochwasserschutz auswirkten. Man fahre nicht einfach mit dem Bagger auf, zuvor würden stets ausgedehnte Simulierungen gemacht.

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