Soll eine Insiderin oder ein Politiker die Nachfolge von Generaldirektor Gilles Marchand antreten? Die SRG steht in politisch heiklen Zeiten vor einer Schicksalswahl.
Gilles Marchand muss seinen Posten als SRG-Generaldirektor räumen, weil er kein Markus Ritter ist. Während der Bauernpräsident ein Meister des Lobbyings ist, gilt Marchand als Chancentod. Immer wieder hat der 61-jährige Romand mit seinen Aussagen zur Zukunft der SRG die Politik verärgert, auf die das Schweizer Fernsehen angewiesen ist. Der SRG-Verwaltungsrat traute es Marchand daher nicht zu, erfolgreich gegen die 200-Franken-Initiative ins Feld zu ziehen.
Bis Anfang 2025 muss das Unternehmen SRG SSR eine Frau oder einen Mann finden, die oder der das Schweizer Fernsehen vor dem angeblich bevorstehenden Untergang retten kann. Seit Marchands Rücktrittsankündigung dreht sich das Nachfolgekarussell noch schneller als vor Bundesratswahlen. Der Kreis der gehandelten Kandidatinnen und Kandidaten ist in diesem Fall noch grösser, umfasst er doch gleichermassen SRG-Insider, TV-Promis und Politikerinnen und Politiker.
In Deutschland tätig gewesen
Die logische Kronfavoritin ist SRF-Direktorin Nathalie Wappler. Sie ist bereits heute Marchands Stellvertreterin und leitet mit Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) die grösste Unternehmenseinheit. Dass die oberste Herrin über die Deutschschweizer Programme die ideale Galionsfigur im bevorstehenden Abstimmungskampf wäre, darf jedoch bezweifelt werden. Geprägt wurde Wappler durch ihre Zeit als Programmdirektorin beim Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) in Deutschland in den Jahren 2016 bis 2019.
Noch stärker als in der Schweiz gilt bei den ARD- und ZDF-Sendern die Devise, dass die Fernsehmacher sagen, wie viel Geld sie benötigen, und die Politik dafür sorgt, dass die dafür notwendigen Gebühren fliessen. Ausserdem ist unklar, ob die 55-Jährige den Job ganz an der Spitze überhaupt anstrebt. Noch im November 2023 erklärte sie in einem Interview mit CH Medien, sie wolle nicht Generaldirektorin werden. Sie mache ihren Job bei SRF sehr gerne. Doch damals sah die Welt an der SRG-Spitze noch anders aus.
Zu den meistgenannten Favoritinnen gehört auch Ladina Heimgartner. Jene Frau, die in den letzten Jahren den wohl steilsten Aufstieg in der Schweizer Medienbranche hingelegt hat. Ihre grosse Bedeutung widerspiegelt sich in ihren Titeln Head Global Media und CEO – allerdings nicht bei der SRG, sondern der Ringier AG und von Ringier Medien Schweiz.
Als ehemalige Radioredaktorin und stellvertretende Generaldirektorin der SRG verfügt die 43-jährige Bündnerin über den nötigen Stallgeruch und das Insiderwissen, um den riesigen Laden leiten zu können. Doch ob die bestens vernetzte Medienfrau an die alte Wirkungsstätte zurückkehren will, ist eher zweifelhaft. Dafür ist ihre Position beim grössten privaten Verlag der Schweiz inzwischen wohl zu gut und sind die Risiken und Nebenwirkungen beim Staatsbetrieb zu gross.
In der Öffentlichkeit am bekanntesten ist die dritte Frau, die im Zusammenhang mit der Marchand-Nachfrage immer wieder genannt wird. Vielen Fernsehzuschauerinnen und -zuschauern ist Susanne Wille immer noch bekannt aus ihrer Zeit als «10 vor 10»-Moderatorin und Mitarbeiterin bei anderen Sendungen. Inzwischen ist die Aargauerin hinter den Kulissen tätig, und zwar seit Juni 2020 als Leiterin der Abteilung Kultur. Sie ist damit auch Mitglied der Geschäftsleitung.
Dort leistet sie gemäss Beobachtern gute Arbeit und stellt auch ihre Managementfähigkeiten unter Beweis. Wille gilt als ähnliches Talent wie ihre Aargauer Landsfrau Doris Leuthard, der scheinbar alles ein bisschen leichter fällt und die einen guten Draht zur Bevölkerung hat. Das sind keine schlechten Voraussetzungen, um eine heikle Volksabstimmung zu gewinnen.
Ebenfalls um einen Rückkehrer würde es sich bei Jonas Projer handeln. Der frühere EU-Korrespondent in Brüssel und «Arena»-Moderator hat in den vergangenen Jahren ausserhalb des Hauses SRF hartes Brot gegessen. Das von ihm geleitete und von Ringier mit grossem Brimborium angekündigte «Blick TV» kam nie richtig zum Fliegen, und auch sein Abstecher in die Print- und Online-Welt als Chefredaktor bei der «NZZ am Sonntag» dauerte nur relativ kurz.
SRG kann sich Headhunter sparen
Vielleicht helfen Projer die in anderen Medienhäusern gemachten Erfahrungen dabei, die SRG auf Vordermann zu bringen und den Reformwillen der Fernsehanstalt zu beweisen. Nicht helfen dürfte dem 42-jährigen Journalisten, dass sein Name ausgerechnet von Roger Schawinski ins Spiel gebracht wurde. Der ewige Medienpionier und das Schweizer Fernsehen pflegen seit Jahrzehnten eine intensive Hassliebe.
Ohnehin kann die SRG auf die Dienste eines Headhunters verzichten, wird sie doch mit Vorschlägen eingedeckt, wer die Nachfolge von Marchand antreten soll. Ihr ehemaliger Boss Armin Walpen, der die Sendeanstalt von 1996 bis 2010 leitete, rät der SRG, ein politisches Schwergewicht an oberster Stelle zu installieren. Jemanden, dem es gelinge, den Dialog und die Kritik ernst zu nehmen, und der sich den Angriffen gegen die SRG entgegenstelle.
Walpen schlug dafür im «Blick» die FDP-Ständeräte Damian Müller und Thierry Burkart vor. Auch der Name des ehemaligen SVP-Nationalrats und Bundesratskandidaten Hansueli Vogt fiel in diesem Zusammenhang. Vogt wurde vor kurzem von Medienminister Albert Rösti in den SRG-Verwaltungsrat berufen, was ihn offenbar bereits zum Papabile macht.
Es ist eher unwahrscheinlich, dass einer dieser Politiker schliesslich die SRG-Kaderposition bekleiden wird. Eine Eigenschaft, die in einem Abstimmungskampf sehr hilfreich sein kann, haben aber alle drei: Sie sind «Arena»-tauglich. Doch vielleicht erbarmt sich Markus Ritter der Fernsehmacher und stellt sein Talent, gleichzeitig zu klagen und zu drohen, künftig in den Dienst der SRG.