Donnerstag, Dezember 26

Die Landwirte blockieren Getreidelieferungen aus dem Nachbarland und protestieren gegen die EU. Zwischen Kiew und Warschau werden die Töne deshalb schärfer. Und plötzlich geht es um mehr als Korn.

Als vor einer Woche 10 000 Landwirte durch Polens Hauptstadt zogen, forderten sie eine «Mauer für den Bauer». Sie sind wütend über Getreideimporte aus dem östlichen Nachbarland und blockieren seit Wochen die Grenze. «Iss keinen Schrott aus der Ukraine», hiess es. Der Ärger reicht aber noch tiefer: «Genug Gastfreundschaft für die undankbaren Hurensöhne» lautet ein Slogan, der immer häufiger auftaucht. Auf dem Plakat wirft ein Strichmännchen ein anderes, gezeichnet in den ukrainischen Nationalfarben, aus Polen hinaus.

Auch wenn solche Poster nicht die Mehrheitsmeinung im Land wiedergeben, stehen sie für eine verschlechterte Stimmung zwischen den beiden Ländern. Warschau scheint unfähig, den sich radikalisierenden Protesten im Land und an der Grenze Einhalt zu gebieten. 6000 Fahrzeuge warten inzwischen auf Einlass aus der Ukraine, und die Vandalenakte nehmen zu. Ihren vorläufigen Höhepunkt erreichten sie Ende Februar, als Unbekannte 160 Tonnen Getreide aus einem Zug ausleerten.

Polens Bauern gegen Ukraine und EU

Solche Methoden lehnen viele Polen zwar ab, doch den Protest der Bauern unterstützen mehr als drei Viertel. Die Landwirte sehen sich gleichzeitig von der EU und der Ukraine bedrängt. Einerseits geht es um die Einfuhr von günstigem Getreide aus dem Nachbarland, die sie als Flut wahrnehmen. Sie ist die Folge der Bestrebungen Brüssels, nach Russlands Blockade der Schwarzmeerhäfen 2022 neue Exportkanäle für die Ukrainer zu schaffen. Durch Europa sollte das Getreide die Zielländer erreichen, etwa in Afrika, um Hungersnöte zu vermeiden.

Doch viele Körner blieben wegen falscher Anreize, fehlender Transportkapazitäten und Zwischenhändlern, die sie illegal mit einheimischen mischten, im Osten der EU. Polen und andere betroffene Staaten reagierten mit Blockaden auf den Preiszerfall. Der neue Ministerpräsident Donald Tusk bemüht sich um zusätzliche europäische Unterstützung, die er jüngst in Form von 1,4 Milliarden Euro für die Bauern auch erhielt. Die Bauern lösten die Grenzblockaden zunächst auf. Doch vor drei Wochen rückten sie erneut mit ihren Traktoren aus.

Inzwischen wirken die Fronten noch verhärteter, weil die Protestierenden nun auch die Aufhebung aller EU-Vorgaben im Rahmen des Green Deal fordern. Brüssel hat zwar etwa die strengeren Pestizidrichtlinien suspendiert. Doch die polnischen Landwirte trauen dem nicht. Sie blockierten zeitweise auch einen Übergang nach Deutschland, dazu kommen Sperren an der Grenze zu Litauen und der Slowakei wegen angeblicher Reexporte ukrainischen Getreides.

Tusks Regierung wirkt hin- und hergerissen: Einerseits sitzt mit der Bauernpartei die wichtigste Vertreterin des ländlichen Raums in der Koalition. Andererseits will sich die Mannschaft als Garantin guter Beziehungen zu Brüssel und Kiew profilieren.

Geopolitik gegen Wirtschaftsinteressen

Als militärischer Unterstützer und Umschlagplatz sowie als sicherer Hafen für eine Million Flüchtlinge ist Polen für die Ukraine seit 2022 von zentraler Bedeutung. Durch den Streit ums Getreide geht es aber nicht mehr nur um Waffenbrüderschaft und Solidarität, sondern auch um wirtschaftliches Kalkül.

Kiew vertritt als EU-Beitritts-Kandidat die Interessen seines riesigen Agrarsektors selbstbewusst. Präsident Selenski alterniert dabei zwischen Kompromissbereitschaft und scharfen Tönen. So warf er Polen im Herbst vor, sich durch die Grenzblockade zu Putins nützlichem Idioten zu machen. Die Ukrainer verstehen auch nicht, weshalb ihr Getreide einen Nachbarn so in Wallung bringt, der 2023 Agrarprodukte für fast 200 Millionen Dollar aus Russland und Weissrussland importierte. Dies entspricht einem Achtel der ukrainischen Exporte in diesem Sektor.

Die Polen sehen solche Vorhaltungen ihrerseits als Ausdruck mangelnder Dankbarkeit. Der Slogan am Bauernprotest drückt zugespitzt genau diese Wahrnehmung aus. Die Gesellschaft befürwortet zwar mehrheitlich weiterhin eine Unterstützung des Nachbarlands. Doch nur noch 52 Prozent sprechen sich für die Aufnahme von Flüchtlingen aus. 2022 waren es in der gleichen Umfrage der Firma Openfield noch 20 Prozentpunkte mehr gewesen. Umstritten sind vor allem die als zu grosszügig wahrgenommenen Sozialleistungen für die Zuzüger.

Die historischen Erfahrungen und die Abneigung gegen Russland garantieren zwar, dass die Polen das Nachbarland in seinem Abwehrkampf weiterhin unterstützen. Aber der einstige Enthusiasmus und die bedingungslose Grosszügigkeit sind verschwunden.

Dies kann auch die Regierung nicht ignorieren, und sie betreibt deshalb Schadensbegrenzung: Tusk erklärte die Grenzübergänge zur kritischen Infrastruktur, um die Durchfahrt humanitärer und militärischer Transporte zu garantieren. Auch in Zukunft werden die Polen wohl geopolitische gegen wirtschaftliche Interessen kühl abwägen.

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