Montag, November 18

Der politische Umbruch in den USA bewegt die Börsen. Nach anfänglicher Euphorie macht sich angesichts steigender Zinsen zusehends Unbehagen breit. Was lässt sich daraus für eine umsichtige Anlagestrategie ableiten?

Unter dem Einfluss der zumeist voreingenommenen Berichterstattung der Massenmedien wurden Investoren vom Ausgang der US-Wahlen am 5. November überrascht. Wenige hatten damit gerechnet, dass die Republikaner fortan nicht nur die Regierung, sondern auch den Kongress vollständig kontrollieren werden.

Obwohl es übertrieben wäre, das Ende der progressiven Politik der Demokraten auszurufen, bedeutet das Wahlergebnis einen Richtungswechsel vom bisherigen Trend in den USA, der seinen Höhepunkt bereits im Jahr 2021 nach Joe Bidens Sieg erreicht hatte: die Blase in Meme-Aktien und staatliche Ausgabenprogramme wie der American Rescue Plan, der JOBS Act, der CHIPS Act, der Inflation Reduction Act usw.

Als Reaktion auf den Sieg der Republikaner preschten die Börsen in New York am Tag nach der Wahlnacht auf ein Allzeithoch vor. Der S&P 500 verbuchte einen Tagesgewinn von 2,5%. Doch die Flut von neuen Anlagegeldern liess nicht alle Boote steigen. Die Marktteilnehmer setzten stattdessen selektiv auf potenzielle Gewinner und Verlierer des bevorstehenden Regimewechsels.

Inzwischen haben die Börsen bereits an Dynamik verloren. Der S&P 500 verzeichnete für die vergangene Wochen einen Kursverlust. Dennoch lohnt es sich, nochmals einen Blick auf die Kursreaktion unmittelbar nach den Wahlen zu werfen, um sich die zentralen Themen für die Märkte zu vergegenwärtigen.

Deregulierung

Die erwarteten Auswirkungen der Wahlen hinsichtlich Auflagen und Vorschriften für Unternehmen fasste das Newsportal «Axios» folgendermassen zusammen: «Die Aussicht auf ein lockereres regulatorisches Umfeld, das den Markt für Unternehmenstransaktionen beleben könnte, begünstigte Wetten auf Big Tech und Aktien von Grossbanken, darunter Discover Financial, Capital One und Goldman Sachs.»

Wie die folgende Auflistung zeigt, verzeichneten Exchange Traded Funds (ETF), mit denen Investoren auf die entsprechenden Branchen setzen können, bedeutende Gewinne am Tag nach den Wahlen. In Klammern ist jeweils das Börsenkürzel angegeben.

  • Banken (BKX): +10,7%
  • Finanzsektor (XLF): +6,1%
  • Grosse Tech-Aktien im Nasdaq 100: (QQQ): +2,7%

Kryptowährungen schossen in die Höhe, da Investoren eine weniger strenge Aufsicht des Sektors durch die Trump-Regierung erwarten.

  • Bitcoin: +9,6%
  • Coinbase Global (COIN): +31,1%

Energie

Aktien aus dem Bereich fossile Brennstoffe waren ebenfalls gesucht, während Titel von Unternehmen mit Fokus auf alternative Energien abgestossen wurden.

«Titel zu erneuerbaren Energien und zur Solarindustrie, darunter First Energy und First Solar, erlitten Einbussen aufgrund von Befürchtungen, dass der Inflation Reduction Act und damit verbundene Fördermittel für die Branche aufgehoben werden könnten», meinte «Axios» dazu.

  • Energiesektor (XLE): +3,8%
  • Ölservicegesellschaften (OIH): +9%
  • First Solar (FSLR): –10,1%

Protektionismus

Auch hier wieder zunächst ein Zitat aus der Medienberichterstattung: «Die Hoffnung, dass Trumps protektionistische Handelspolitik vorab auf den Binnenmarkt ausgerichtete Unternehmen begünstigen könnte, trug dazu bei, dass der Small-Cap-Index Russell 2000 auf den höchsten Stand seit fast drei Jahren kletterte.»

«Aktien von Pepsi, Mondelez, Hormel und von anderen Konsumgüterherstellern kamen unter Druck, da Anleger mit höheren Preisen aufgrund von Zöllen rechnen», wurde festgehalten.

  • Basiskonsumsektor (XLP): –1,6%
  • Pepsico (PEP): –1,9%
  • Mondelez International (MDLZ): –3,9%

Einzelhändler, die in China engagiert sind, waren auffallend schwach.

  • Crocs (CROX): –2,4%
  • Lululemon Athletica (LULU): –1,9%
  • Skechers U.S.A. (SKX): –2,2%

Discounter wurden abgestraft, da höhere Zölle zu steigenden Kosten führen dürften.

  • Dollar General (DG): –5,1%
  • Dollar Tree (DLTR): –6,5%
  • Five Below (FIVE): –9,9%

Inflation

Ein Hauptthema in der Finanzberichterstattung war ein möglicher Anstieg der Teuerung: «Der Dollar ist auf den höchsten Stand seit vier Monaten gestiegen, da Anleger davon ausgehen, dass die Pläne für Zölle die Inflation anheizen und die Aussichten auf Zinssenkungen dämpfen werden. Im Gegenzug sank die Nachfrage und damit der Preis für in Dollar denominierte Rohstoffe wie Gold, Kupfer, Öl und US-Agrarprodukte.»

  • Dollar-Index: +1,6%
  • Rohstoffe (CRB-Index): –0,8%
  • Gold: –3,0%
  • Erdöl: –0,3%

Gesundheitswesen

«Es kamen Fragen zur Gesundheitsvorsorge auf, da die Unsicherheit hinsichtlich einer möglichen Demontage der Gesundheitsreform Obamacare zunahm», berichtete «Axios».

  • Gesundheitssektor (XLV): +0,1%

Rüstung

Die meisten Rüstungsaktien stiegen, da es als unwahrscheinlich gilt, dass Trump die Militärausgaben kürzen wird.

  • Luft- und Raumfahrt & Verteidigung (ITA): +3,2%

Zinsen

Zu diesem Thema lautete das Narrativ wie folgt: «Die Aktien von Hausbauern und Immobilienunternehmen sanken als Reaktion auf den Anstieg der Zinsen dreissigjähriger Festhypotheken, der mit einem Anstieg der Renditen auf zehnjährige US-Staatsanleihen einherging.»

  • Rendite auf zehnjährige Treasuries: 4,43%, +13,7 Basispunkte
  • ETF auf zwanzigjährige US-Staatsanleihen (TLT): –2,7%
  • ETF auf die Immobilienbranche (IYR): –2,5%

Investorenstimmung

Der Volatilitätsindex VIX, der die erwarteten Kursausschläge des S&P 500 misst, ging angesichts der Zuversicht am Markt bezüglich des Machtwechsels in Washington deutlich zurück.

● VIX: 16.27, –4,22 (–20,6%)

Widersprüchliches Verhalten der Anleger

Wenn man sich mit diesen Kursbewegungen genauer auseinandersetzt, kommt man zum Schluss, dass viele Investoren offenbar unter kognitiver Dissonanz leiden. Während sie dem Umstand Rechnung tragen, dass Protektionismus die Preise erhöhen wird (insbesondere für diejenigen, die es sich am wenigsten leisten können), sind die Notierungen für Gold und Rohstoffe trotz der Befürchtungen von Inflation gesunken.

Unstimmigkeiten lassen sich ebenso im Finanzsektor beobachten. Amerikanische Banken halten gewerbliche Immobilienkredite und langfristige Anleihen in ihren Portfolios, auf die sich steigende Zinsen negativ auswirken. Dennoch stiegen Bankaktien, während Anleihen und Immobilienaktien unter Druck gerieten.

Bei drei Präsidentschaftswahlen in Folge hat nun die jeweils regierende Partei verloren. Dies, obschon der US-Aktienmarkt in jeder Periode, in der die eine oder die andere Partei an der Macht war, jeweils deutlich gestiegen ist und sich im Umfeld der Wahlen auf oder in der Nähe eines Allzeithochs bewegte. Das ist ein neuartiges Phänomen, denn in der Vergangenheit war der Aktienmarkt in der Regel ein zuverlässiger Indikator dafür, welche Partei gewinnen würde.

Was könnte die Erklärung für diesen Wandel sein? Während es der Finanzbranche gut läuft, sieht es für die Realwirtschaft weit weniger rosig aus. Der Durchschnittsbürger wählt üblicherweise mit der Brieftasche. Ironischerweise denken Anleger (korrekt), dass der «Populist» Donald Trump vor allem für Wallstreet und die Grossbanken Gewinne bedeuten wird, für die breite Bevölkerung jedoch weniger.

Wie geht es an den Börsen weiter?

Wie können wir demnach die Marktaussichten für die nächsten Jahre unter Trumps Präsidentschaft und den Republikanern einschätzen? Meiner Meinung nach sollte man nicht auf die unmittelbare Reaktion der Börse achten, sondern auf das Verhalten des Bondmarktes. Die US-Staatsverschuldung, der Index der Konsumentenpreise und die Bilanz der US-Notenbank werden wesentliche bessere Gradmesser für den politischen Leistungsausweis der Republikaner sein als der S&P 500.

Präsident Biden hatte diese wichtigen Entwicklungen aus den Augen verloren. Eine Aussage, die er Anfang 2022 machte, sollte sich in diesem Zusammenhang als Vorbote für die soeben erlittene Niederlage der Demokraten herausstellen:

«Der Aktienmarkt – das Mass aller Dinge für meinen Vorgänger – ist etwa 20% höher als zu seiner Zeit. Während meiner Amtszeit hat die Börse einen Rekord nach dem anderen erreicht, was die finanzielle Situation für die Leute aus der Arbeiterklasse besser ausgeglichen hat.»

~ Präsident Joe Biden, 7. Januar 2022

Investoren sollten sich deshalb vor dem anfänglichen Übermut der Börsen hüten, denn eine Fortsetzung von Bidens Politik ist das wahrscheinlichste Szenario; speziell im Hinblick auf Inflation, Protektionismus und ausufernde Staatsausgaben. Immerhin könnte es im Bereich Regulierung zu einer gewissen Entlastung kommen.

Wie geht es an den Aktienmärkten also weiter? Einen Hinweis darauf könnten die Aktien von Trumps Mediengruppe Trump Media & Technology (DJT) geben. Ihre Aktien stiegen nach dem Wahlresultat 5,9% an. Bereits einen Tag darauf gaben sie aber den Gewinn preis und verloren sogar noch mehr.

Dieser Artikel ist ein Auszug aus «The Coffee Can Portfolio», einem Investmentbulletin, das der Verfasser in loser Folge publiziert. Für professionelle Investoren wird das Portfolio nun auch als Fonds aufgelegt.

Kevin Duffy

Kevin Duffy ist ein schlachterprobter Contrarian-Investor. Seine Ansicht zu den Märkten und praktische Ideen für Investments teilt er in seinem sporadisch erscheinenden Newsletter «The Coffee Can Portfolio» sowie auf dem Blog «Notable and Quotable». Duffy ist Mitbegründer des 2002 lancierten Hedge Funds Bearing Asset Management. Er war ein scharfer Kritiker der Vorgänge, die zur Kreditblase von 2007 führten, und hatte erfolgreich gegen Aktien von Firmen wie Countrywide Financial und Bear Stearns gewettet. Zuvor war Duffy Mitbegründer von Lighthouse Capital Management und leitete dort von 1988 bis 1999 das Research-Team. Während seiner Karriere befasste er sich eingehend mit den Exzessen der Japan- und Technologieblasen der späten Achtziger- und Neunzigerjahre. Duffy ist Anhänger der österreichischen Wirtschaftsschule. Seine erste Aktie kaufte er im Alter von dreizehn Jahren.
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