An den grossen Frühjahrsauktionen für Kunst der klassischen Moderne bei Sotheby’s wurde eine Büste von Alberto Giacometti angeboten. Für das auf über 70 Millionen Dollar geschätzte Werk gab es kein einziges Gebot. Es lag wohl an der falschen Verkaufsstrategie.
Von Alberto Giacomettis Kunst auf dem Markt ist man eigentlich anderes gewohnt. Die Werke des Schweizer Bildhauers und Malers sorgen regelmässig für Schlagzeilen, und zwar für positive. Nun ist es für einmal genau umgekehrt. Der Kunstmarkt zeigte sich überrascht, als diese Woche beim internationalen Auktionshaus Sotheby’s in New York eine Bronzebüste, die Giacomettis Bruder Diego darstellt, keinen Käufer fand.
«Grande tête mince (Grande tête de Diego)» war auf mindestens 70 Millionen Dollar geschätzt worden. Eigentlich kein Preis, der vermögende Giacometti-Fans und Kunstsammler in der Sparte der klassischen Moderne abschrecken könnte. Dennoch rührte sich kein Finger im Saal, als Oliver Barker das prestigeträchtige Kunstwerk bei 59 Millionen Dollar ausrief. Der Auktionator steigerte das Los routinemässig hoch. Seine Gebote blieben aber bei 64,25 Millionen stecken. Schliesslich fiel der Hammer, das Objekt war durchgefallen.
Spitzenpreise
Experten meinten, die Schätzung sei zu hoch gewesen. Das überrascht bei der gegenwärtigen Marktlage. Eine Regel für den Kunstmarkt besagt, dass dieser immer dann floriert, wenn die Aktienmärkte instabil sind. Dann flüchten Investoren gerne in Sachwerte wie eben zum Beispiel Kunst. Und stammt diese von Alberto Giacometti, hat man es mit einer sicheren Anlage zu tun.
Seit Jahrzehnten kennen die Preise für Giacometti nur eine Richtung: nach oben. Im Jahr 2010 verbuchte Sotheby’s im Rahmen einer Londoner Versteigerung für die monumentale Plastik «L’homme qui marche I» aus dem Jahr 1960 den damaligen Rekordpreis von 65 Millionen Pfund. Ersteigert wurde das Werk von der Milliardärin Lily Safra.
Der Preis entsprach 104,3 Millionen Dollar, womit Giacometti zum teuersten Künstler auf dem Markt avanciert war. Den Rekord hatte zuvor Picasso inne mit dem Gemälde «Garçon à la pipe». 2004 spielte es 104 Millionen Dollar ein. Es war das erste Werk auf einer Auktion, das die magische 100-Millionen-Dollar-Grenze überschritt. Mit dem Jahrhundertkünstler Picasso befand sich Giacometti also in bester Gesellschaft.
Nur vier Jahre später, 2014, brachte Giacomettis Bronzeplastik «Le chariot», von der sich eine Version im Kunsthaus Zürich befindet, in New York wiederum knapp über 100 Millionen Dollar ein. Die Skulptur einer aufrecht stehenden weiblichen Figur auf einem Wagen war damit die zweitteuerste Plastik des Künstlers. Und so ging es weiter. Für Giacomettis Bronzeplastik «Zeigender Mann» konnten im November 2015 stolze 141 Millionen Dollar verbucht werden.
Falsche Strategie
Eine grünlich patinierte Version der Diego-Büste, die Giacometti 1954 schuf und die 1955 bei Susse Fondeur in Paris in 6 Ausführungen gegossen wurde, erzielte bereits 2013 beachtliche 50 Millionen Dollar. Die jetzt offerierte Plastik war überdies die einzige vom Künstler bemalte Version. Sie stammt aus der Solowiew Foundation, einer gemeinnützigen Organisation, die von dem 2020 verstorbenen Immobilienmagnaten Sheldon H. Solow gegründet wurde.
Das Kunstwerk kam allerdings ohne eine Mindestpreisgarantie des Auktionshauses auf den Markt. Eine solche hätte dem Verkäufer unabhängig vom Ausgang der Auktion einen bestimmten Preis garantiert. Solow, so die Auktionsexperten, hatte die Angewohnheit, sich nicht um Garantien zu bemühen. Die Familie Solow hatte es nun vorgezogen, das Werk ohne Garantie anzubieten, um 70 Millionen Dollar oder mehr für das Werk zu erzielen.
Diese Strategie erwies sich als verhängnisvoll. Niemand der potenziellen, in der Regel gut informierten Käufer wollte sich offenbar auf diesen Deal einlassen und mitbieten ohne die Möglichkeit, das Werk vielleicht auch für weniger als den Schätzpreis zu erhalten.