Freitag, Oktober 4

Die Fresken von Augusto Giacometti ziehen monatlich bis zu 3500 Personen an. Nun braucht die Stadt Hilfe von aussen.

Ein älteres Ehepaar steuert zielgerichtet auf die Eingangshalle der Urania-Wache zu. Doch weiter als bis zur gläsernen Schiebetür kommen die beiden nicht. Die Tür ist verschlossen und tut keinen Wank. Eine Mitarbeiterin der Stadtpolizei kommt, um die Eheleute aufzuklären: Die berühmten Bilder in der Eingangshalle von Augusto Giacometti können heute nicht besichtigt werden.

Es dürfte nicht das einzige Mal gewesen sein, dass an diesem Montag jemand in die Giacometti-Halle wollte. Denn die dortigen Bilder des Bündner Künstlers sind nicht nur farbenprächtig, sie sind auch von herausragender kunstgeschichtlicher Bedeutung. Neben Paul Bodmers Fresken im Kreuzgang des Fraumünsters gelten Giacomettis Deckenmalereien als eines der wichtigsten Kunstwerke im Besitz der Stadt Zürich.

2019 wurden die Bilder restauriert, dann kam die Pandemie, und niemand konnte die Bilder in ihrer wiederhergestellten Pracht sehen. Im vergangenen Jahr haben deutlich mehr Personen als vor der Pandemie die «Blüemlihalle», wie sie im Volksmund heisst, besucht. Mit bis zu 3500 Besuchern im Monat gilt die Giacometti-Halle auch zahlenmässig als eine der wichtigen Sehenswürdigkeiten von Zürich.

Das Amtshaus I ist allerdings kein Museum, sondern eine Wache der Stadtpolizei. Diese war bisher auch für den Einlass, die Kontrolle und die Koordination der Besucher zuständig. Sie musste sicherstellen, dass die Besuchergruppen sich nicht unkontrolliert im Gebäude bewegen und dass die kostbaren Fresken nicht beschädigt werden.

Wegen der hohen Besucherzahlen konnte die Stadtpolizei den Aufwand nicht mehr bewältigen. Aus diesem Grund habe man im Oktober 2023 probehalber ein neues System eingeführt, sagt Katharina Schorer, die Sprecherin des städtischen Sicherheitsdepartements.

Selbständige Besichtigungen sind nicht mehr möglich

Seither können Besucher nur noch von Mittwoch bis Samstag in die Giacometti-Halle. Vorher war sie unter der Woche täglich zugänglich.

An den geöffneten Tagen gibt es mit dem neuen Regime einen dezidierten Service für Besucher, der aus zwei Studierenden besteht. Diese sind auf Stundenbasis als Guides angestellt und koordinieren die Menschengruppen, um die Stadtpolizei zu entlasten.

Die Guides lassen die interessierten Gäste ins Haus, führen sie herum und beantworten ihre Fragen. Nebenbei achten sie darauf, dass sich keine Vandalen an den Kunstwerken zu schaffen machen. Schorer sagt dazu: «Es gibt jetzt weniger Schwierigkeiten, das öffentliche Interesse mit dem Polizeibetrieb zu vereinbaren.» An Tagen mit grossen Polizeieinsätzen bleibe die Halle auch weiterhin zu.

Selbständige Besichtigungen sind also nicht mehr möglich. Stattdessen besammeln sich Interessierte bei einem Treffpunkt vor dem Gebäude und warten, bis ein Guide verfügbar wird, der sie abholt und hereinführt.

Die Erfahrungen mit dem neuen Regime seien gut gewesen, sagt Schorer. Dazu passt, dass der Stadtrat beschlossen hat, die neue Praxis zu verstetigen, die sich bewährt habe. Dafür stehen 600 000 Franken zur Verfügung. Das Geld soll den Betrieb in derselben Form wie heute für zehn Jahre ermöglichen.

2035 wird das Amtshaus saniert. Die Zugänglichkeit der Giacometti-Halle für die Öffentlichkeit werde dann neu geplant, heisst es im Beschluss des Stadtrats.

Vom Kloster über das Waisenhaus bis zum Amtshaus

Das Gebäude des heutigen Amtshauses I war ursprünglich Teil der grössten Klosteranlage der Stadt, des Dominikanerinnenklosters Oetenbach. Dieses wurde 1525 im Zuge der Reformation aufgehoben und wich später einer Strafanstalt und einem Zucht- und Waisenhaus. Im Jahr 1898 erwarb die Stadt Zürich das Areal und liess für den Bau des städtischen Verwaltungszentrums alle Häuser abreissen – mit Ausnahme des Waisenhauses.

Dieser verbliebene Gebäudeteil wurde unter der Leitung des Stadtbaumeisters Gustav Gull zwischen 1911 und 1914 in die Gesamtüberbauung «Urania» integriert. Er diente fortan der Stadtpolizei als Amtshaus I, wie die offizielle Bezeichnung lautet.

Aus Platzgründen wurde das ehemalige Kellergewölbe des Waisenhauses als Eingangsbereich genutzt. Dieser war jedoch schlecht beleuchtet und wenig einladend. Um den düsteren Raum aufzuhellen und einheimischen Künstlern Arbeit zu verschaffen, schrieb die Stadt Zürich 1922 einen Wettbewerb zur Ausmalung der Halle aus.

Der Künstler Augusto Giacometti, aufgewachsen im Bergell und seit einigen Jahren in Zürich tätig, reichte seinen Entwurf ein. Und gewann.

Für Giacometti war es der erste Grossauftrag. 1933 erschuf er die Chorfenster im Grossmünster, 1945 ein Kirchenfenster im Fraumünster.

Im Entwurf für die Giacometti-Halle präsentierte der Künstler Blumenornamente und geometrische Formen in warmen Rot- und Ockertönen für das Gewölbe der Halle. Die Wände sollten sechs raumhohe Wandbilder von arbeitenden Menschen zieren – Zimmerleute, Maurer, Winzerinnen, Schnitterinnen, ein Astronom und ein Magier. Sie sollten die Berufe aus den Bereichen Wissenschaft, Handwerk und Magie verkörpern.

Von 1923 bis 1925 setzte Giacometti zusammen mit seinen Assistenten Franz Riklin, Jakob Gubler und Giuseppe Scartezzini das Werk in der Fresko-Technik um. Bei dieser Technik werden die Farbpigmente direkt auf den noch feuchten Putz gemalt und verbinden sich während des Trocknungsprozesses chemisch und dauerhaft mit dem Putz, ohne dass ein Bindemittel verwendet wird.

Die Männer hatten damit aber wenig Erfahrung und die Umsetzung erwies sich als schwierig und schleppend. Aus Zeitdruck begannen sie, die Farbe auf den trockenen Putz zu malen, die sogenannte Secco-Technik. Dadurch haftete die Farbe schlechter. Das Werk musste bereits 1948 zum ersten Mal restauriert werden. Zwischen 1985 und 1990 und schliesslich 2019 wurde die Halle umfassend renoviert.

Während mehrerer Jahre diente die Giacometti-Halle zuerst dem Militär als Lagerraum und später der Polizei als Garderobe, bevor sie zu einer der bedeutenden Sehenswürdigkeiten Zürichs wurde.

Exit mobile version