Die Architektin Marina Tabassum aus Bangladesh setzt einen beweglichen Bau mit einem Ginkgobaum in die Kensington Gardens von London.
Und wieder hat die Serpentine Gallery in London einen neuen Nachbarn. Wie jeden Sommer, wenn die Kunstgalerie eine neue Folge in der Serie ihrer Pavillons in Auftrag gibt und dies als einen der wichtigsten Architektur-Events der Saison feiern lässt. Die kleinen Phantasiebauten, die dann jeweils in nächster Nähe der Serpentine Gallery entstehen, dürfen als Veranstaltungsorte genutzt werden.
Aber eigentlich sind sie zweckfreie Spielwiesen für experimentierfreudige Architekten, die bis dato noch nie in Grossbritannien gebaut haben. Die Serpentine wünscht sich jeweils neue Stimmen, Impulse von aussen, am liebsten von ausserhalb Europas. Dieses Jahr ist es die Architektin Marina Tabassum aus Bangladesh.
Sie hat der Kunstgalerie in den Kensington Gardens einen besonders grossen Pavillon vor die Nase gesetzt. Der langgezogene Bau verläuft parallel zur Galerie und nennt sich «A Capsule in Time», Zeitkapsel. Tatsächlich sieht er aus wie eine gigantische, pillenförmige Kapsel, aus der vertikal Stücke herausgeschnitten wurden. Das Skelett des Ganzen bilden Torbögen aus Holz und Stahl, die in sich wiederum durch die regelmässige Wiederholung geometrischer Elemente gegliedert werden.
Beweglicher Bau
Rechteckige Rahmen schliessen sich um farbig getönte Plastikfenster. Wenn die Sonne den Pavillon gerade einmal nicht belebt (was häufig der Fall ist), erscheinen die Fenster von aussen opak. Mehr oder weniger gedämpfte Helligkeit wird in das Innere gefiltert, von wo aus man die grüne Umgebung des Parks wie durch eine dunkle Sonnenbrille betrachten kann.
Das diesjährige 55 Meter lange Sommerhaus in seinen dunklen Brauntönen und mit seiner ruhigen, strengen Geometrie mutet eher herbstlich an, wenn man es poetisch ausdrücken will. An einem grauen, regnerischen Tag wirkt das Ganze aus der Ferne aber auch wie ein braunes Plastikspielzeug aus den siebziger Jahren – und nicht ganz so elegant wie auf den lichtdurchfluteten Pressefotos.
Der Bau ist beweglich, das hat es so noch nicht gegeben; das ist sein Alleinstellungsmerkmal: Einer der insgesamt vier Bögen ist auf Rädern gelagert, so dass Teile des Gebäudes zusammengeschoben werden können, um einen grösseren, überdachten Bereich zu bilden. Eine unterirdische hydraulische Maschine – eines der teuersten Teile des Projekts – bewegt die Dächer nun.
Ein weiterer Clou, abgesehen von der Beweglichkeit des Gebäudes, ist ein halbwüchsiger Ginkgobaum, der zwischen zwei Teilen des Pavillons wächst. Der Baum befindet sich auf derselben Achse wie der Glockenturm der Serpentine Gallery. «Er kontextualisiert das gesamte Gebäude an seinem Platz», erklärt die Architektin.
Zukünftige Bibliothek
Die zarte Pflanze stellt auch eine Verbindung zwischen dem Bauwerk und den reich bewachsenen Grünflächen des Parks her, in den sie nach dem Ende der Nutzungsdauer des Pavillons versetzt werden soll. Wie alle seine Vorgänger aus den vergangenen 24 Jahren wird das Sommerhaus im Oktober demontiert. Der Baum soll das Vergehen der Zeit symbolisieren, während er sich in der Lebensdauer des Auftrags entwickelt und wächst.
«Er ist einer der ältesten Bäume der Welt und einer der widerstandsfähigsten Bäume», fügt die Architektin hinzu. «Im September, Oktober wird er sich wunderschön gelb färben, um das Ende des Pavillons zu markieren, bevor er abgebaut wird.»
Auch das Nachleben des Baus hat Marina Tabassum schon einkalkuliert. Die oft substanzielle Grösse der Pavillons ist auch darauf zurückzuführen, dass sie in den Parks und Gärten späterer, millionenschwerer Käufer wieder aufgebaut werden sollen. «Unsere Idee war es, rückwärts zu planen und darüber nachzudenken, was aus dem Gebäude einmal werden soll», erklärt die Architektin.
Die Zukunft von Tabassums Kapsel ist noch nicht bekannt, aber sie hat eine Idee im Kopf: «Ich möchte, dass sie zu einer Bibliothek wird.» Um künftigen Sammlern diesen Gedanken nahezubringen, hat sie den Raum mit Regalen und einer Auswahl von Büchern ausgestattet, die den Reichtum der bengalischen Kultur, Literatur und Poesie sowie die Ökologie Bangladeshs feiern.
Allerdings verhindern die apsisartigen äusseren Begrenzungen ihres Sommerhauses eine direkte Assoziation mit einer Bibliothek. «Wenn die Leute es jetzt sehen, denken alle, es sei eine Kapelle», sagt Tabassum. Die Sommerhäuser der Serpentine setzen nicht nur die Phantasie der Architekten frei. Sie lassen auch alle möglichen Assoziationen der Besucher zu. Das ist, unter anderem, das Schöne an ihnen.