Sonntag, Oktober 6

Der König der italienischen Mode hört einfach nicht auf. Das könnte zum Problem werden.

In Italien ist die Mode eine Angelegenheit von höchster Wichtigkeit. Sie bestimmt nicht nur, wie sich Menschen kleiden, sondern ist Kultur, ein Stück Italianità zum Anziehen. Wie ernst die Italiener die Mode nehmen, zeigt sich im Umgang mit ihren Schöpfern. Valentino Garavani nennen sie «l’imperatore», den Kaiser. Und natürlich haben sie auch einen «re», einen König. Sein Name: Giorgio Armani.

Als Giorgio Armani 75 Jahre alt war, sagte er einmal, dass es «lächerlich» wäre, mit 85 noch Chef zu sein. Nun, am 11. Juli, wird Armani 90 Jahre alt. Und der König thront noch immer: Armani ist bis heute der CEO und der alleinige Besitzer seines nach ihm benannten Unternehmens.

Viele Konkurrenten sind längst an die Börse gegangen oder haben sich grossen internationalen Gruppen angeschlossen. Sie dominieren heute die Modeindustrie. Armani aber wollte nie verkaufen. Er spricht ungern über das für ihn leidige Thema der Nachfolge.

Doch jede Herrschaft geht einmal zu Ende. Die Umsätze, die Armani mit seiner Mode macht, wachsen seit längerem nicht mehr. Und so fragt man sich auch jetzt wieder, kurz vor seinem runden Geburtstag: Was kommt nach König Giorgio?

Die jüngsten Kreationen aus dem Haus Armani wurden im Juni vorgestellt: links an der Fashion Week in Paris, rechts an der Mailänder Modewoche.

Armani trifft Galeotti

Aufgewachsen in Piacenza nahe Mailand, studierte Armani drei Semester lang Medizin, bevor er abbrach und zum Mailänder Warenhaus La Rinascente ging. Dort dekorierte Armani die Schaufenster, gestaltete Anzeigen und avancierte so zum inoffiziellen Modechef des Hauses. Dann holte ihn der Herrenschneider Nino Cerruti hinter der Theke bei La Rinascente hervor und gab ihm den Auftrag, eine Kollektion für ihn zu gestalten. Bei Cerruti lernte Armani das Handwerk; zeichnen, zuschneiden, nähen. Später soll Cerruti über jene Zeit gesagt haben: «Armanis Talent hätte auch ein Blinder entdeckt.»

Im Jahr 1966 lernte Armani in den Ferien Sergio Galeotti kennen, einen Architekturstudenten aus der Toskana. Von da an teilten sie ihr privates und berufliches Leben. Im Jahr 1975 überredete Galeotti Armani, seinen Volkswagen Beetle zu verkaufen. Mit dem Geld stellten die beiden ein paar Leute ein, mieteten ein Büro in Mailand und gründeten das Unternehmen Giorgio Armani.

Armanis erste Kollektion galt als revolutionär. Er befreite die Männer von den steifen Brustpanzern, die ihre Anzüge waren, und gab ihnen Seide und Leinen zum Tragen. Auch Frauen griffen nach Armanis Männermode, und so entwarf er schon bald Kollektionen für beide Geschlechter. Dann ging er nach Hollywood.

Giorgio Armani (rechts) kleidete Männer mit Frauenstoffen ein und stahl bei der Männermode, was Frauen für einen starken Look brauchten.

Für «American Gigolo» schneiderte Armani die Anzüge. Und Richard Gere, der im Film einen Escort spielt, prägte den Prototyp des Armani-Mannes: berüchtigt, niveauvoll, immer makellos gekleidet. Rückblickend war die Kampagne genau das, was Armani brauchte. Nach dem Film tauchten reihenweise amerikanische Journalisten in Italien auf und berichteten begeistert über den Designer. Das war im Jahr 1980, und Armani war damals 46 Jahre alt.

Giorgio Armani galt als der kreative Kopf, Sergio Galeotti kümmerte sich um die Zahlen. Galeotti war es auch, der die Vision hatte, aus der Marke ein Imperium zu machen. Schon bald vergab man Lizenzen für Parfums und Sonnenbrillen, die Firma wuchs schnell. Im Jahr 1985 starb Galeotti an Aids.

Armani ist Italien, und Italien ist Armani

«Alle warteten darauf, dass ich untergehe», soll Armani einmal über den Tod seines Partners gesagt haben. Das Gegenteil geschah. Armani lernte, Bilanzen zu lesen, und übernahm Galeottis Hälfte der Firma. Er führte die günstigere Zweitlinie Emporio Armani ins Ausland, baute eigene Boutiquen und setzte zwecks Aufmerksamkeit weiter auf die Zusammenarbeit mit Prominenten wie Tina Turner. Aus Armani, dem Designer, wurde Armani, der Unternehmer. Nur Englisch lernte er nie.

9000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten heute für Giorgio Armani. Der Wert des Konzerns wird von Experten auf 10 Milliarden Euro geschätzt, Giorgio Armanis privates Vermögen liegt laut dem Bloomberg-Billionaires-Index bei knapp 7 Milliarden Euro.

In der Pandemie spendete Armani Millionen von Euro an Krankenhäuser und stellte in den Produktionsstätten seiner Firma medizinische Einweg-Overalls her. Er hat die Möbel für den Präsidentenpalast in Rom entworfen, ebenso die Uniformen der italienischen Fussballnationalmannschaft. Giorgio Armani ist Italien, und Italien ist Giorgio Armani.

Armani, der Visionär

Frank Müller ist Dozent an der Universität St. Gallen und Berater von Luxusunternehmen. Er sagt: «Armani war ein Innovator und Visionär.» Bereits in den Neunzigern habe er unter der Dachmarke Giorgio Armani mehrere Produktkategorien eingeführt und eigene Boutiquen, sogenanntes Retailing, aufgebaut. Neben der Mode gibt es heute Armani-Restaurants, -Cafés und -Hotels. Auch führt Armani eine Möbel-, eine Schokoladen- und eine Blumenkette. Ausserdem hat das Unternehmen weitere Lizenzen für Kosmetik und Uhren vergeben.

«Andere Fashionmarken haben das Potenzial von Wohnaccessoires oder Schokolade für Umsätze und Image erst Jahre später erkannt», sagt der Luxusexperte Frank Müller. Mittlerweile hätten viele Unternehmen aber aufgeholt. Und nicht nur das: Manche hätten Armani auch überholt.

Ohne Lizenzprodukte wie Parfums oder Brillen sei das Unternehmen in den vergangenen zehn Jahren nicht gewachsen, sagt Müller. Offizielle Zahlen liegen nicht vor, doch es gibt Schätzungen. Laut denen stagnierte der Umsatz zwischen den Jahren 2014 und 2022 bei ungefähr 2,5 Milliarden Euro. Im Vergleich dazu legten andere unabhängige Marken wie Hermès oder Moncler im Durchschnitt jährlich um mehr als 10 Prozent zu.

Es gibt Brillen, Parfums, aber auch Uhren, Schmuck und Pralinen, die den Namen Armani tragen.

Armani und die Franzosen

Für das Unternehmen Giorgio Armani könnte das zum Problem werden. Heute bestimmen Konzerne wie LVMH, Kering oder Richemont den Markt. Sie sind gigantische Konglomerate, die Dutzende von Marken unter einem Dach bündeln. Das spart zum Beispiel Kosten, weil im Hintergrund Synergien im Marketing oder Skaleneffekte in der Produktion genutzt werden.

Gucci, Fendi oder Yves Saint Laurent gehören zu diesen Gruppen. An Valentino ist über eine Holding die Herrscherfamilie von Katar beteiligt. Nur wenige sind unabhängig geblieben. Prada oder Ermenegildo Zegna etwa – und eben auch Armani.

Ein Börsengang kam für Giorgio Armani nie infrage. Er wolle nicht «vom Markt dirigiert» werden, erklärte er immer wieder. Auch ein Übernahmeangebot der französischen Holding LVMH lehnte er aus Prinzip ab. In einem Gespräch mit der «Financial Times» sagte Armani im vergangenen Jahr: «Diese Konzerne aus Frankreich wollen alles übernehmen. Ich verstehe das nicht: Warum sollte ich von einer dieser Megastrukturen dominiert werden, denen es an Persönlichkeit fehlt?»

Doch der Luxusexperte Frank Müller glaubt, dass die Firma einst doch von einer Gruppe gekauft wird. Die Frage sei, welcher Konzern das sein könnte. Nach einigen sehr starken Jahren schwächelt der Markt für Luxusgüter. Müller sagt: «Vielleicht hat Armani den idealen Zeitpunkt zum Verkaufen verpasst. Man kann auch am eigenen Stolz untergehen.»

(Fast) alles wie immer

Vor ein paar Jahren äusserte Giorgio Armani zum ersten Mal die Möglichkeit, dass die Marke Armani nicht zwingend als unabhängige Firma weiterbestehen müsse. Er könne sich eine Zusammenarbeit mit einem anderen Unternehmen, «einem italienischen Unternehmen», durchaus vorstellen.

Letztes Jahr berichtete der Nachrichtendienst Reuters dann von einem geheimen Dokument, das die künftigen Führungsgrundsätze für die Erben der Gruppe festlegen sollte. Weil Armani keine Kinder hat, werden voraussichtlich seine Schwester, drei weitere Familienmitglieder, die bereits im Unternehmen arbeiten, ein langjähriger Mitarbeiter und eine gemeinnützige Stiftung den Nachlass von Armani erben.

In dem Dokument soll angeblich auch stehen, wie diese Erben an eine mögliche Börsennotierung herangehen sollten: frühestens fünf Jahre nach Armanis Tod. Macht sich der Patron tatsächlich Gedanken um eine Nachfolge?

Die Fashion Week in Mailand, Mitte Juni: Im Palazzo Giureconsulti im Herzen der Stadt stellte Giorgio Armani die Männerkollektion für den nächsten Frühling und Sommer vor. Wie üblich trat er am Schluss auf die Bühne, mitternachtsblauer Pulli, schneeweisse Schuhe, und bedankte sich mit einem Knicks für den Applaus des Publikums.

Fast alles war wie immer, nur etwas war anders: Giorgio Armani wurde beim Gehen links und rechts von zwei Personen gestützt.

Exit mobile version