Heute werden die virtuosen Instrumentalisten als Nerds geschmäht. Früher aber waren sie neben den Sängerinnen und Sängern die grosse Attraktion. Slash, Mark Knopfler und David Gilmour erinnern an die hohen Zeiten des E-Gitarren-Kults.
Slash ist ein patenter Rockgitarrist. Zu Recht wird er als Star gefeiert, seit er sein Gerät lodern und krachen liess bei Guns N’ Roses. Vielleicht ist er der grösste Virtuose seiner Generation. Jedenfalls fällt es einem schwer, in der Gegenwart einen namhaften jungen Gitarristen zu finden, der sich mit ihm vergleichen liesse.
Früher, da gab es viele wie Slash. Gewiss stand in der Regel eine Sängerin oder ein Sänger als Galionsfigur im Rampenlicht. Aber jede Band, die bestehen wollte in der Konkurrenz der Stürmer und Dränger, war auch auf unvergleichliche Instrumentalisten angewiesen: Leute wie der Led-Zeppelin-Drummer John Bonham, der Keyboarder Keith Emerson oder der Bassist Jack Bruce genossen internationale Bewunderung. Ganz zu schweigen von den stilbildenden E-Gitarristen – von Jimi Hendrix, Keith Richards und Eric Clapton bis zu Angus Young oder Eddie Van Halen.
Für Nerds und Nischen
Jetzt, da immer seltener neue Rockbands gegründet werden, erscheint auch das Gitarrenspiel wie eine Nerd- und Nischen-Sache. Instrumentalisten werden generell immer häufiger durch digitale Tools ersetzt. Davon kann die Pop-Musik zwar profitieren, weil das Spektrum der Sounds wächst und die Produktion sich verbilligt. Der Rock’n’Roll aber, der von physischer Direktheit lebt, von handgreiflicher Rhythmik und brachialen Sounds, scheint so auf ein künstlerisches Abstellgleis geraten zu sein.
Es stellt sich allerdings die Frage, ob man in Zeiten digitaler Produktion und KI-generierter Musik nicht wenigstens live auf musikalische Handwerker angewiesen bleibt. Denn wer sonst soll der automatisierten Musik auf der Bühne Leben einhauchen? Die Instrumentalisten ganz abzuschreiben, ist aber auch insofern verfrüht, als stilbildende Virtuosen aus dem Schwelbrand des Rock’n’Roll noch immer ein paar Flammen zu schlagen versuchen – wie dieses Jahr Slash, Mark Knopfler und David Gilmour.
Im Mai hat Slash «Orgy of the Damned» herausgebracht. Beim Titel denkt man gleich an eine letzte Orgie ausmanövrierter Rocker, womit man zwar auch nicht ganz falsch liegt. Dem Gitarristen geht es aber vor allem um die Feier alter Blues-Musiker. Er lehnt sich weit in die Blues-Tradition zurück, um zum einen die expressiven Quellen der afroamerikanischen Melodik anzuzapfen. Sein Rückgriff gibt aber auch Aufschluss über die Genese der Rock-Stilistik.
Bei aller Virtuosität und Power ist Slash kein Pionier, kein Innovator. Als begeisterter Epigone hat er vielmehr die Geschichte durchstreift, abgegrast, verinnerlicht. Mit alten Kumpeln an seiner Seite – wie Billy F. Gibbons, Iggy Pop oder Brian Johnson – gibt er jetzt mit Engagement und Routine Blues-Standards zum Besten. In Evergreens wie «Hoochie Coochie Man» von Muddy Waters, «Killing Floor» von Howlin’ Wolf oder «Stormy Monday» von T-Bone Walker gelingt es ihm dabei immer wieder, die melodischen Eigenheiten der Blues-Gitarre hervorzuheben.
Im Blues unterstützte die Gitarre den Gesang rhythmisch und harmonisch. Aber sie sang oft auch selbst. So ergab sich eine Art Zwiegespräch zwischen dem Künstler und seinem Instrument, das mit weiblichen Projektionen aufgeladen wurde. B. B. King hat seine Gitarre bekanntlich liebevoll Lucille genannt.
Expressive Extreme
Der dialogische Austausch zwischen Gitarre und Gesang hat sich später auch als Muster des Rock’n’Roll bewährt. Wobei die beiden Parts nun zwischen einem Sänger und einem Instrumentalisten aufgeteilt wurden. Über die rhythmische Begleitung und Kommunikation hinaus hat die elektrische Gitarre ausserdem die emotionalen Extreme durch ihre heulenden und kreischenden Sounds dominiert.
Unter Strom gesetzt durch den Verstärker, verzerrt oder gefiltert überdies durch ein wachsendes Arsenal von Klangeffekten, hat sie einerseits den orgiastischen Expressionismus der Rockmusik geprägt. Andrerseits bestimmte sie auch das Arsenal der Posen. Die Rocker haben ihre Gitarren bald in martialischen, bald in sexualisierten Gesten in Szene gesetzt. Und die Fans kopieren die stereotypen Bewegungen auf ihren Luftgitarren.
Jenseits ekstatischer Extreme gedieh der Rock’n’Roll indes auch in kontrollierten Bahnen. Bei Bands wie Pink Floyd etwa wurde ein geradezu bildungsbürgerlicher Ehrgeiz kultiviert, der über kämpferische Töne und rauschhaften Lärm weit hinausging. Man wollte Rock als Kunstmusik kultivieren. Und das setzte von jedem Bandmitglied Qualitäten voraus, die man zuvor eher aus dem konzertanten Jazz kannte: technische Virtuosität und Originalität bei Spielweise und Sound.
David Gilmour war schon immer exemplarisch für das gezähmte Gitarrenspiel. Sein Stil ist charakterisiert durch das Paradox einer dressierten Ekstase. Emotionale Überschüsse führt er ab in lange Kantilenen, die mitunter auch vom Blues inspiriert sind, aber mit Folk und Fusion verdünnt werden.
An der Seite von Roger Waters hat er den Pink-Floyd-Sound mitentwickelt. Als Bandleader oder Solist fehlte es ihm später aber an einem Gegenpart. Auch auf dem neuen Soloalbum «Luck and Strange» gibt es keine Spannung zwischen seinem Gesang und seiner Gitarre. Als Sänger versprüht er noch einen gewissen Altherrencharme.
Als Gitarrist zieht er aber zu viele Register, um alle Erwartungen an hochtrabende Virtuosität und ausufernde Melancholie zu bedienen. Aufgeblasene Klischees und esoterischer Überschwang machen sich so breit in seiner Musik, dass dem lebendigen Ausdruck prompt die Luft ausgeht.
Ein charakteristischer Klang
Ähnlich wie Gilmour ist auch Mark Knopfler ein Musiker, der die Gitarre eher zähmt als forciert. Wie die meisten stilbildenden Instrumentalisten ging er durch eine epigonale Phase, wie ein Slash hat er seine Idole lange kopiert, um schliesslich den sanften Anriss der Saiten – er verzichtet auf ein Plektrum – und das Laid-back-Feel seiner Phrasierung zu entwickeln, die seine Spielart unterdessen charakterisieren.
Als Leader von Dire Straits war er gleichzeitig Sänger und Gitarrist. Und obwohl der Pop-Rock der britischen Band manchmal in etwas seichtere Sounds abwich, erinnerte seine Musikalität an die dialogischen Muster des Blues. Das zeigt sich auch jetzt wieder auf seinem neusten Album, «One Deep River». Die Songs zeugen von Routine und Reife. Aber Knopflers Gesang wirkt oft brav, blass, zu abgeklärt.
Wenn Mark Knopfler jedoch seine Gitarre bluesig singen lässt, ist noch immer Hitze und Spannung im Sound zu spüren. Und so lässt der Vergleich der drei Gitarrenvirtuosen einen erstaunlichen Schluss zu: je tiefer die Gitarristen in die Blues-Tradition und die Rock-Geschichte greifen, desto lebendiger, packender klingen ihre aktuellen Werke.