Donnerstag, Januar 16

Die grüne Bundestagsvizepräsidentin bezweifelt in der ARD-Talkshow «Hart, aber fair», dass sich Deutschlands Probleme lösen liessen, indem man Migrationsprobleme löse. Der Christlichdemokrat Jens Spahn sieht darin eine «Migrationsleugnung».

Katrin Göring-Eckardt fluchte, um ihre Aussage zu verstärken. «Verdammt wenig» habe das Thema Migration mit dem Alltag der Menschen in Deutschland zu tun. Das sagte die Grünen-Politikerin und Bundestagsvizepräsidentin am Montagabend in der ARD-Talkshow «Hart, aber fair». Göring-Eckardt bezog sich auf eine Aussage des Kanzlerkandidaten der Christlichdemokraten, Friedrich Merz. «Herr Merz hat gerade gesagt, wir müssen das mit der Migration regeln, sonst können wir gar nichts anderes mehr regeln», sagte Göring-Eckardt, ehe sie noch fragte: «Glauben wir denn wirklich, wenn wir Hatice abschieben, wird Oma Gerda die Butter wieder bezahlen können?»

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Sie selbst verneinte ihre Frage entschieden. Die Mehrheit der deutschen Wählerinnen und Wähler aber dürfte das differenzierter sehen. Vor den Neuwahlen am 23. Februar ist die Migration eines der bestimmenden Themen im Wahlkampf. Von Migranten begangene Anschläge in Magdeburg, Solingen und Mannheim haben im vergangenen Jahr dazu beigetragen.

Polizeigewerkschafter widersprechen

54 Prozent aller Frauen in Deutschland fühlten sich laut einer Umfrage der ARD im vergangenen Herbst unsicher im öffentlichen Raum. Andreas Rosskopf, der Vorsitzende der Gewerkschaft der Bundespolizei, sagte der «Bild»-Zeitung, dass Göring-Eckardts Aussage durch die Statistik widerlegt sei. Die Bundespolizei beobachte «eine rasant steigende Tendenz bei den Straftaten, gerade im Bereich der Bahnhöfe. Hierbei liegt die Zahl von den ermittelten nicht deutschen Angreiferinnen und Angreifern bei über 50 Prozent», sagte Rossbach.

Manuel Ostermann, Bundespolizist und Vizechef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), wandte sich auf X direkt an Göring-Eckardt: «Ich finde es erschreckend, wie sehr Sie an der Realität der Menschen vorbeileben.» Die Migrationskrise habe tagtäglich Auswirkungen auf die Menschen in Deutschland, schrieb Ostermann.

Nach den Europawahlen im vergangenen Sommer haben zudem 44 Prozent der befragten Wähler in Deutschland angegeben, dass das Thema Migration und Asyl das für sie wichtigste Thema für ihre Wahlentscheidung gewesen sei. Das ergab eine Umfrage des Europäischen Parlaments. Deutschland war laut den Ergebnissen das einzige Land in der EU, in dem vor allem die Migration die Wahlentscheidung bestimmte.

Die «Bild»-Zeitung zitiert zudem eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa aus dem vergangenen November, laut der 27,5 Prozent der Deutschen das Thema Migration als wahlentscheidend ansehen. Nur das Thema Wirtschaft beschäftigt mit 31,7 Prozent der Befragten noch mehr. Es scheint also, als habe das Thema Migration durchaus Alltagsrelevanz für die Deutschen.

Wenig überraschend, dass Politikerinnen und Politiker aller Parteien nun im Wahlkampf betonen, dass Handlungsbedarf bestehe. Die Aussage von Friedrich Merz, auf die sich Göring-Eckardt in «Hart, aber fair» bezog, lautete: «Wir werden die Probleme in Deutschland nicht lösen können, wenn wir die Zahl der Migranten nicht strikt begrenzen.» Illegale Migration müsse gestoppt, legale gesteuert werden. Das sagte der CDU-Chef auf der Klausurtagung der CSU Anfang Januar im bayrischen Seeon-Seebruck.

«Wahnsinnige» Probleme in Deutschland

In einer Hinsicht gab ihm Göring-Eckardt nun recht. Sie sprach davon, dass es «wahnsinnige Probleme» gebe in Deutschland. Investitionsstau, zum Beispiel. Und natürlich gebe es auch Probleme mit Migranten. Darüber müsse man auch sprechen, «aber nicht so tun, als wäre das das Hauptproblem, das wir haben». Sie stellte in Zweifel, dass die deutschen Probleme sich lösen liessen, «wenn wir weiter über Migration reden und dieses Land spalten».

Merz’ Parteikollege Jens Spahn, der frühere Gesundheitsminister, redete am Montagabend weiter über Migration. Spahn sass Göring-Eckardt gegenüber und forderte, dass die Zahl irregulärer Zuwanderung sofort «auf null» gestellt, Asylverfahren aus Europa ausgelagert und nur noch Kontingente von Flüchtlingen in Absprache mit den Vereinten Nationen übernommen werden sollten. «Wir sind kein Einwanderungsland, wir sind ein Einreiseland», sagte Spahn. Auch zu den Äusserungen von Göring-Eckardt hatte er eine klare Meinung: «Das nenne ich Migrationsleugnung», sagte Spahn.

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