Wer will, darf in die Jonglierlektion. Oder in die Strickstunde.
Die Fussball-EM der Frauen ist das Schweizer Sportereignis des Jahres. Die Nachfrage nach Karten ist gross, nur für wenige Begegnungen sind noch Tickets erhältlich. Bereits ausverkauft sind die fünf Spiele im Zürcher Letzigrund.
Doch Zürich wäre nicht Zürich, wenn man sich darauf beschränken würde, 22 Fussballerinnen 90 Minuten lang bei ihrem Sport zuzusehen. Das wäre zu wenig intellektuell, zu wenig einordnend, zu wenig sozialkritisch. Also musste ein Begleitprogramm her, und zwar ein kulturelles. Am Freitag ist es vorgestellt worden.
45 Kulturinstitutionen aus der Stadt und dem Kanton Zürich machen mit. Sie meinen, ganz genau zu wissen, welche Themen den kulturell interessierten Fussballfans am meisten unter den Nägeln brennen: Fankulturen, Genderrollen im Sport sowie Gleichstellung. Diese Schwerpunkte, so schreibt der Verein Kulturvermittlung Zürich, sollten «in ihrer ganzen Breite abgebildet und diskutiert» werden.
Und dies an über siebzig Programmpunkten. Der Kick-off ist Anfang Mai.
Wo also findet man die Diskussionen über Genderrollen und Gleichstellung? Nun, zum Beispiel in der Social-Media-Kampagne des Heimatschutzzentrums in der Villa Patumbah. Sie beschäftigt sich mit einer Frage, die gerade für den geplanten Stadionneubau in Zürich entscheidend sein wird: Werden die Bedürfnisse der Frauen als Fans und Spielerinnen in neuen architektonischen Stadionprojekten berücksichtigt?
Ebenfalls akademisch, aber eher sozialwissenschaftlich, geht es an einer Veranstaltungsreihe in Winterthur zu und her: Dort gibt es antirassistische Workshops, die sich mit «intersektionaler Diskriminierung» und Mikroaggressionen auseinandersetzen. Durchführungsort ist das Haus der Solidarität, und dieses greift das Thema Diskriminierung, apropos Architektur, mit seiner Bausubstanz sehr schön auf – der Seminarraum ist nämlich nicht rollstuhlgängig.
Um Mikroaggressionen der textilen Art geht es in einem Workshop mit Fussballtrikots: Wer immer schon ein FCZ-Shirt (oder eines von GC!) zerfetzen wollte, darf dies hier in einer geschützten Umgebung tun. Kleiner Schönheitsfehler: Die malträtierten Stücke werden anschliessend nicht etwa unter Absingen wüster Fangesänge verbrannt (das CO2!), sondern, man ist ja im Netto-Null-Zürich, zu einem neuen Kleidungsstück upgecycelt und an einer Modeschau präsentiert.
Vielleicht eher nicht mit einem zerrissenen FC-Zürich-Leibchen auftauchen sollte man bei der Fotoausstellung über die Anfänge des Schweizer Frauen-Nationalteams. Die Werke werden nämlich im FCZ-Museum gezeigt. Eine weitere Ausstellung im gleichen Museum heisst «Einwurf» – gemeint ist wohl der Ball oder der Einwand und nicht die Malträtierung eines Tramfensters.
Anschläge und rechte Maschen
Eine eher traditionelle Auslegung der Genderrollen dürfte bei einem Workshop des Museums für Gestaltung im Zentrum stehen: Man lernt dort, wie man strickt, und zwar einen typografischen Fanschal. Das ist eine Version, die ein Wort zeigt. Fans von Deutschland müssen also mehr Zeit einplanen als die Unterstützer von Polen.
Das Museum für Gestaltung weist darauf hin, dass für den Strickkurs gewisse Grundvoraussetzungen zu erfüllen sind: Man muss wissen, was ein Anschlag ist und wie rechte Maschen funktionieren – das Strickvokabular weist bemerkenswerte Gemeinsamkeiten mit dem Wortschatz der militanten politischen Agitation auf.
Eigentliche Sportveranstaltungen sind im Kulturprogramm übrigens auch dabei. Mädchen ab 6 Jahren dürfen auf der Josefswiese ein spielerisches Fussballtraining absolvieren. Und an den Afro-Pfingsten in Winterthur gibt es ein Tischfussball-Turnier. Ob die Töggelikästen die Bedürfnisse der Frauen als Fans und Spielerinnen berücksichtigen, wäre ein Aspekt, der das Heimatschutzzentrum in der Villa Patumbah möglicherweise noch aufnehmen könnte.
Nicht vergessen werden dürfen schliesslich die Jonglage-Workshops – gibt es eine bessere Sportart, um zu illustrieren, unter welcher Mehrfachbelastung Frauen und Mütter stehen?
Die Stadt und der Kanton Zürich finanzieren die Initiative mit 150 000 Franken. Gut möglich, dass diese Ausgabe politisch noch ein Nachspiel haben wird.