Samstag, Oktober 5

Der Bundesrat hat am Mittwoch die zweite Etappe der Umsetzung der OECD-Mindeststeuer beschlossen. Das Motto: Die Schweizer Konzerne zahlen gescheiter im Inland Sondersteuern als im Ausland.

Seit Anfang dieses Jahres greift in der Schweiz die globale Mindeststeuer für Grosskonzerne. Internationale Firmen mit einem weltweiten Jahresumsatz ab 750 Millionen Euro müssen im Grundsatz in jedem Land mit relevanten Aktivitäten mindestens 15 Prozent Gewinnsteuer zahlen. Das war der Kern einer Kartellabsprache unter der Ägide des Ländervereins OECD, der sich fast 140 Länder angeschlossen hatten.

In der Schweiz liegt die reguläre Gewinnsteuerbelastung oft weiterhin unter 15 Prozent. Der Landesdurchschnitt unter Berücksichtigung von Sondervergünstigungen liegt grob geschätzt bei 13 bis 14 Prozent. Doch der Bundesrat hatte vergangenen Dezember auf Anfang 2024 die Einführung einer speziellen Ergänzungssteuer für jene Firmen beschlossen, die von den OECD-Regeln betroffen sind. Die Rechtsgrundlage liefert die Bundesverfassung kraft des Urnengangs vom Juni 2023. Hat eine betroffene Firma zum Beispiel eine reguläre Steuerbelastung in der Schweiz von 13 Prozent des Gewinns, greift eine Ergänzungssteuer von 2 Prozent.

Lieber hier als dort

Das Kernargument für diese Ergänzungssteuer: Wenn die Schweiz einen solchen Aufschlag nicht erhebt, kann dies ein anderes Land machen – deshalb ist es besser, wenn die Zusatzerträge im Inland anfallen. Laut den globalen Regeln haben bei Unterbesteuerung einer Firma in einem Land die anderen Länderstandorte des betroffenen Konzerns das Recht, eine Zusatzsteuer zu erheben.

Würden also Schweizer Grosskonzerne oder Schweizer Ableger von ausländischen Konzernen hierzulande auf ihren massgebenden Schweizer Gewinnen nur 13 Prozent Steuern zahlen, könnten Deutschland, Frankreich oder andere Standorte der betroffenen Firmen eine Sondersteuer von 2 Prozent auf den Schweizer Gewinnen erheben.

Gemäss Fahrplan der OECD und der EU sollte die Mindeststeuer ab 2024 greifen. Für die grenzüberschreitende Abschöpfung zur «Korrektur» einer Unterbesteuerung in einem anderen Land gibt es zwei Typen. Gemäss OECD und EU-Fahrplan ist eine solche Abschöpfung ebenfalls ab 2024 möglich, wenn ausländische Tochterfirmen einheimischer Konzerne unterbesteuert werden. Der Jargon spricht von IIR (für Income Inclusion Rule). Eine Schweizer IIR auf ausländischen Gewinnen griffe dann, wenn zum Beispiel eine ausländische Tochter von Nestlé oder Novartis am Sitz der Tochter weniger als 15 Prozent Gewinnsteuern zahlen müsste.

Eine Abschöpfungsmöglichkeit bei Konzernen mit ausländischem Hauptsitz ist dagegen erst ab 2025 vorgesehen. Oder in gewissen Fällen erst ab 2026 – etwa wenn der Hauptsitz des betroffenen Konzerns in den USA liegt. Dieser Typus von Aufrechnungssteuer heisst im Jargon UTPR (Under-Taxed Payments Rule). Eine Schweizer UTPR könnte dann greifen, wenn zum Beispiel Töchter von deutschen oder amerikanischen Konzernen an Standorten ausserhalb der Schweiz unterbesteuert wären.

Eher europäisch als global

Doch welche Länder setzen welche Teile des globalen Abkommens tatsächlich um? Einen aktuellen Überblick liefern Erhebungen der grossen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und ein vom Bund bestelltes Gutachten des Zürcher Steuerrechtsprofessors René Matteotti.

Laut diesen Angaben haben die meisten EU-Länder die eigene Mindeststeuer und die grenzüberschreitende Aufrechnung via IIR auf 2024 umgesetzt und setzen voraussichtlich die Aufrechnungssteuer via UTPR per 2025 um. Ausserhalb der EU gilt dies für Länder wie das Vereinigte Königreich, Australien, Japan, Südkorea und die Türkei.

In diversen grossen Staaten wie den USA, China, Indien und Brasilien sind dagegen keine Umsetzungspläne ersichtlich. Gemäss einer Erhebung der Beratungsfirma PwC dürften 2025 in gut vierzig Ländern die Mindeststeuer sowie die IIR-Abschöpfung greifen, während etwas über dreissig Länder eine UTPR-Abschöpfung haben dürften.

Die mutmasslich «globale» Mindeststeuer ist also zurzeit vorwiegend eine europäische Angelegenheit. Aber da manche Länder bei Unterbesteuerung durch andere Staaten eine grenzüberschreitende Abschöpfung vorsehen, dürften viele internationale Konzerne mit steuerlich relevanter Präsenz in bedeutenden Märkten kaum um die Mindeststeuer herumkommen. Bei einer Unterbesteuerung im Land des Konzernhauptsitzes würde es genügen, wenn nur schon ein einziger anderer Standort des betroffenen Konzerns grenzüberschreitende Aufrechnungssteuern eingeführt hat.

Einmal ja, einmal nein

Das erwähnte Gutachten von René Matteotti erinnert indes auch daran, dass die grenzüberschreitende Abschöpfung via UTPR juristisch nicht unbestritten ist. Laut einer Lesart könnte diese Art der Abschöpfung im Widerspruch zu vielen traditionellen Doppelbesteuerungsabkommen stehen. Zudem gibt es politische Widerstände vor allen in den USA. Republikanische Politiker fordern Vergeltungsmassnahmen gegen Staaten, welche US-Konzerne via UTPR-Abschöpfung besteuern.

Der Bundesrat verzichtete im vergangenen Jahr «vorerst» auf die Inkraftsetzung von grenzüberschreitenden Aufrechnungssteuern. Am Mittwoch hat er aber entschieden, die Abschöpfung via IIR auf Anfang 2025 einzuführen.

Die potenziell betroffenen Schweizer Konzerne hatten sich im Grundsatz grossenteils für eine solche Abschöpfung ausgesprochen. Gespiegelt war dies in Positionsbezügen der Wirtschaftsverbände Swissholdings und Economiesuisse. Diese Haltung beruht auf der Annahme, dass betroffene Konzerne ohnehin nicht um eine grenzüberschreitende Abschöpfung herumkommen dürften. Der Gutachter Matteotti ortet dies als das wahrscheinliche Szenario.

So gilt eine Abschöpfung durch die Schweiz als kleineres Übel im Vergleich zu einer Abschöpfung durch einen anderen Staat via UTPR. Das Verhältnis der hiesigen Konzerne zu den Steuerbehörden in der Schweiz ist eingespielt, und UTPR-Verfahren dürften mit mehr Aufwand und Rechtsunsicherheit verbunden sein. Wenn zudem mehrere Staaten Anspruch auf UTPR-Steuern erheben, kann dies zu Streitigkeiten führen; vorgesehen wäre in solchen Fällen die Aufteilung der Steuer proportional zur Substanz der betroffenen Firma an den involvierten Standorten.

Die Schweizer IIR-Aufrechnungssteuer könnte laut grober Bundesschätzung pro Jahr etwa 500 Millionen bis 1 Milliarde Franken bringen. Davon gehen ein Viertel an den Bund und der Rest an die Kantone.

Auf wackligen Füssen

Im Einklang mit den Wünschen der Wirtschaft verzichtet der Bundesrat hingegen «bis auf weiteres» auf die Einführung der UTPR-Abschöpfung. Die Risiken würden die potenziellen Einnahmen überwiegen, erklärte die Regierung – auch mit Verweis auf das Gutachten Matteottis. Der Autor hatte im Wesentlichen vier Argumente gegen die Einführung der UTPR-Aufrechnungssteuer vorgebracht: rechtliche Unsicherheiten, geringes Ertragspotenzial, amerikanischer Druck und Standortüberlegungen. Ein Aufschub ermögliche es der Schweiz, «die politischen Entwicklungen in den USA und deren Einfluss auf die internationale Steuerpolitik abzuwarten, ohne in den nächsten zwei Jahren signifikante Steuereinnahmen zu verlieren».

Das Projekt der globalen Mindeststeuer steht auf eher wackligen Füssen. Die USA foutieren sich darum, obwohl sie die Vereinbarung mitunterzeichnet hatten, und auch andere aussereuropäische Grossmächte sind skeptisch. Einiges hängt von den kommenden US-Wahlen ab. Ein Sieg der Republikaner könnte scharfen Gegenwind für das OECD-Projekt bedeuten. Doch mehr als Kaffeesatzlesen ist das derzeit nicht.

Flexibilität gefordert

Die Schweizer Wirtschaftsverbände erwarten vom Bundesrat «Flexibilität» für die Zukunft. Gemeint ist: Sollte das OECD-Projekt zusammenbrechen, solle der Bundesrat die Schweizer Zusatzsteuern überdenken. Die Regierung sagte am Mittwoch dazu nur, dass man die internationale Entwicklung «weiterhin intensiv beobachten» werde.

Bis das Parlament die neue Verfassungsnorm zur OECD-Mindeststeuer in ein Gesetz gegossen hat, kann der Bundesrat in diesem Dossier per Verordnung regieren. Das ermöglicht grössere Flexibilität: Es braucht keinen formellen Parlamentsbeschluss, und ein Referendum gegen Verordnungsänderungen wäre nicht möglich. Doch der Bundesrat müsste bei allfälligen künftigen Diskussionen über einen Kurswechsel gegen ein eisernes politisches Gesetz kämpfen: Ist eine Steuer einmal eingeführt, bringt man sie kaum mehr weg.

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