Freitag, März 14

Die milliardenschweren Subventionsprogramme der Grossmächte verzerren den Wettbewerb, sind für die Schweiz per saldo aber nicht schlimm. Das sagt der Bundesrat, der sich am Mittwoch gegen Subventionen für spezifische Branchen und Betriebe aussprach.

Die EU-Länder tun es. Die Amerikaner tun es. Die Chinesen tun es. Die Japaner tun es. Sollten die Schweizer da nicht mitziehen? Die Rede ist von milliardenschweren Subventionsprogrammen und/oder Schutzzöllen für Industrien von mutmasslich «kritischer» oder «strategischer» Bedeutung. Je nach politischem Gusto und je nach Einfluss von Branchen in einem Land können verschiedene Sektoren als «strategisch» gelten. Zum Beispiel die Sektoren Halbleiter, Stahl, Autos, Batterien, gewisse Rohstoffe und alles, was sich unter dem Titel «Klimapolitik» verkaufen lässt.

Der weltweite Subventionswettlauf hat sich in den letzten Jahren noch stark beschleunigt. Der Begriff «Globalisierung» ist aus der Mode gefallen. Stattdessen reden Politiker häufiger über die Reduktion von Abhängigkeiten und die Stärkung der einheimischen Produktion. Zentrale Treiber sind die Corona-Pandemie, der Krieg in der Ukraine, Chinas Aggressivität und das Klimaproblem.

So haben zum Beispiel die USA 2022 unter dem irreführenden Titel «Inflation Reduction Act» (IRA) ein Gesetzesprojekt beschlossen, das im Namen der Klimapolitik und der Stärkung des Produktionsstandorts unter anderem hohe Subventionen für die Industrie und die Konsumenten verspricht. Je nach Schätzungen dürften kraft dieses Gesetzes innert zehn Jahren knapp 400 Milliarden bis etwa das Dreifache davon an Subventionen fliessen.

Dopingproblem à la Radsport

In der EU hatten Subventionen im Namen der Klimapolitik schon seit längerer Zeit Hochkonjunktur. Dennoch reagierte die EU 2023 auf die amerikanischen Ankündigungen mit einem «Industrieplan», der bestehende Subventionstöpfe umbenannte, gewisse Neugelder sprach und die Regeln für staatliche Beihilfen der Mitgliedstaaten weiter lockerte. Die neue Zahl zum umbenannten EU-Subventionstopf zuhanden der Schlagzeilen: 270 Milliarden Euro.

Brüssel und Washington zeigten zudem mit dem Finger auf China, das die Frechheit hatte, Subventionen für gewisse Industrien mit noch grösserer Lockerheit zu verteilen als die westlichen Grossmächte. Der Westen reagierte mit Strafzöllen (USA) und der Androhung von solchen (EU).

Die Sache erinnert an das Dopingproblem im Radsport: Betreibt der Konkurrent Doping, sieht man sich unter Druck, das Gleiche zu tun, um eine Chance zu haben. So ist auch in der Schweiz der politische Druck für eine «Industriepolitik» im Sinne der Subventionierung spezifischer Branchen und Betriebe gestiegen. Ein parlamentarischer Vorstoss von 2023 verlangte vom Bundesrat einen Bericht zu den Folgen der ausländischen Subventionsprogramme für die Schweiz und zu möglichen Schweizer Antworten.

Das Parlament forderte zudem 2023 via Motion vom Bundesrat ein Massnahmenpaket zur Abfederung der Marktungleichgewichte, welche durch die massive Energie- und Industriepolitik der EU zugunsten der Stahl- und der Aluminiumindustrie entstanden seien. Der Auslöser jenes Vorstosses waren die Probleme von Stahl Gerlafingen. Stahl Gerlafingen sei für die Schweiz «systemrelevant», behaupteten die Befürworter der Motion im Namen der «Kreislaufwirtschaft». Gewisse EU-Länder wie Deutschland, Frankreich und Italien hatten die Energiepreise für Grossverbraucher künstlich verbilligt, was für Schweizer Produzenten einen bedeutenden Konkurrenznachteil brachte.

Stahl Gerlafingen ist zudem ein Opfer des Stahlstreits EU – USA: Exporte in die EU sind laut Schweizer Angaben seit 2023 wegen der EU-Kontingentspolitik faktisch blockiert – trotz bestehendem Freihandelsabkommen. Die Krise des Stahlwerks Gerlafingen hat dieses Jahr in Bundesbern weitere Vorstösse inspiriert, die im Juni ins Parlament kommen. Einer der Vorstösse verlangt «Notmassnahmen für Stahl Gerlafingen» – und dies «gegebenenfalls mit Notrecht». Eine weitere Motion von diesem April bezieht sich auf die Schliessung der letzten Schweizer Glasfabrik durch Vetropack im Kanton Waadt und verlangt vom Bundesrat eine «Industriestrategie».

So schlimm ist es nicht

Am Mittwoch hat der Bundesrat seine Antworten geliefert. Sein neuster Lagebericht zur Schweizer Volkswirtschaft geht ausführlich auf die Auswirkungen der Subventionsprogramme der USA (IRA) und der EU (Industrieplan) auf die Schweiz ein. Diese Programme haben laut der Regierung positive und negative Effekte auf die Schweiz. Positiv: Schweizer Konsumenten und Industrienachfrager profitieren von günstigeren Importen, und Schweizer Firmen können unter Umständen durch Herstellung im Ausland auch ausländische Subventionen erhalten. Negativ: Es kann Produktionsverlagerungen und Marktanteilsverluste zulasten des Schweizer Wirtschaftsstandorts geben.

Auf Basis einer bestellten externen Studie kommt der Bundesrat zu dem Schluss, dass sich die positiven und die negativen Effekte ungefähr aufheben. Grundlage dieses Ergebnisses sind Modellschätzungen, eine Firmenumfrage und Fallstudien zu einzelnen Industrien. Unter dem Strich kommt die Studie für das amerikanische Subventionsprogramm IRA und den EU-Industrieplan auf einen kurz- bis mittelfristig negativen Effekt in der Schweiz von 0,06 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Angesichts der grossen Schätzunsicherheiten entspricht das einer roten Null. Dieser Saldo verdeckt allerdings, dass es Gewinner und Verlierer gibt.

Die kleine Zahl erklärt sich unter anderem damit, dass die genannten Subventionsprogramme der USA und der EU gemessen an deren Gesamtwirtschaft überschaubar sind – mit einer Grössenordnung der Subventionen von 0,14 bis 0,4 Prozent pro Jahr in den USA über zehn Jahre und von 0,5 bis 0,6 Prozent pro Jahr in der EU.

Auch Bern subventioniert

Die Schweiz solle in diesem Wettlauf um sektorspezifische Subventionen nicht mitmachen, befindet der Bundesrat. Er fühlt sich durch die Ergebnisse der besagten Studie in seiner bisherigen Haltung bestätigt. Hier eine Kurzfassung von einigen seiner Einwände gegen industriepolitischen Aktivismus: Die Schweiz ist mit ihrer Zurückhaltung bisher besser gefahren als andere Länder mit aktivistischer Industriepolitik wie etwa Frankreich und Deutschland; die Forschungsliteratur über die Auswirkungen solcher Industriepolitik zeigt kein klar positives Bild und ist bestenfalls durchwachsen; der Staat hat keine besonderen Qualifikationen zur Eruierung der künftigen «Gewinnerbranchen»; bei der Verteilung staatlicher Subventionen ist der politische Einfluss oft wichtiger als die volkswirtschaftliche Effizienz.

Doch die Schweiz ist keine Heilige unter vielen Sündern. Im Namen der Klimapolitik wirft auch die Schweiz mit Steuergeldern für Subventionen um sich. Laut dem Bundesrat belaufen sich die jährlichen Ausgaben der wichtigsten Subventionsprogramme im Klima- und Energiebereich auf rund 1,3 Milliarden Franken pro Jahr, was knapp 0,2 Prozent des BIP entspricht. Immerhin verzichtet die Schweiz im Unterschied zu den Grossen weitgehend auf betriebs- und sektorspezifische Subventionen sowie auf Strafzölle.

Aussicht auf Entlastung

So will der Bundesrat auch auf spezifische Subventionen für Stahl Gerlafingen verzichten. Stahlwerke sind für die Schweiz nicht systemrelevant, wie ein Papier des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) betont. Systemrelevant ist ein Unternehmen, wenn sein Untergang massivste Schäden für die ganze Volkswirtschaft auslösen würde. Beim Ausfall eines Schweizer Stahlwerks gäbe es laut dem Seco Ausweichmöglichkeiten, besonders auch vor dem Hintergrund globaler Überkapazitäten. Anders gesagt: Wäre das Stahlwerk Gerlafingen für die Schweiz systemrelevant, wäre fast jeder Betrieb ab einer gewissen Grösse systemrelevant und könnte nach Subventionen rufen.

Der Bundesrat betont aber, dass die energieintensiven Unternehmen von den bestehenden und den neuen Förderprogrammen im Energie- und Klimabereich profitieren können. So seien ab 2025 Subventionen von bis zu 50 Prozent der anrechenbaren Kosten für die Dekarbonisierung von Anlagen möglich. Die Energiepreise seien überdies stark gesunken, und auch bei den Netzzuschlägen zeichne sich eine Entspannung ab. So werde der Kapitalkostensatz für Investitionen ins Stromnetz auf 2025 gesenkt und könne in der Folge noch weiter sinken, was für die Verbraucher Einsparungen bringe. Und der Zuschlag für die Finanzierung der Stromreserve werde 2025 von 1,2 auf 0,23 Rappen pro Kilowattstunde sinken.

Der Bundesrat will überdies die Möglichkeit prüfen, dass Grossverbraucher den Zuschlag für die Finanzierung der Stromreserve nicht mehr bezahlen müssen. Dies sofern sie ihren Betrieb im Fall einer Strommangellage einschränken und damit die Stromreserve nicht in Anspruch nehmen.

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