Der Preis des Edelmetalls steigt unaufhaltsam. Ist das weiter eine Kaufgelegenheit, oder ist jetzt die Zeit gekommen, Gewinne zu realisieren?
An den Börsen ist der Schock von Anfang August vergessen. Viele Aktienindizes notieren wieder nahe bei ihren Rekordständen. Die Angst vor einer amerikanischen Rezession ist verflogen. Auch der Goldpreis setzt seinen Höhenflug fort.
Am Dienstag erreichte der Goldpreis ein neues Allzeithoch von über 2500 Dollar pro Feinunze. Bis Ende Woche setzte sich der Kurs etwa auf diesem Niveau fest. Das, obwohl nach dem Börseneinbruch von Anfang August wieder viel Kapital in risikoreiche Anlagen wie Aktien fliesst.
Ein Grund für das Gold-Rally: Weil die Inflation in den USA unter Kontrolle zu sein scheint, gilt eine erste Zinssenkung der US-Zentralbank Fed im September als sicher – und es werden weitere Zinsschritte erwartet. Folglich sinken die Zinsen auf amerikanische Staatsanleihen und auch der Dollarkurs – beides treibt den Goldpreis in die Höhe.
Die Eigenschaft des Goldes als «sicherer Hafen» kommt zusätzlich zum Tragen. Das Edelmetall gilt in unsicheren Zeiten als Fluchtort für Anleger. Die geopolitischen Gefahren im Nahen Osten und in der Ukraine wie auch das offene Rennen bei den US-Präsidentschaftswahlen machen Gold attraktiv: Es profitiert derzeit sowohl von den Qualitäten eines risikoreichen, zinssensitiven Assets als auch von seinen traditionellen Eigenschaften als Absicherung in Krisenzeiten.
Die Bank of China liebt Gold
Aber auch das Kaufverhalten grosser Akteure wie der Zentralbanken spielt bei der Preisbildung eine Rolle. Die Schweizerische Nationalbank (SNB) etwa gehört noch immer zu den zehn grössten Goldbesitzern der Welt. Die SNB hat einen Bestand von etwa 1040 Kubikmetern, was einem Gegenwert von rund 75 Milliarden Franken entspricht.
Der Nationalbank-Bestand hat sich in den letzten Jahren kaum verändert. Diese Haltung zum Gold kontrastiert mit derjenigen der chinesischen Zentralbank. Die Bank of China hat im vergangenen Jahr ihren Goldbestand um 225 Tonnen aufgestockt, das entspricht 5 Prozent der gesamten globalen Nachfrage oder einem aktuellen Gegenwert von 18 Milliarden Dollar.
Das sei der höchste Stand seit den 1980er Jahren, bemerkt Arthur Jurus, Investmentchef beim Vermögensverwalter Oddo BHF. Andere Zentralbanken wie die türkische oder die polnische seien ebenfalls daran, ihre Goldbestände massiv zu vergrössern.
Gemäss Jurus werden diese Käufe weitergehen. Vor allem die Bank of China dürfte weiter zukaufen, denn Gold macht erst rund 5 Prozent ihrer gesamten Reserven aus. Im weltweiten Durchschnitt halten die Zentralbanken rund 16 Prozent ihrer Reserven in Gold.
Zudem seien die Chinesen dabei, ihre grossen Bestände an amerikanischen Staatspapieren abzubauen. Ein Fünftel des Erlöses dürften sie darauf verwenden, physisches Gold zu kaufen. Diese Zentralbank-Käufe zusammen mit den Aussichten auf sinkende Zinsen würden den Goldpreis weiterhin auf einem hohen Niveau halten, glaubt Jurus.
Auch die Schweizer sind im Goldrausch
Dass sich der Goldpreis auf Rekordniveau bewegt, ist auch Sparern in der Schweiz nicht entgangen. Ein regelrechter Goldrausch ist nicht nur an den globalen Finanzmärkten auszumachen, sondern auch im lokalen Goldhandel.
Seit einigen Wochen gebe es im deutschsprachigen Raum genauso viele Verkäufer wie Käufer von Gold, so beschreibt Christian Brenner die aktuelle Marktsituation. Grund für die Verkäufe sei der stark gestiegene Goldpreis. «Privatkunden wollen Gewinne realisieren», sagt er.
Dass sich Kaufwillige und Verkäufer die Waage halten, sei eine sehr aussergewöhnliche Situation, sagt Brenner. Er ist Geschäftsführer von Philoro, einem internationalen Handelsunternehmen für Edelmetalle. Üblicherweise herrsche bei physischem Gold ein Verkäufermarkt, es gebe mehr Kaufwillige als Angebote, sagt er.
Doch viele Private gehen derzeit in die Filialen von Philoro und wollen ihren Goldschmuck oder ihre Vreneli verkaufen. Das führe zur paradoxen Situation, dass die Goldnachfrage in der Schweiz rückläufig sei, weil die Händler von den Privatkunden viel Ware bekommen. Deshalb müssen die Händler kein Gold nachbestellen. Statt Gold als Wertspeicher zu halten oder wegen der herrschenden Unsicherheit zuzukaufen, entscheiden sich offenbar viele Schweizer Goldbesitzer dafür, die Goldhausse zu nutzen, um Geld zu verdienen.
Dass das Angebot auf entsprechende Nachfrage trifft, sei zwar immer wieder punktuell vorgekommen, aber nie über einen solch langen Zeitraum, sagt Brenner. Auch historisch ist das ein seltenes Ereignis. In den frühen nuller Jahren etwa verkauften europäische Zentralbanken Teile ihrer Goldreserven. Zusammen mit einer moderaten Nachfrage führte das zu einem ausgeglichenen Markt. Auch während der Finanzkrise 2008 kam es kurzzeitig zu dieser Situation, wobei der Goldpreis bald nach oben schoss, als sich die Krise verschärfte.
Die Goldhausse dürfte weitergehen
Der Handel im physischen Markt ist derzeit intensiv, und im deutschsprachigen Raum dürften Goldnachfrage und -angebot stark bleiben. Auch in den sonst ruhigen Sommermonaten war hier viel los, «hohe Dynamik beim Goldpreis ist gut für den Handel», sagt Brenner.
Dabei sollte der hohe Goldpreis die Nachfrage nach physischem Gold eigentlich dämpfen, da der Kauf des Edelmetalls teurer wird. So waren etwa die Goldimporte nach China und Indien im Juli stark rückläufig. Doch in den kommenden Monaten dürfte auch dieser Trend kehren.
Denn Ende September und im Oktober beginnt in Indien die Festperiode. Bei religiösen Feiern wie dem Dashahara gilt Gold als besonders verheissungsvoll. Gold gilt als Medium, um Wohlstand und Reichtum in den Haushalt zu bringen – deshalb wird in dieser Zeit in Indien viel physisches Gold gekauft. Auch in der Vorweihnachtszeit steigt wegen der Schmuckherstellung generell die Nachfrage.
Der Goldpreis wird zwar stark vom Derivatemarkt bestimmt, wo mit viel grösseren Mengen spekuliert wird als im physischen Goldmarkt, dennoch gibt er wichtige Hinweise hinsichtlich der herrschenden Marktdynamik. So nehmen auch die Zuflüsse in Indexfonds zu, die den Goldpreis abbilden und dafür teilweise auch Gold einlagern müssen.
Der Edelmetallexperte Brenner bemerkt, dass es in den letzten drei Jahren mehr Abflüsse als Zuflüsse bei physischen Gold-ETF gab. Doch dieser Trend habe gekehrt, auch die Fonds kauften wieder zu. Gemäss Daten des World Gold Council sind die Goldbestände dieser ETF seit Mai um 90 Tonnen gestiegen. Angesichts sinkender Zinsen und Haltekosten dürfte sich dieser Trend fortsetzen und die Goldnachfrage stützen.