Montag, November 25

War Jesus männlich? Das war während Jahrhunderten nicht selbstverständlich. Der Theologe Anselm Schubert zeigt, wie divers das Christentum war, lange bevor man wusste, was Diversität ist.

Muss das sein? Braucht Jesus wirklich ein anderes Geschlecht? Wenn ja, welches? Die Auswahl ist gross – Facebook bietet seinen Nutzern schon seit 2014 an, unter 60 Geschlechtsidentitäten zu wählen, von A wie androgyn bis Z wie Zwitter. Das fluide Gender-Selbstverständnis hat sich im Zeitgeist eingenistet. Gefeiert von den einen, hartnäckig bekämpft von den anderen. Kurzum, ein weiteres gesellschaftliches Schlachtfeld. Von dem man ihn, Jesus, eigentlich gerne fernhalten möchte.

Nun ist da aber Anselm Schubert. Der deutsche Theologe und Professor für Kirchengeschichte an der Universität Erlangen hat ein Buch veröffentlicht, das die gegenteilige Intention zu haben scheint. Der Titel «Christus (m/w/d)» könnte nahelegen, hier sei einer angetreten, um sich für die queere Agenda starkzumachen. Dass er dabei ausgerechnet auf das Schwergewicht des Christentums setzt, dürfte bei Gläubigen Unmut hervorrufen.

Grund, in Schnappatmung zu verfallen, gibt es allerdings nicht. Anselm Schubert macht nämlich nichts weiter als seine Arbeit. Hier schreibt kein verblendeter Aktivist, sondern jemand, der geschichtlich forscht, solide und profund, und dabei auf den wohl letzten blinden Fleck des Christentums gestossen ist. Denn: Die Behauptung, Christus sei ein Mann gewesen, war über all die Jahrhunderte keineswegs so selbstverständlich, wie man annehmen könnte.

Die Wunde Christi

Schubert schlägt den Bogen von der Antike über das Mittelalter bis in die Moderne und stöbert dabei die unterschiedlichsten geschlechtlichen Konzepte auf, die sowohl dem historischen Jesus wie auch dem verkündigten Christus zugeschrieben wurden. Manches ist vertraut, anderes irritierend, mindestens aber überraschend, bisweilen skurril.

So huldigten viele gläubige Frauen des Spätmittelalters der Legendengestalt Wilgefortis, einer jungen, vollbärtigen Frau im Gewand Christi, die der Vater ans Kreuz schlagen liess. Auch war es nicht unüblich, Christus als Mutter zu verehren. Ist er es doch, der Trost gibt und Nachsicht übt, sich also in einer Art weiblicher Fürsorge versteht.

Ohnehin kochten im Mittelalter, also lange vor den feministischen Vorstössen, Debatten unter Theologen, ob sich Jesus auch als Frau hätte inkarnieren können. Für manche Christen hatte die Seitenwunde Christi, die ihm bei der Kreuzigung zugefügt wurde, gar eine erotische Konnotation, erschien sie ihnen doch wie eine Vulva, in die sie, wie aus einer Schrift überliefert ist, ihre «heilige Lanze» hineinstossen und geistlich einziehen konnten.

Adam – weder Mann noch Frau

Auch der Kult um Katharina von Siena, die im 14. Jahrhundert eine mystische Hochzeit mit Christus vollzogen haben will, war aufgeladen von Verschmelzungsphantasien. Sie selbst berichtete, Jesus hätte ihr zur Vermählung einen fleischlichen, aus seiner Vorhaut bestehenden Ring geschenkt. Inspiriert durch die Schriften des Mystikers Jakob Böhme gerät wiederum ab 1670 die Androgynität von Christus in den Vordergrund, in Verwandtschaft zu Adam, der laut frühchristlichen Theologen weder männlich noch weiblich gewesen sein soll, sondern beides.

Auf der von Schubert gewählten Folie wird ein überraschend diverses Christentum sichtbar. Das beweist, dass es mitnichten hinreichend beschrieben ist, wenn man nur auf dessen – natürlich ebenso vorhandene – dogmatische Enge verweist. Was der evangelische Kirchenhistoriker zutage fördert, und zwar angenehm unaufgeregt, ist zum einen ein notwendiger Beitrag zur Versachlichung der ideologisch enorm aufgeladenen Gender-Debatte, die leicht ins Hysterische abdriftet. Zum anderen gibt Schubert einen erfrischenden Anstoss, sich in den eigenen einbetonierten Weltanschauungen erschüttern zu lassen.

Was also lässt sich tatsächlich über einen Menschen sagen, der vor über zweitausend Jahren in Bethlehem geboren wurde, in Nazareth aufwuchs und schliesslich als Wanderprediger unterwegs war? Was teilt das Neue Testament zuverlässig über ihn mit, was wurde variiert oder so ausgelegt, dass es der jeweils gängigen Lehre entsprach? Sind die ausserkanonischen Texte, die bei Ausgrabungen und in Bibliotheken gefunden wurden, näher an der Wahrheit dran oder ihr ferner?

Weiblich, männlich, queer

Wahr ist, dass jeder, der sich mit Jesus Christus beschäftigt, immer auch in eigenen Bildern und Projektionen hängen bleibt. Die Geschlechterfrage eingeschlossen. Und zwar sowohl dort, wo die Männlichkeit Christi als unumstösslich gilt, als auch da, wo weibliche, androgyne oder queere Konzepte ihre Anhängerschaft haben. Schubert selbst sucht keine Festlegung: «All diese Christusbilder können ihr Recht haben, dürfen aber nicht den Anspruch auf Alleingültigkeit erheben.»

Allerdings können sich Aussagen über das Geschlecht Jesu nur auf die historische Person beziehen und nicht auf den verkündigten Christus, der durch seine Metamorphose in die göttliche Dimension eingetreten ist, also jenseits aller Zuschreibungen steht. Schubert weist darauf hin, dass eine «mögliche Biologie dieses übernatürlichen, auferstandenen Körpers kaum vorstellbar» sei.

Gott selbst ist, lapidar gesagt, ohnehin fein raus, da er laut Bibel kein körperliches Geschlecht hat, keine sexuelle Orientierung und keine sexuelle Identität, auch wenn er als Vater angesprochen wird. Gott sei queer, hiess es in der Abschlusspredigt am deutschen evangelischen Kirchentag des vergangenen Jahres. Gott wurde also eine Geschlechtlichkeit zugeschrieben. Und damit, das zeigt Anselm Schubert eindringlich, war man sogar hinter die Theologie der alten Kirche zurückgefallen.

Anselm Schubert: Christus (m/w/d). Eine Geschlechtergeschichte. C.-H.-Beck-Verlag, München 2024. 396 S., Fr. 46.90.

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