Freiheit wird im Spiel der Grossmächte zur Herausforderung, wie die vergangenen Monate zeigen. Das Land im Norden muss nun verschiedene Interessen ausbalancieren. Ein Überblick
Das amerikanische Interesse an Grönland hat gute Gründe: sicherheitspolitisch, militärstrategisch und wirtschaftlich. Grönland hat wiederum gute Gründe, diesem amerikanischen Interesse freundlich zu begegnen: Eine erweiterte Zusammenarbeit mit Washington könnte hilfreich sein auf dem Weg in die angestrebte Unabhängigkeit von der früheren Kolonialmacht Dänemark.
Eine Diversifikation der internationalen Beziehungen dürfte Grönland in eine stärkere Position gegenüber Kopenhagen bringen, wenn Verhandlungen über den Austritt aus dem dänischen Königreich aufgenommen werden. Auf diesen Austritt hat Grönland ein im Autonomiestatut verbrieftes Recht, und in der grönländischen Politik herrscht ein weitgehender Konsens, dass man diesen Schritt früher oder später tun will.
Nuuks Flirt mit Amerika war allerdings von kurzer Dauer. Denn Präsident Trump spricht nicht von Partnerschaft, sondern davon, Grönland «übernehmen» zu wollen. Und er zeigt sich überzeugt, dass das «auf die eine oder andere Art» auch gelingen werde.
Doch Grönland will nicht einfach die grössere Macht wechseln, an die es sich anlehnt. Es will seine Geschicke selbst bestimmen. Als Folge von Amerikas unverhohlenem Druck auf Nuuk hat sich in Grönland der Blick auf die USA in kurzer Zeit von positiv auf negativ gedreht.
Grönland will wirtschaftlich weniger abhängig werden
Besonders missfiel den Grönländern die Art, wie sich unlängst eine hochrangige Delegation aus Washington mit dem Vizepräsidentenpaar, Trumps Sicherheitsberater Mike Waltz und Energieminister Chris Wright de facto selbst zu einem Besuch eingeladen hatte.
Die Visite hat zwar keinen offiziellen Charakter und beschränkte sich schliesslich auf einen kurzen Aufenthalt auf dem amerikanischen Luftwaffenstützpunkt Pituffik Space Base (vormals Thule Air Base). Das amerikanische Machtspiel war aber ein Vorgeschmack dessen, was ein unabhängiges Grönland an Druck von grossen Akteuren zu erwarten hat.
Dabei geht es nicht nur um die USA und andere politische Mächte, etwa China. Druck kann auch von grossen Unternehmen kommen, die Grönland braucht, um seine Wirtschaft in die Gänge zu bringen. Denn Grönland muss mehr Einnahmen generieren, um sich den eigenen, unabhängigen Staat leisten zu können. Derzeit gibt es zu den dänischen Subventionen, aus denen rund die Hälfte der öffentlichen Ausgaben bestritten werden, keine Alternative.
Grönland mag mit einer Fläche von 2,2 Millionen Quadratkilometern, also etwa dem Sechsfachen Deutschlands oder dem Fünfzigfachen der Schweiz, ein riesiges Gebiet darstellen. Doch mit einer Bevölkerung von nur rund 57 000 Menschen und einer Wirtschaft mit der Leistungsfähigkeit von Andorra ist es auf dem internationalen Parkett ein Winzling. Grosse Staaten können Heerscharen von Spezialisten aufbieten, um ihren Interessen zur Durchsetzung zu verhelfen. Grönland kann das nicht.
Politisches Bekenntnis zum Westen
Wo liegen die spezifischen Interessen der USA, wenn es um Grönland geht?
Im Vordergrund stehen verteidigungs- und sicherheitspolitische Aspekte. Die Insel ist seit dem Kalten Krieg geostrategisch wichtig, da sie von Osten her die kürzeste Route für Angriffe mit Interkontinentalraketen auf die amerikanische Ostküste darstellt. Mit der Pituffik Space Base unterhalten die USA seit 1951 einen Stützpunkt im Norden Grönlands, der ein wichtiges Element des amerikanischen Schutzschirms darstellt.
Um diese Basis betreiben zu können – und gegebenenfalls auch weitere in Betrieb zu nehmen – müssen die USA Grönland allerdings nicht besitzen. Sie können dies auf der Grundlage des seit 1951 bestehenden und wiederholt erneuerten Verteidigungsabkommens mit Dänemark tun, zu dem Grönland als autonome Region gehört.
Seitens der grönländischen Politik gibt es auch keinerlei Anzeichen dafür, dass sie an der Verankerung Grönlands in westlichen Verteidigungsstrukturen etwas ändern möchte, wenn das Land unabhängig würde.
Ein unabhängiges Grönland wird auf eine extensive Verteidigungszusammenarbeit mit sicherheitspolitischen Partnern angewiesen sein – sei dies Kopenhagen oder Washington.
Es ist ein Modell, das auch Island vorexerziert: Als einziger Nato-Staat ohne eigene Armee trägt Island zur Verteidigung des Westens bei, indem es seine an strategischer Position im Nordatlantik liegende Landmasse der Nato zur Verfügung stellt.
Militärischer Nachholbedarf für Dänemark und die USA
Eine gewisse Berechtigung hatte indes die vom amerikanischen Vizepräsidenten J. D. Vance beim Besuch der Pituffik Space Base geübte Kritik, dass Dänemark in Grönland «schlechte Arbeit» geleistet habe, wenn es um die Verteidigung und die dazu nötige Infrastruktur gehe.
Tatsächlich hat Kopenhagen – wie Westeuropa allgemein – seit dem Ende des Kalten Krieges die Friedensdividende eingestrichen und an der Verteidigung gespart. Im Jahr 2004 entschied Kopenhagen sogar, die U-Boot-Flotte stillzulegen. Nun fehlt es Dänemark an den militärischen Mitteln, um in seinen Meeresgebieten ausreichend Präsenz zu zeigen.
Allerdings haben auch die USA die Arktis als Gebiet von wachsender geostrategischer Bedeutung lange nicht ernst genug genommen. So schlagkräftig die Amerikaner mit Flugzeugen und Raketen in der Luft sowie unter Wasser mit U-Booten sind: Für Überwasser-Operationen fehlt es ihnen an Eisbrechern.
Die amerikanische Küstenwache verfügt über einen einzigen schweren Eisbrecher, der zudem rund fünfzig Jahre alt ist und damit seine vorgesehene Dienstzeit bereits um zwanzig Jahre überschritten hat. Der einzige mittelschwere Eisbrecher der amerikanischen Küstenwache ist für ganzjährige Einsätze in der Arktis nicht geeignet.
Sogar China, das nicht einmal direkt an die Arktis angrenzt, hat inzwischen mehr solcher Schiffe als die USA, von Russland, Kanada oder Finnland ganz zu schweigen. Zwar hat Washington ein Programm aufgegleist, um das Defizit zu beheben, doch es kommt damit nur schleppend voran.
Die Crux mit den seltenen Erden
Neben der Frage der Verteidigung der grönländischen Arktis ist für die USA auch der Reichtum Grönlands an strategischen Rohstoffen relevant. Solche Rohstoffe, zum Beispiel Seltenerdmetalle, sind wichtig für eine Reihe von Hochtechnologien, etwa für grüne Energien, Elektromobilität und vor allem für den Rüstungsbereich.
Die von der Rüstungsindustrie nachgefragten Mengen sind zwar relativ gering. Entscheidend ist aber, dass sie jederzeit verfügbar sein müssen. Weil China bei der Förderung und Verarbeitung solcher Rohstoffe den Weltmarkt dominiert und Abnehmer bei missliebigem Verhalten leicht sanktionieren kann, liegt der Schlüssel für die Verfügbarkeit in einer von China unabhängigen Wertschöpfungskette. Das zeigte sich gerade wieder im Sog von Trumps Zoll-Tsunami, als Peking umgehend Exportkontrollen von Seltenerdprodukten verkündete.
Hier wird für die USA Grönland interessant. Doch auch hier gilt, dass eine direkte Kontrolle der Insel dafür nicht notwendig ist. Es gibt schon heute keine politischen Hindernisse für amerikanische Unternehmen, in Grönland aktiv zu werden.
Doch bisher ist das erst in Ansätzen geschehen, dafür gibt es Gründe. Etwa die harschen Wetterbedingungen, die logistischen Herausforderungen für Abbau, Verarbeitung und Transport, die Verfügbarkeit gut ausgebildeter lokaler Arbeitskräfte, die Unsicherheit über die Marktsituation in der Zukunft, wenn eine Mine nach Jahren der Entwicklung endlich in Betrieb geht.
Das alles wirkt sich auf die Kosten aus. Die Versorgungssicherheit mit kritischen Rohstoffen ist für die USA nicht zum Discountpreis zu haben.
Der Weg zum eigenen Staat ist noch lang
Für Grönland wäre eine Bergbau-Bonanza zwar willkommen, um sich allmählich von den dänischen Subventionen zu lösen und unabhängig zu werden. Doch das Land ist sich bewusst, dass es sich nicht in die finanzielle Abhängigkeit von Rohstoffunternehmen begeben darf. Diese könnten sich sonst zu einem Staat in Staate entwickeln.
Eine Mehrheit der grönländischen Bevölkerung ist nicht bereit, für die Unabhängigkeit Wohlstandseinbussen in Kauf zu nehmen. Um sich von Dänemark zu lösen, setzt Grönlands neue Regierung daher auf sanftere Töne als frühere Regierungen. Jetzt, wo sich die gewaltigen Herausforderungen dafür immer mehr konkretisieren. Ministerpräsident Jens-Frederik Nielsen will bis zur Konstituierung eines unabhängigen grönländischen Staats die Verbindung zu Dänemark stärken und nicht schwächen, wie er vor seinem Amtsantritt erklärte.
Bei seinem Besuch auf Grönland sagte J. D. Vance, dass die USA das Selbstbestimmungsrecht der Grönländer respektierten und er Gespräche erst nach dem Schritt Grönlands in die Unabhängigkeit führen werde. Doch zur Unabhängigkeit dürfte es erst nach dem Ende von Präsident Trumps zweiter Amtsperiode kommen.
Rudolf Hermann war von 2015 bis 2023 Nordeuropakorrespondent der NZZ. Zusammen mit Andreas Doepfner ist er Autor des Buchs «Von der Eiswüste zur Arena der Grossmächte. Die geopolitischen Folgen des Klimawandels in der Arktis», das im Oktober 2024 bei NZZ Libro/Schwabe Verlag erschienen ist. Doepfner war von 1982 bis 2000 Nordeuropakorrespondent und Redaktor der NZZ.