Bei den britischen Unterhauswahlen erleidet die regierende Tory-Partei von Rishi Sunak gemäss ersten Prognosen eine krachende Niederlage. Neuer Premierminister wird demnach Labour-Chef Keir Starmer.

Nach vierzehn Jahren konservativer Regierung steht Grossbritannien vor einem Machtwechsel. Gemäss den auf Wählerbefragungen beruhenden Prognosen der BBC dürfte die Labour-Partei von Keir Starmer auf 410 Sitze im 650-köpfigen Unterhaus kommen. Die Konservative Partei von Premierminister Rishi Sunak wird hingegen abgestraft: Sie kommt gemäss den Prognosen nur noch auf 131 Sitze, was dem schlechtesten Resultat für die Tory-Partei seit ihrer Gründung gleichkäme. Bei der letzten Wahl im Dezember 2019 hatten die Konservativen noch 365 Sitze errungen, während Labour auf 203 Mandate gekommen war.

Die Liberaldemokraten kommen gemäss der Prognose auf 61 Sitze und dürften den Konservativen vor allem im Süden und Westen Englands zahlreiche Mandate abgeknöpft haben. Die Gruppierung Reform UK des Brexit-Vorkämpfers Nigel Farage kommt auf 13 Sitze. Damit zeichnet sich ab, dass erstmals eine nationalistische Partei rechts der Konservativen in substanzieller Stärke ins Unterhaus einziehen wird. Auch Farage selbst dürfte die Wahl geglückt sein, wobei die definitiven Resultate aus den 650 Wahlkreisen erst im Verlauf der Nacht vorliegen werden.

In Schottland zeichnen sich laut den Prognosen herbe Verluste für die Scottish National Party (SNP) ab. Die SNP dürfte auf 10 Sitze kommen, nachdem sie 2019 noch 48 Sitze errungen hatte. Die Prognosen deuten darauf hin, dass in Schottland die zehnjährige Dominanz der SNP zu Ende gegangen sein könnte. Allerdings sind die Prognosen zu Schottland mit grösserer Vorsicht zu geniessen als jene zu England.

Labour knapp hinter Rekord-Ergebnis

Gemäss den Prognosen könnte Labour mit einer riesigen Parlamentsmehrheit von rund 170 Sitzen regieren. Bereits im Vorfeld der Wahl hatten Umfragen auf einen Erdrutschsieg der Labour-Partei hingedeutet. Als die Sozialdemokraten 1997 unter Tony Blair an die Macht kamen, erzielten sie ein Glanzresultat mit einer Mehrheit von 179 Sitzen. Nun könnte Labour knapp hinter diesem Rekordergebnis zurückbleiben.

1945 nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs verdrängte Labour-Chef Clement Attlee Winston Churchill mit einer Mehrheit von 145 Sitzen von der Macht. Die Konservativen errangen 1924 unter Stanley Baldwin mit einem Vorsprung von 209 Sitzen die bisher grösste Parlamentsmehrheit der britischen Geschichte. Margaret Thatcher wurde 1983 mit einer konservativen Mehrheit von 144 Sitzen zur Premierministerin gewählt. Boris Johnson hatte vor fünf Jahren eine komfortable Mehrheit von 80 Sitzen errungen.

Starmer vor den Toren der Macht

Damit besteht kein Zweifel mehr daran, dass Labour-Chef Keir Starmer am Freitag zum neuen britischen Premierminister avancieren wird. König Charles III. dürfte ihn am Vormittag zu einer Audienz empfangen und ihn formell mit der Bildung einer Regierung beauftragen, die ihre Arbeit unmittelbar aufnähme. In der britischen Geschichte hatten bis anhin erst sechs Labor-Politiker als Premierminister amtiert.

Der sich anbahnende Machtwechsel nach vierzehn Jahren konservativer Regierung kommt einer Zäsur gleich. Allerdings hatte die Labour-Partei im Wahlkampf betont vorsichtig agiert und kein Mandat für einen radikalen Politikwechsel gesucht. Starmer will den Plan zur Ausschaffung von Asylsuchenden nach Rwanda beerdigen, die Wartelisten im Gesundheitswesen abbauen und das bürokratische Planungswesen reformieren.

Grossbritannien kämpft mit einer Reihe von Problemen, die zum katastrophalen Wahlergebnis für die Konservativen beigetragen haben. Der Brexit ist bis anhin alles andere als ein Wachstumsmotor, die Schulden und Steuern sind so hoch wie seit Jahrzehnten nicht mehr, die Infrastruktur ist veraltet, etliche Gemeinden stehen vor dem Bankrott. Angesichts der schlechten Haushaltslage ist allerdings auch der finanzielle Spielraum der künftigen Labour-Regierung für Investitionen eng begrenzt.

Exit mobile version