Freitag, Oktober 25

Der frühere britische Premierminister Boris Johnson liebte bombastische Ankündigungen für den Klimaschutz. Doch seine Nachfolger sind vorsichtiger. Der inflationsgeplagten Bevölkerung soll nicht zu viel zugemutet werden.

Im britischen Wahlkampf wird die Klimapolitik zum Streitpunkt – und zieht den Kürzeren. Noch im Herbst 2021, auf der Weltklimakonferenz COP-26 in Glasgow, hatten Regierung und Opposition sich mit Ankündigungen zur grünen Politik zu übertrumpfen gesucht. Die Welt stünde «eine Minute vor Mitternacht», warnte der damalige Gastgeber, Premierminister Boris Johnson. Er setzte ehrgeizige Ziele für die Umstellung auf Elektrofahrzeuge und die Abschaffung von Gas-Boilern in britischen Haushalten. Die oppositionelle Labour-Partei versprach damals, sie werde bei Machtübernahme jährlich 28 Milliarden Pfund (31 Milliarden Franken) investieren, um das Land auf das Ziel von Netto-Null Treibhausgasemissionen vorzubereiten.

Die ehemalige Premierministerin Theresa May hatte 2019 gesetzlich festlegen lassen, dass das Vereinigte Königreich das Ziel bis zum Jahr 2050 erreichen muss. Die Umwelt-Aktivistin Greta Thunberg höhnte damals, die Versprechen der Politiker seien lediglich «blah-blah-blah». Das stimmt zwar nicht. Aber nach Premierminister Rishi Sunak hat Anfang Februar auch Oppositionsführer Keir Starmer seine Umweltziele zurückgeschraubt.

Kritik von Umweltschützern

Starmer fasste den für ihn politisch riskanten Entschluss, den jährlichen Investitions-Betrag der 28 Milliarden Pfund auf 4,7 Milliarden Pfund zusammenzustreichen. Umweltorganisationen kritisierten den Rückzieher als kurzsichtig. Starmer sorgte auch in der Partei und in der Wirtschaft für Enttäuschung. Der britische Klimaausschuss (Climate Change Committee CCC) hatte berechnet, dass die staatlichen und privaten Investitionen in eine nachhaltige Wirtschaft bis 2035 eigentlich von 10 Milliarden auf 60 Milliarden Pfund im Jahr steigen müssten. Starmer war froh, dass sein Sprecher für Energiesicherheit und Netto-Null, Ed Miliband, nicht zurücktrat. Das Umweltpaket war bisher der wichtigste Programmpunkt im Wahlkampf Labours gewesen.

Die Partei hatte die Investitionen mit zusätzlicher Schuldenaufnahme finanzieren wollen. Aber die Sprecherin für Finanzen, Rachel Reeves, hatte Starmer schon lange gewarnt, dass die gestiegenen Zinsen und die heftige Staatsverschuldung derart hohe Zukunftsinvestitionen nicht mehr erlaubten. Prognosen des Amtes für vorsichtige Fiskalpolitik (Office for Budget Responsibility) zeigen, dass die Schuldenquote in den kommenden fünf Jahren auf 93 Prozent des Bruttoinlandprodukts steigen wird. Premierminister Rishi Sunak warf Labour daher vor, die Partei könne mit Geld nicht umgehen. Starmer werde nach einer Regierungsübernahme die Staatsverschuldung in die Höhe treiben.

Fiskalpolitische Vorsicht hat Priorität

Genau diesen Vorwurf will Starmer nicht hören. Anders als sein Vorgänger Jeremy Corbyn, der viele Wähler mit seinen exzessiven Ausgabenplänen abgeschreckt und 2019 eine krachende Wahlniederlage eingefahren hatte, präsentiert Starmer die Partei als fiskalpolitisch verantwortliche Alternative zu den Konservativen. Daher berief er auch Reeves als Sprecherin für Finanzen. Die 45 Jahre alte Politikerin hat einst bei der Bank von England als Volkswirtin gearbeitet.

Auf ihren Druck hin wurde das Umweltprogramm der Partei nun drastisch gekürzt: Sollte Labour nach der wohl im Herbst stattfindenden Wahl an die Macht kommen, wollen Starmer und seiner Regierung in den folgenden fünf Jahren nicht 140 Milliarden Pfund (156 Milliarden Franken), sondern nur 23,7 Milliarden Pfund (26,5 Milliarden Franken) über bisherige Pläne hinaus investieren. Zur Finanzierung wollen sie den Grenzsteuersatz auf die Gewinne von Unternehmen in der Nordsee (North Sea Levy) leicht erhöhen und nur einen geringen Teil der Investitionen über eine höhere Verschuldung decken.

Das Versprechen, 8,3 Milliarden Pfund in eine neue, staatliche Energiegesellschaft, GB Energy, zu investieren, soll dagegen erfüllt werden. GB Energy soll ab 2030 ausschliesslich sauberen Strom aus Sonnen- , Wind- und Wellenenergie erzeugen. Weitere 7,3 Milliarden Pfund sollen in einen neuen Staatsfond fliessen, den «National Wealth Fund», der – gemeinsam mit Mitteln der Privatwirtschaft Geld in grüne Projekte und die Erneuerung der britischen Wirtschaft investieren soll. Aber die Zuschüsse, mit denen der alte Hausbestand des Landes isoliert werden soll, kürzte Labour drastisch.

Starmer hatte sich lange dagegen gesträubt, die Zahl der 28 Milliarden Pfund zu kippen, wohl wissend, dass ihm Sunak wieder eines seiner wahltaktischen Wendemanöver vorwerfen würde. Starmer hat seine politischen Ziele in den letzten vier Jahren in der Tat in vielen Punkten über den Haufen geworfen, um sich und die Partei von den Versprechen Corbyns zu distanzieren. «Starmer, weiss nicht, was er will», behauptet Sunak nun. «Labour hat keinen Plan», lautet die Parole der Konservativen über den vermeintlich prinzipienlosen Starmer.

Die Wähler wünschen geringere Belastungen

Der scheint jedoch zu glauben, dass die Mehrheit der Wähler instinktiv versteht, dass die Regierung nach den hohen Ausgaben der Corona-Zeit vorsichtig sein muss. Viele Wähler haben Angst, dass die Steuern weiter steigen könnten. Ausserdem werden die Themen im Wahlkampf so schnell gewechselt, dass die Öffentlichkeit das Drama um die grüne Politik bis zum Herbst vielleicht wieder vergessen haben wird.

Beruhigend für Starmer ist zudem, dass sich auch Sunak bereits im September 2023 von den ehrgeizigen Klima- und Umweltzielen seines Vorgängers Johnson distanziert hat, um eine «pragmatischere» Klimapolitik durchzusetzen, die den Geldbeutel der Öffentlichkeit nicht überstrapaziere. Neuwagen mit Verbrennermotor dürfen nun doch noch bis 2035 statt 2030 gekauft werden. Zudem wird die Installation von Gas-Boilern im Jahr 2035 nicht völlig verboten sein. Vermieter werden auch nicht mehr per Strafe gezwungen, ihre Immobilien besser zu isolieren. All das verärgerte zwar einige Abgeordnete der Partei, gefiel aber den Wählern und Wählerinnen.

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