Sonntag, April 20


Mode-Trend

Riesige, geräumige Taschen sind zurück auf dem Laufsteg. Dies kommt nach Jahren von Miniature-Modellen, die kleiner nicht sein konnten. Was es mit dem Gegentrend auf sich hat.

Und, was tragen Sie den ganzen Tag so mit sich herum? Blickt man auf die Laufstege der Frühlings-/Sommerkollektionen, ist es von Gemüse über Lesestoff bis hin zu Kleidung so ziemlich alles. Bei Moschino ragten Baguette, Sellerie und Blumen aus der Tasche heraus. Bottega Veneta stattete die grossen Taschen mit einer zusammengerollten Zeitung aus. Erst bei näherem Hinschauen erkennt man, dass diese aus Leder gefertigt wurde. Ebenfalls mit Lederwaren füllte das New Yorker Modelabel Proenza Schouler seine transparente Tasche.

Bei Miu Miu sah man den Absatz eines High Heels, ein Stück Jeansstoff oder die Träger eines Oberteils heraushängen. Der Reissverschluss der Handtasche hier: unnötig. Geschlossen wird nichts, sondern der Inhalt der Tasche stolz gezeigt. Selbst der Henkel schien überflüssig. Wie eine Clutch hatten die Models die grossen Taschen unter ihren Arm geklemmt. Damit soll wohl gezeigt werden: Hier drin hat das ganze Leben Platz.

Bei Alexander McQueen wählte man wiederum einen anderen Weg der Präsentation. Ein Model liess seine mit Nieten besetzte Ledertasche vor- und zurückbaumeln und immer wieder auf den Boden knallen. «Sie ist einfach zu gross, zu schwer», schien sie mit ihrer Geste auszudrücken zu wollen.

Von Mini zu Maxi

Der Trend zu übergrossen Taschen kommt nach Jahren des Ultraminimalismus. Damit ist nicht die optische Gestaltung mit möglichst wenig Schnörkeln, sondern die Grösse gemeint. Fast jede Marke brachte Mini-Modelle ihrer Klassiker heraus. In der strukturierten Dior «Saddle Bag» hatte gerade einmal das Handy Platz, die 2019 erschienene «Baguette Nano»-Tasche von Fendi hat die Grösse einer Kreditkarte, und die Valentino-Tasche der Sängerin Lizzo sei gerade gross genug für ihre «fucks to give», schreibt sie auf Instagram. Die Tasche war also mehr wie ein Haustier, das man liebevoll mit sich herum trägt, als etwas Notwendiges, Praktikables.

In der Serie «Succession» machte man sich sogar über grosse Taschen lustig. In einer Szene sagt Tom Wambsgans zu Greg Hirsch, dass sein Date nicht ihrem Lebensstil entspreche. Warum? «Weil sie eine lächerlich grosse Tasche mitgebracht hat.» Mit einer solch grossen Tasche könne man campen oder eine Bank ausrauben, aber man zeige damit nicht, dass man reich sei. Mit dieser Aussage hat er nicht ganz unrecht.

Was die Grösse der Tasche mit Wohlstand zu tun hat

Handtaschen und ihre Grösse sind von jeher ein Zeichen von Wohlstand. Sie sind aus den ersten Geldbeuteln der Antike entstanden. Das waren kleine Lederbeutel, die man mit einer Schnur zusammengebunden hat. Daraus haben sich die ersten Taschen entwickelt: für Männer flache Gürteltaschen aus Leder und für Frauen kleine Beutel aus Seide, die man mit zwei Schnüren schliessen konnte. Letztere nennen sich Pompadour. Sie waren klein, wie die im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert beliebten Operntaschen und Petit-Point-Taschen.

Schliesslich wurde damals von den Frauen erwartet, dass sie lediglich eine Puderdose und ein Taschentuch mit sich zu führen brauchten. Die kleine Tasche war ein Statussymbol, mit der die Frauen zeigten, dass sie nicht alles mittragen müssen. Durch die Erfindung des Metallrahmens 1846 haben sich Handtaschen dann als Accessoire für eine grössere Masse etabliert. Die Handtasche wurde demokratisiert.

Auch die Modelle für Männer wurden 1910 grösser: Dokumententaschen aus Leder für die Arbeit im Büro. Damit wurde Geschäftstüchtigkeit demonstriert. Als nach dem Ersten Weltkrieg das Leder teuer und rar war, wurden auch die Taschen wieder kleiner.

Im Laufe der 1930er Jahre änderte sich dies wieder, weil mit neuen Materialien wie Zellhorn, Nylon und Leinen gearbeitet wurde. Aus dieser Zeit stammt auch die berühmte «Kelly Bag» von Hermès. Die trapezförmige Tasche mit Schulterriemen wurde nach dem Filmstar Grace Kelly benannt, die mit der grossen Tasche ihre Schwangerschaft vor Fotografen kaschieren wollte.

Handtaschen als emanzipatorisches Zeichen

Nach dem Zweiten Weltkrieg begannen mehr Frauen, ausserhalb des Hauses zu arbeiten. Sie verdienten ihr eigenes Geld, und die Handtasche fungierte als eine Art mobiler Lebensraum. Diese neue Darstellung wurde auch popkulturell immer wieder aufgegriffen. Etwa mit der magischen Tasche von Mary Poppins 1964. Darin hat es Platz für einen Kleiderständer, einen Wandspiegel und eine Stehlampe. Sie war ausgerüstet für alle Lebenslagen. Damit zeigten Frauen wie sie, wie emanzipiert sie waren.

Auch später haben selbstbewusste Frauencharaktere in Serien das Image von grossen Taschen positiv geprägt. Serena van der Woodsen aus «Gossip Girl» trug in der Privatschule etwa die Beuteltasche «Roady» von Saint Laurent und die «Watch me Work» von Céline. Der Name sagt es schon: Diese Frau arbeitet, aber mit Stil.

So wie die Anwältin Annalise Keating aus «How to Get Away with Murder». Sie trägt eine schwarze, strukturierte Céline-«Phantom Tote». Darin finden Akten, Bücher, ihr Laptop und persönliche Gegenstände Platz.

Während die XXL-Taschen ihr Laufsteg-Comeback erst jetzt feiern, sind sie im echten Leben (oder in TV-Versionen davon) also nie verschwunden. Irgendwie müssen Laptop, Lunchboxen und Bücher schliesslich transportiert werden. Labels wie Ameli aus Zürich bauten ihre ganze Identität darauf auf, dass ihre Taschen bequem einen Laptop beherbergen konnten.

Taschenklassiker von Luxusmarken wie die geräumige, treffend benannte «Neverfull» von Louis Vuitton oder die «Saint Louis» von Goyard werden heute auch von einer neuen Generation gekauft. Wer sich heute eine solche Tasche leistet, zeigt, dass er dafür gearbeitet hat. Die Rückkehr der grossen Taschen hat aber wohl auch mit dem postpandemischen Wandel zu mehr Nomadentum und einem hektischen Alltag zu tun. Und dafür muss eben mehr als ein Handy in die Tasche passen.

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