Sonntag, Oktober 6

Die Ukraine hat einen ihrer grössten Angriffe mit Kamikazedrohnen in Russland ausgeführt. Die Folgen bekamen auch die Einwohner Moskaus zu spüren. Doch die Ukraine kämpft im Luftkrieg mit wesentlich schwächeren Waffen als die Russen.

Die ukrainischen Streitkräfte haben in der Nacht und am frühen Sonntagmorgen eine ungewöhnlich hohe Zahl von Kamikazedrohnen eingesetzt und dabei auch im Grossraum Moskau zugeschlagen. Das russische Verteidigungsministerium meldete den «Abschuss» von 158 ukrainischen Drohnen. Es suggerierte damit, dass kein einziger der eingesetzten Flugkörper das Ziel erreichte, was nachweislich falsch ist. Aber wenn man diese Zahl als Grössenordnung nimmt, wäre dies die grösste Drohnen-Angriffswelle der Ukrainer seit Beginn des Krieges. Allerdings handelte es sich wohl nur zu einem kleinen Teil um Langstreckendrohnen, denn drei Viertel der Abschüsse wurden aus Provinzen im Grenzgebiet zur Ukraine gemeldet.

Brennende Raffinerie am Horizont

Mindestens 36 Drohnen stiessen jedoch bis nach Zentralrussland vor. Das zeigt die klare Absicht Kiews, strategische Ziele im Hinterland zu zerstören und den Schrecken des Krieges einer breiteren russischen Bevölkerung vor Augen zu führen. Erfolgreich gelang dies mit einem Angriff auf die Moskauer Erdölraffinerie in Kapotnja, einem Stadtbezirk am Rande der Hauptstadt.

Bürgermeister Sergei Sobjanin behauptete anfänglich, der Angriff sei abgewehrt worden und es habe keinerlei Schäden gegeben. Doch auf Videos ist der Sturzflug und Einschlag einer Drohne deutlich zu sehen. Der nachfolgende Grossbrand, der inzwischen eingegrenzt sein soll, liess sich ohnehin nicht verheimlichen. Die Raffinerie liegt direkt an der stark befahrenen Moskauer Ringautobahn. Viele Autofahrer werden das Feuer und die Rauchschwaden beobachtet haben, auch den Einsatz mehrerer Löschhelikopter.

Ein weiteres Inferno ereignete sich gut hundert Kilometer nördlich von Moskau, wo das Wärmekraftwerk Konakowo an der Wolga einen Treffer erhielt. Nach russischen Medienberichten handelt es sich um die achtgrösste derartige Anlage Russlands. Auf Videobildern nach der Löschung des Brandes ist erkennbar, dass die Kraftwerkshalle und verschiedene Geräte erhebliche Schäden erlitten haben. Weitere Angriffe richteten sich gegen das Kohlekraftwerk Kaschira südlich von Moskau und den Flughafen Moskau-Schukowski.

Neue Waffen für grosse Distanzen entwickelt

Die ukrainischen Streitkräfte haben ihre Angriffe auf Raffinerien, Tanklager und Flughäfen im russischen Hinterland in den vergangenen Monaten laufend intensiviert. Grössere Auswirkungen auf die Energieversorgung Russlands hat dies bis anhin allerdings nicht. Umgekehrt zeigte gerade der russische Grossangriff von vergangener Woche gegen die ukrainische Energieinfrastruktur, dass Moskau mit seinen Raketen und Marschflugkörpern über die viel stärkeren Mittel verfügt.

Aber die ukrainische Führung setzt alles daran, ihr Arsenal an Langstreckenwaffen auszubauen. Kürzlich meldete Kiew den erfolgreichen Ersteinsatz eines neuen Marschflugkörpers namens «Paljanizja». Über die nach einem typisch ukrainischen Weissbrot benannte Eigenentwicklung sind fast keine technischen Details bekannt. Aber es soll sich um eine Lenkwaffe handeln, die viel schneller als Drohnen fliegt und sich für weitreichende Angriffe eignet. Die Ukraine hat laut Präsident Selenski vor wenigen Tagen auch eine neue ballistische Rakete getestet. Da in diesem Fall die Geheimniskrämerei noch grösser ist als bei «Paljanizja», bleibt abzuwarten, inwieweit die Neuentwicklungen militärisch relevant werden.

Für die nahe Zukunft hat für die ukrainische Führung ohnehin Priorität, dass Länder wie die USA ihre Vorbehalte gegenüber dem Einsatz westlicher Waffen gegen Ziele im russischen Hinterland aufgeben. Verteidigungsminister Rustem Umerow und Selenskis Stabschef Andri Jermak warben in den vergangenen Tagen in Washington dafür, dass die Amerikaner die an die Ukraine gelieferten Atacms-Raketen auch für Angriffe in Russland freigeben. Allem Anschein nach halten die USA weiter an ihrem Verbot fest. Sie blockieren mit ihrem Einfluss auch den Einsatz von britisch-französischen Storm-Shadow-Marschflugkörpern gegen Ziele im Innern Russlands.

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