Samstag, Oktober 5

In der Nähe des NS-Dokumentationszentrums in München ist es am Donnerstagvormittag zu einem grossen Polizeieinsatz gekommen. Auf Videos in den sozialen Netzwerken sind Schüsse zu hören. Jetzt gibt die Polizei Entwarnung.

Die Münchner Polizei hat am Donnerstagvormittag eine bewaffnete Person im Stadtzentrum niedergeschossen. Später teilte der bayrische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) mit, dass der Tatverdächtige seinen Verletzungen erlegen sei.

Am Vormittag war es zu einem Grosseinsatz der Polizei in der Münchner Innenstadt in der Nähe des NS-Dokumentationszentrums und des Israelischen Generalkonsulats gekommen. Die Polizei rief dazu auf, den Bereich grossräumig zu meiden. Betroffen war der Bereich der Brienner Strasse und Karolinenplatz. Dort seien Verkehrssperren errichtet worden. Die Polizei versuchte, sich mit Helikoptern und Drohnen ein Bild der Lage zu verschaffen.

Die «Süddeutsche Zeitung» meldete, dass Anwohner von Schüssen und Polizeisirenen berichteten. Auch auf einem Video, das der Redaktion vorliegt und unter anderem von «SZ»-Redaktor Ronen Steinke geteilt wurde, sind Schüsse zu hören.

Die Polizei informierte zunächst auf X. Sie teilte mit, dass eine verdächtige Person von der Polizei niedergeschossen worden sei. Polizisten hätten gegen 9 Uhr gesehen, dass die Person selbst «augenscheinlich eine Schusswaffe trug».

Polizeisprecher Andreas Franken teilte laut «SZ» mit, dass die Person eine «Langwaffe» getragen habe. Es handle sich um eine Repetierwaffe älteren Baujahrs. In sozialen Medien kursiert zudem ein Video, das angeblich den Attentäter zeigen soll. Darauf ist ein junger Mann zu sehen, der mehrere Schüsse aus einem Gewehr mit Bajonett abgibt.

Von der Polizei hiess es weiter, die Beamten seien in Richtung der bewaffneten Person gelaufen, es habe einen Schusswechsel gegeben. Sie bat darum, keine Aufnahmen des Täters zu verbreiten. Der bayerische Innenminister teilte später den Tod des Tatverdächtigen mit.

Gedenken an 1972: Israelisches Generalkonsulat geschlossen

Derzeit gebe es keine Hinweise auf weitere verdächtige Personen, heisst es vonseiten der Polizei. Dennoch hat sie ihre Präsenz im Stadtgebiet erhöht. Nach eigenen Angaben untersucht die Polizei das Fahrzeug des Tatverdächtigen auf mögliche Sprengfallen. Gegen 12 Uhr gab sie Entwarnung: Es bestehe «keine Gefahr mehr für die Bevölkerung», teilte sie auf X mit.

Eine Anfrage der NZZ an die Polizei München, was über die Motive des Mannes bekannt sei, blieb unbeantwortet. Ein Sprecher bat dafür um Verständnis, dass aufgrund des laufenden Polizeieinsatzes «zum jetzigen Zeitpunkt keine Anfragen beantwortet werden» könnten.

Heute ist der Jahrestag des Olympia-Attentats von 1972. Linksextreme palästinensische Terroristen der Gruppe «Schwarzer September» nahmen damals elf israelische Teilnehmer als Geiseln. Alle Israeli wurden ermordet. Laut Bayerns Innenminister Herrmann liege es «wegen des Tatorts in der Nähe des NS-Dokumentationszentrums und des israelischen Generalkonsulats» auf der Hand, dass es «womöglich einen Zusammenhang geben könnte».

Nach Informationen der NZZ war das Münchner Konsulat am Donnerstagmorgen nicht besetzt. Die Angestellten sind wegen des Gedenkens an München 1972 nicht vor Ort, wie die Generalkonsulin des Staates Israel für Süddeutschland, Talya Lador-Fresher, mitteilte. Der aktuelle Anschlagsversuch zeige, «wie gefährlich der Anstieg des Antisemitismus» sei.

Innenministerin Faeser spricht von « schwerwiegendem Vorfall»

Auch die deutsche Innenministerin Nancy Faeser schätzt die Schüsse in München als gravierenden Vorgang ein. «Es ist ein schwerwiegender Vorfall», sagte die Sozialdemokratin. Sie wolle aber nicht spekulieren, es gelte abzuwarten. «Ich bedanke mich ganz herzlich bei der Münchner Polizei, die da einen guten Einsatz aus meiner Sicht machen», sagte Faeser. «Der Schutz jüdischer und israelischer Einrichtungen, das wissen Sie, hat oberste Priorität.»

Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, sagte: «Wir kennen noch nicht alle Hintergründe. Das, was wir wissen, lässt uns den Atem stocken. Es hätte heute in München eine Katastrophe geben können.»

Jüdische und israelische Einrichtungen sind in Deutschland schon seit Längerem auf Schutz durch Polizeibeamte angewiesen. Wie nötig dieser Schutz ist, zeigte bereits ein rechtsextremer Anschlag auf die Synagoge in Halle an der Saale am 9. Oktober 2019: Der Attentäter versuchte, am hohen Feiertag Jom Kippur in das Gebäude einzudringen. Er wollte mit einem selbstgebastelten Gewehr so viele Juden wie möglich töten. Ihm gelang es nicht, die Tür aufzubrechen, er ermordete eine Passantin und den Gast eines Döner-Imbisses.

Seit dem terroristischen Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 hat sich die Bedrohungslage nochmals verschärft. Die Polizei verzeichnete mehrere Anschlagsversuche auf Synagogen, so etwa am 18. Oktober, als Unbekannte Molotowcocktails auf das Haus der jüdischen Gemeinde Adass Jisroel in Berlin warfen. Immer wieder ziehen israelfeindliche Demonstranten auch an Synagogen vorbei.

Bundesweit sind politisch motivierte Straftaten im Kontext des Nahostkonflikts im vergangenen Jahr auf 4 369 Fälle gestiegen (2022: 61 Fälle). Davon entfallen laut Statistik rund 64 Prozent auf den Phänomenbereich «ausländische Ideologie» . Der «religiösen Ideologie», damit ist der Islamismus gemeint, ordnet die Polizei rund 20 Prozent aller Straftaten zu. Knapp die Hälfte aller Straftaten im Kontext des Nahostkonflikts ordnet die Polizei als antisemitisch ein.

Mit Agenturmaterial

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