Mittwoch, Dezember 25

Mit Matthias Leuenberger als Länderpräsident besass Novartis einen engagierten politischen Fürsprecher. Doch der Pharmakonzern hat die Funktion abgeschafft. Der Verlust wiegt auch für Economiesuisse schwer.

Wie der Vater, so der Sohn, könnte man ein Stück weit von Matthias Leuenberger behaupten. Der Basler, dessen Funktion als Länderpräsident des Pharmakonzerns Novartis per Anfang Dezember 2024 überraschend abgeschafft wurde, ist bis anhin immer ein Stück weit in den Fussstapfen seines berühmten Vaters, des ehemaligen Vorort-Präsidenten Andres F. Leuenberger, gewandelt.

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Vater hatte noch mehr zu sagen

Auch Matthias Leuenberger verdankt seinen beruflichen Aufstieg vor allem dem Mitwirken bei Schweizer Wirtschaftsverbänden. Zurzeit ist der 59-Jährige noch immer Präsident des Branchenverbands der chemisch-pharmazeutischen Industrie Scienceindustries Switzerland sowie Vorstandsmitglied von Economiesuisse und Interpharma, der zweiten grossen Lobbyorganisation des hiesigen Pharmasektors.

Im Vergleich mit seinem Vater ist Matthias Leuenberger aber eine kleinere Nummer geblieben. Andres F. Leuenberger hatte als Manager seine Sporen beim Novartis-Konkurrenten Roche abverdient und schaffte es später bis ins Präsidium des Versicherers Swiss Life, in den Verwaltungsrat der Swissair Group und vor allem bis an die Spitze des Vororts. Dem Vorort stand er ab 1993 vor. 2000 fusionierte er ihn mit dem anderen damaligen Spitzenverband der Schweizer Wirtschaft, der Gesellschaft zur Förderung der schweizerischen Wirtschaft, kurz Wirtschaftsförderung oder WF, zu Economiesuisse.

Dies machte Andres F. Leuenberger schweizweit bekannt. Allerdings hatte es der Manager bereits während seiner Zeit als Vorort-Präsident fertiggebracht, der Schweizer Wirtschaft eine starke Stimme zu leihen. Als er Ende 2001 als Economiesuisse-Präsident zurücktrat, wurden im damaligen Newsletter des Verbands seine zahlreichen Abstimmungserfolge gewürdigt. So hiess es: «Im sozialpolitischen Bereich wurden alle Ausbaubegehren von linker Seite in den Volksabstimmungen bachab geschickt.»

Ein knappes Vierteljahrhundert später bewegt sich Economiesuisse in einem ganz anderen Umfeld. Angesichts einer Reihe von Abstimmungsniederlagen, die wie beim diesjährigen Ja zur 13. AHV-Rente oder bei der Zustimmung zum zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub vor vier Jahren einen kostspieligen Sozialausbau brachten, dürften sich grosse Kreise der Wirtschaft den damaligen Einfluss zurückwünschen. Doch dem heutigen Spitzenverband der Schweizer Wirtschaft bereitet es zunehmend Mühe, seine eigenen Vorstellungen durchzusetzen.

Befürworter des bilateralen Wegs

Das Ungemach, das jüngst dem Sohn des einstigen Vorort-Präsidenten mit seiner Absetzung als Novartis-Länderpräsident widerfuhr, scheint auf den ersten Blick wenig damit zu tun zu haben. Dennoch ist es symptomatisch dafür, mit welchen Schwierigkeiten Economiesuisse sowie weitere Schweizer Wirtschaftsverbände in der politischen Lobbyarbeit kämpfen.

Matthias Leuenberger bezog als Länderpräsident von Novartis sowie als Vorsitzender von Scienceindustries in Medienauftritten wiederholt pointiert Stellung. So wies er beispielsweise auf die Wichtigkeit der Fortsetzung des bilateralen Wegs mit der EU hin. Auch äusserte er sich zu gesundheitspolitischen Fragen. Nachdem ihn der Pharmakonzern vorzeitig in den Ruhestand geschickt hat, dürfte seine Stimme verstummen, denn Leuenberger wird auch nur noch bis zur nächsten Generalversammlung im Mai 2025 Scienceindustries präsidieren.

Und mit seinem Rücktritt bei diesem wichtigen Branchenverband wird auch seine Tätigkeit im Vorstand von Economiesuisse enden. Wie die Vertreter der Bankiervereinigung, des Versicherungsverbands und des Industrieverbands Swissmem wirkt Leuenberger im Führungsgremium von Economiesuisse ex officio mit, das heisst als Präsident von Scienceindustries.

Die meisten Manager wollen sich nicht exponieren

Die Rolle des Schweizer Länderpräsidenten bei Novartis war zum Grossteil repräsentativer Natur. Sie eröffnete dem Unternehmen, das in der Schweiz über 10 000 Mitarbeitende beschäftigt und damit nicht nur zu den grössten Arbeitgebern, sondern auch zu den bedeutendsten Exporteuren dieses Landes zählt, aber die Möglichkeit, gezielt politische Lobbyarbeit zu verrichten. Wer diese Aufgabe künftig wahrnehmen soll, ist schleierhaft. Der Rücktritt von Leuenberger hinterlässt bei Novartis ein Vakuum.

Möglicherweise scheint man sich bei Novartis aber auch gesagt zu haben: Was geht uns als Weltkonzern die politische Situation in der Schweiz an? Novartis ist mit dieser Haltung nicht allein: Vertreter von Wirtschaftsverbänden beklagen seit Jahren die zunehmende Kluft zwischen hiesigen Grossunternehmen und der Schweiz: Die Firmen seien zwar nach wie vor hierzulande mit ihren Zentralen ansässig, doch gebe es in ihren Reihen immer weniger Manager, die in der Öffentlichkeit für die Interessen der Schweizer Wirtschaft einstünden, wird bemängelt.

Dies sei eine gefährliche Entwicklung, findet ein Beobachter, der engen Einblick in die Tätigkeit von Schweizer Wirtschaftsverbänden hat, aber ungenannt bleiben möchte. Am Schluss laufe es auf ein «weder noch» hinaus. Nicht nur würden sich Vertreter prominenter Unternehmen um politische Äusserungen foutieren. Sie würden dann wohl auch nicht mehr die Notwendigkeit sehen, Wirtschaftsverbände mit ihren Mitgliederbeiträgen zu unterstützen.

Selbst KMU-Vertreter haben zunehmend Bedenken

Monika Rühl, die Direktorin von Economiesuisse, bestätigt, dass es anspruchsvoller geworden sei, aus dem Kreis der Mitglieder Persönlichkeiten für Auftritte auf Podien oder für Medieninterviews zu gewinnen. Sie begründet dies mit dem raueren Klima, das generell im politischen Umfeld in der Schweiz Einzug gehalten habe. Angesichts des vielerorts aggressiven Tonfalls überlegten sich auch manche KMU-Vertreter zweimal, ob sie sich das antun wollten. Bei internationalen Grossunternehmen komme, so Rühl, erschwerend hinzu, dass in ihren Leitungsgremien Schweizer Bürger weniger stark als früher vertreten seien.

Als Schwergewichte der Schweizer Wirtschaft, die weiterhin öffentlich zu politischen Fragen aussagen würden, nennt Economiesuisse Severin Schwan von Roche und Paul Bulcke, den Verwaltungsratspräsidenten von Nestlé. Während seiner langen Amtszeit als CEO von Roche liess Schwan an Medienkonferenzen kaum eine Gelegenheit aus, um auch politische Statements beispielsweise zum Schweizer Gesundheitswesen oder zum steuerlichen Umfeld abzugeben. Seit seinem Wechsel ins Präsidium vor knapp zwei Jahren ist es um Schwan in der Öffentlichkeit aber deutlich ruhiger geworden.

Was die Entwicklung der Mitgliederzahlen betrifft, betont man beim Spitzenverband der Schweizer Wirtschaft, dass ihm in erster Linie Branchenverbände sowie Handelskammern angeschlossen seien. Nur wenige Firmen hätten individuelle Mitgliedschaften, da die Unternehmen in der Regel bereits über die Branchenverbände und Handelskammern bei Economiesuisse vertreten seien.

Schmerzhafte Austritte bei Economiesuisse

Laut Rühl ist der Mitgliederbestand weitgehend stabil, man verzeichne jährlich nur wenige Mutationen, sowohl was Abgänge als auch Neueintritte anbelange. Insgesamt gehören Economiesuisse nur knapp 40 Unternehmen direkt an. Sie sind fast ausschliesslich Grosskonzerne. Zugleich sagt der Verband immer wieder, er stehe für die Interessen von schweizweit rund 100 000 Unternehmen ein.

Zu den Firmen, die in den vergangenen zehn Jahren ihre Mitgliedschaft gekündigt haben, zählen der Apotheken-Betreiber und Pharmagrossist Galenica, das Bauunternehmen Frutiger, der Telekomanbieter Sunrise, Möbel Pfister und die Online-Handelsgruppe Ebay. Angesprochen auf die Gründe ihres Austritts, zeigten sich sämtliche genannten Unternehmen wenig auskunftsfreudig. Sunrise liess immerhin durchblicken, dass auch finanzielle Gründe im Spiel waren. Man habe «im Sinne einer Bündelung der Kräfte» ab 2018 auf eine Mitgliedschaft bei Economiesuisse verzichtet.

Auch wenn sich die Abgänge von Firmenmitgliedern bei Economiesuisse in den letzten zehn Jahren in engen Grenzen hielten, riss jeder ein Loch in die Kasse des Verbands. Wegen der zunehmend wirtschaftskritischen Stimmung in der Schweiz ist der Verband zugleich auf jeden Franken angewiesen, um mit Kampagnen dagegenzuhalten.

Economiesuisse will selbst keine Auskunft zur Höhe der Mitgliederbeiträge geben. Doch ist aus gut informierten Kreisen zu vernehmen, dass Grossunternehmen rasch mehrere zehntausend Franken pro Jahr bezahlten. Die Höhe des Mitgliederbeitrags bemesse sich am Umsatz.

EU-Abstimmungen als nächste Bewährungsprobe

Economiesuisse wird denn auch alles daransetzen müssen, die verbleibenden Firmenmitglieder weiterhin von der Notwendigkeit einer Mitgliedschaft zu überzeugen. Dem Verband dürfte dies umso leichter fallen, je schneller es ihm gelingt, bei politischen Kampagnen wieder verstärkt als Sieger hervorzugehen.

Die nächste grosse Bewährungsprobe werden neben dem Urnengang über die SVP-Initiative zur Begrenzung der Immigration (10-Millionen-Schweiz) die Abstimmungskämpfe rund um die Abkommen mit der EU sein. Der Schweizer Wirtschaft liegt viel an geregelten Beziehungen mit ihrem wichtigsten Handelspartner. Sollte Economiesuisse auch in der Europapolitik mit ihrer Haltung nicht durchdringen, könnte dies bei den Mitgliedern tatsächlich eine Absetzbewegung auslösen.

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