Nach dem Nein zum Autobahnausbau gehen die Grünen in die Offensive. Sie wollen Geld aus dem Nationalstrassen-Fonds in den Klimaschutz umleiten. Gewerbeverbandspräsident Fabio Regazzi zeigt sich derweil selbstkritisch: Die Ja-Kampagne sei wohl zu brav gewesen.
Die Befürworter des Autobahnausbaus waren vorbereitet auf diese Niederlage. Der Nein-Trend hat sich in den Wochen vor dem Abstimmungssonntag abgezeichnet, die Aussicht auf einen Stimmungsumschwung blieb gering. Die letzten Hochrechnungen liessen zwar kurzzeitig Hoffnung auf eine Trendumkehr aufkommen, am Ende reichte es aber doch nicht: 52,70 Prozent der Stimmberechtigten lehnten die Vorlage ab. Die sechs Engpässe in den Kantonen Basel-Stadt, St. Gallen, Schaffhausen, Bern und Genf/Waadt bleiben damit in den kommenden Jahren bestehen.
Besonders bitter ist das Nein für den Schweizerischen Gewerbeverband (SGV), der die Ja-Kampagne geführt hat. Für den SGV-Präsidenten Fabio Regazzi steht fest: Mit dem Nein zur Autobahnvorlage sind in der Schweizer Verkehrspolitik mehrere Jahre Arbeit vernichtet worden. «Die Probleme sind nicht gelöst, der Handlungsbedarf besteht weiter», sagt er.
Man müsse nun analysieren, ob Teile der abgelehnten Vorlage gerettet werden könnten. «Wir haben über ein Paket mit sechs Projekten abgestimmt. Nun müssen wir prüfen, ob einzelne Projekte konsensfähig sind.» Regazzi weiss aber: Um diese Projekte weiterzuverfolgen, ist eine neue Vorlage nötig. Der Weg dorthin wäre lang und hürdenreich. «Es ist unvermeidlich, dass wir weitere Jahre verlieren.»
Nach dem Abstimmungssonntag dürfte die Frage aufgeworfen werden, wie gross der Anteil des SGV an der Niederlage ist. Der Verband führte eine eher zurückhaltende, unverfängliche Kampagne und hatte damit einen schweren Stand gegen eine Gegnerschaft, die vor allem auf Emotionen setzte.
Regazzi räumt denn auch ein, dass die Kampagne «möglicherweise zu brav und zu wenig emotional» gewesen sei. «Wir wollten kein Gegeneinander der Verkehrsmittel. Diese Botschaft ist offensichtlich nicht bei allen angekommen.» Man müsse sich überlegen, nächstes Mal «aggressiver und ideologischer» aufzutreten. Es wäre eine Rückkehr zu bekannten Rezepten: Unter seinem 2023 zurückgetretenen Direktor Hans-Ulrich Bigler fiel der SGV immer wieder mit provokativen Kampagnen und Wortmeldungen auf. Unter der neuen Führung ist es deutlich ruhiger geworden um den Verband.
Er frage sich, inwieweit das Thema Zuwanderung hier eine Rolle gespielt hat. Vielleicht sei es vielen Gegnern tatsächlich nicht in erster Linie um die zusätzlichen Strassen gegangen, sondern um das Wachstum der Bevölkerung.
«Das war keine Migrationsvorlage»
Für die Gegner des Autobahnausbaus wurde der Sonntag zu einem Jubeltag. «Wir haben gezeigt, dass wir nicht nur Abstimmungen auslösen, sondern auch gewinnen können», sagt Lisa Mazzone, die Parteipräsidentin der Grünen. Der Bevölkerung sei klargeworden, dass mehr Strassen zu mehr Verkehr führen würden.
Mazzone bestreitet nicht, dass verkehrspolitisch grosser Handlungsbedarf bestehe. Priorität habe allerdings der Ausbau eines bezahlbaren öffentlichen Verkehrs. «Damit können wir schon morgen anfangen. Das Geld dafür liegt im Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrsfonds (NAF) bereit – aber es braucht noch mehr.» Konkret fordert Mazzone, dass das Geld aus dem NAF für Agglomerationsprojekte zum Klimaschutz eingesetzt werde, also für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs, den Velo- und Fussverkehr und den Lärmschutz.
Heute sind diese Mittel ausschliesslich für den Betrieb, Unterhalt und Ausbau der Nationalstrassen vorgesehen. Um die grünen Pläne zu verwirklichen, müssten deshalb die Gesetze angepasst werden. Damit dürfte klar sein, in welche Richtung die nächsten Vorstösse von Links-Grün zielen werden: Es geht um nicht weniger als den Umbau des 2017 geschaffenen und von Volk und Ständen gutgeheissenen NAF.
Die Spekulation, dass die Zuwanderung ein Grund für das Nein gewesen sei, bezeichnet Mazzone als Ausrede der Verlierer. «Das war keine Migrationsvorlage, sondern eine Strassenvorlage.» Das Nein habe gezeigt, dass Bevölkerung ein haushälterischer Umgang mit der Landschaft wichtig sei. Vom Landverlust seien alle betroffen, deshalb habe es auch keinen klaren Stadt-Land-Graben gegeben.
Die Grünen werden sich jede Mühe geben, den Schwung dieses Erfolgs in die kommenden Debatten mitnehmen zu können. Das zeigte schon die Tonalität der offiziellen Verlautbarungen vom Sonntag. Das Nein zum Autobahnausbau sei das Verdienst einer «jahrzehntelangen grünen Politik», bilanzierte die Partei in ihrer Stellungnahme. «Der heutige Tag läutet die Verkehrswende in der Schweiz ein. Die Bevölkerung hat der rückwärtsgewandten Verkehrspolitik des Bundesrates eine Absage erteilt», liess sich die Parteipräsidentin Lisa Mazzone in einer Medienmitteilung zitieren. Der Bundesrat sei nun in der Verantwortung, «mit zeitgemässen Verkehrskonzepten bei der Bevölkerung zu punkten».
FDP macht SVP und Mitte mitverantwortlich
Die FDP machte den Gegnern des Autobahnausbaus schwere Vorwürfe. Dieses Abstimmungsergebnis sei «durch eine destruktive Kampagne der Linken erzielt, die in trumpscher, populistischer Manier Ängste schürte und Fakten ignorierte», schreibt die Partei in einer Medienmitteilung. Die Gegner hätten das Land bewusst in eine Blockade geführt, ohne eigene Lösungen zu bieten.
Die Partei macht zudem die SVP und die Mitte mitverantwortlich für die Niederlage: «Die ehemals bürgerliche Basis der SVP bröckelt zum wiederholten Mal gewaltig, nachdem sie heuer schon bei zwei Rentenvorlagen mit den Gewerkschaften gestimmt hat.» Auch hätten fast 40 Prozent der Mittewähler zusammen mit Links-Grün gegen die Sicherung der Nationalstrassen gestimmt.
Die SVP wiederholte ihre Argumentation, wonach der Hauptgrund für das Nein in der Zuwanderung zu suchen sei. Die Ablehnung der Autobahnvorlage sei «die Quittung der Stimmbevölkerung für die verantwortungslose Politik der anderen Parteien und der Wirtschaftsverbände, die sich weigern, den 2014 vom Volk angenommenen Verfassungsartikel zur Steuerung der Zuwanderung umzusetzen».