Samstag, April 19

Erstmals gelang dem Boom-Testflugzeug ein knallfreier Überschallflug, die Nasa plant mit ihrer X-59 Ähnliches. Macht das den Weg frei für eine neue Überschallära nach der Concorde?

Die Gesetze der Physik lassen sich weder mit genialen Ingenieuren noch mit viel Geld ausser Kraft setzen. Diese Gesetze besagen, dass bei Flügen oberhalb der Schallgrenze, also schneller als rund 1235 km/h, der Überschallknall auftritt und dem Flugzeug am Boden folgt. Das war immer so seit dem ersten Überschallflug der Geschichte, den Chuck Yeager 1947 in seiner Bell X-1 über der kalifornischen Mojave-Wüste absolvierte.

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Doch nun, fast 78 Jahre später, gelang Ende Januar 2025 am gleichen Ort erstmals der Beweis, dass knallfreie und damit am Boden quasi lautlose Überschallflüge möglich sind.

Das vor elf Jahren gegründete amerikanische Unternehmen Boom Supersonic demonstrierte das zu Jahresbeginn erfolgreich mit seinem Testflugzeug XB-1. Der kleine Einsitzer ist der erste jemals privat entwickelte und gebaute Überschalljet, er wurde nach insgesamt 13 erfolgreichen Testflügen bereits wieder ausser Dienst gestellt.

Die XB-1 sollte dem Unternehmen dazu dienen, das Designkonzept seines geplanten bis zu 80-sitzigen Überschall-Passagierflugzeugs Overture zu validieren, das bereits 2029 erstmals fliegen soll. Und so hofft der Hersteller, zu Beginn der 2030er Jahre für Fluggesellschaften wie United, American oder Japan Airlines Passagiere über den Atlantik und den Pazifik befördern zu können.

Die genannten Airlines haben bereits Vorbestellungen für 132 Flugzeuge getätigt, die Mach 1,7 erreichen sollen, also rund doppelt so schnell fliegen werden wie heutige Verkehrsflugzeuge.

Der Concorde-Knall führte zu Verboten

Es gibt nur ein Problem: In den USA und auch weltweit sind kommerzielle Überschallflüge über Land seit den siebziger Jahren verboten. Damals, als die Concorde getestet wurde, stellte sich heraus, dass der von jedem Flug ausgehende und mitwandernde Überschallknall am Boden so laut ankommt, dass körperliche Beeinträchtigungen für Menschen und Tiere und materielle Schäden etwa an Fensterscheiben entstehen können.

Seither durfte nur über Wasser mit Überschalltempo geflogen werden. Dies ist auch einer der Gründe, dass die Concorde zwischen 1976 und 2003 lediglich Linienflüge zwischen Paris oder London und New York über den Atlantik absolvierte.

Doch Design und Technik der Concorde sind jetzt rund sechzig Jahre alt, und mit heutigen Möglichkeiten müsste sich das Knallproblem lösen lassen – dachte sich Boom Supersonic und denkt auch die Nasa, die seit Jahrzehnten mit Überschallflugzeugen experimentiert. Um das praktisch zu beweisen, haben beide dafür Testflugzeuge gebaut: Boom die XB-1 (19 Meter lang, 6,4 Meter Spannweite, drei konventionelle GE-J85-Triebwerke mit Nachbrenner), Lockheed Martin für die Nasa die X-59.

Schon die Unterschiede im Design zeigen die verschiedenen Ansätze, die beide verfolgen: Fast die Hälfte der 30,4 Meter langen X-59 entfallen auf die sehr lange plattgedrückte «Pinocchio-Nase», wie Piloten sie nennen. Die ungewöhnliche Form der Rumpfnase und des gesamten Deltaflüglers (Spannweite 9 Meter) mit T-Leitwerk und Canards (Entenflügeln) vorn ist bewusst gewählt, um die Schockwellen zu minimieren, die im Überschallflug den Knall am Boden verursachen.

In noch für 2025 geplanten Testflügen über ausgewählten bewohnten Gebieten der USA soll diese «Low Boom»-Technologie getestet werden. «Wir wollen unter verschiedenen äusseren Bedingungen zeigen, dass wir den am Boden ankommenden verbleibenden Knall auf das Niveau einer zuschlagenden Autotür reduzieren können», sagt der Nasa-Ingenieur Don Durston vom Ames Research Center in Kalifornien. Die X-59 verfügt über ein F414-Triebwerk von General Electric, von dem zwei auch die F/A-18-Hornet-Kampfflugzeuge antreiben, wie sie unter anderem bei der Schweizer Luftwaffe fliegen.

Die Gestalt des Nasa-Testflugzeugs zielt darauf ab, durch die aerodynamische Form des Flugzeugs den Knall zwar nicht zu verhindern, was physikalisch unmöglich ist, aber so zu dämpfen, dass das, was noch am Boden ankommt, für Mensch und Material leicht auszuhalten ist.

Ganz anders macht es Boom bei der XB-1 und künftig bei der Overture: Es bedient sich eines physikalischen Phänomens, das «Mach cutoff» heisst und theoretisch schon länger bekannt ist. Im sogenannten «Boomless Cruise» werden Flughöhe und Geschwindigkeit den herrschenden Umgebungsbedingungen so genau angepasst, dass das Verfahren funktioniert.

«Genauso wie sich ein Lichtstrahl biegt, wenn er durch ein Wasserglas hindurchscheint, passiert das auch bei Schallwellen, wenn sie durch Luftschichten mit verschiedenen Temperaturen gehen», erklärt der Boom-Chef Blake Scholl. «Bei niedrigeren Temperaturen, wie sie in grosser Höhe herrschen, biegen sich die Schallwellen des Knalls nach oben und erreichen den Boden gar nicht.»

Die Höhe dieser u-förmigen Bewegung variiert je nach Geschwindigkeit des Flugzeugs und den herrschenden Temperaturen und Winden. «Damit es funktioniert, braucht man Technologie, die es in der Concorde-Ära nicht gab», so Scholl.

«Für Boomless Cruise sind das Triebwerke, die stark genug sind, um die Schallmauer auf einer Höhe zu durchbrechen, wo der Knall hoch genug erzeugt wird.» Dazu seien Wetterdaten in Echtzeit und leistungsfähige Algorithmen einzubeziehen, um die Ausbreitung des Knalls präzise vorherzusagen.

Das hat Boom während der letzten beiden Testflüge der XB-1 geschafft, bei keinem der sechs Male, in denen insgesamt die Schallmauer durchbrochen wurde, kam der Knall am Boden an.

Elon Musk will sich für Überschall über Land einsetzen

Die gewonnenen Daten sollen nun in die Entwicklung des Autopiloten für die Overture einfliessen, damit das Flugzeug künftig über Land automatisch knallfrei unterwegs sein kann. Das heisst mindestens 9200 Meter hoch und nicht schneller als Mach 1,3, je nach Wetterbedingungen liegt die mögliche Geschwindigkeit für knallloses Fliegen üblicherweise zwischen Mach 1,1 und 1,2 (etwa 1358 bzw. 1481 km/h).

Sollten Überschallflüge über Land nach erfolgreichen Tests tatsächlich eines Tages erlaubt werden, wofür sich auch Elon Musk einsetzen will, wäre das ein grosser Gewinn beim Reisetempo und würde viele neue potenzielle Routen ermöglichen. «Wir sollten ein Lärmlimit haben, kein Geschwindigkeitslimit», fordert Blake Scholl.

Der Wissenschafter Bernd Liebhardt, der sich beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Hamburg mit Überschall beschäftigt, sieht Potenzial: «Für den hypothetischen Fall der Freigabe von Überschall über Land würde sich laut unseren Studien der potenzielle Markt für Überschall-Linienflugzeuge verdoppeln und wahrscheinlich ernstzunehmende Entwicklungsprojekte auslösen.»

Aber Liebhardt ist gleichzeitig skeptisch: Die Technologie sei noch nicht einsatzreif, da sie verschiedene Probleme noch nicht angehe, beispielsweise die unabänderlich hohe Lautstärke des Schallknalls in der Überschall-Beschleunigungsphase.

Es bleiben Bedenken bei der Nachhaltigkeit

Ein weiteres Fragezeichen bleibt bei der Nachhaltigkeit – die Overture würde nach Schätzungen der Forscher des International Council on Clean Transportation (ICCT) fünf- bis siebenmal mehr Sprit pro Passagier benötigen als übliche Flugzeuge. Boom setzt zwar auf 100 Prozent nachhaltigen Flugtreibstoff (SAF) in den Tanks – aber selbst der ist kein vollständig «grünes» Kerosin und vor allem mittelfristig kaum verfügbar.

«Ich denke, die Luftfahrt sollte jetzt nicht mit neuen Möglichkeiten kommen, sogar noch mehr Energie zu verbrauchen, während wir in der Klimakrise stecken», sagt Raymond Speth vom Luftfahrtlabor der renommierten amerikanischen Universität MIT.

Lange Nasen erschweren den Blick nach vorne

Wenn künftig leise Überschallflugzeuge unterwegs sein sollten, müssten sich die Piloten zumindest an eines gewöhnen: keinen eigenen Blick mehr aus dem Cockpitfenster nach vorn, auch nicht auf die Piste vor der Landung. Die Aerodynamik gebietet eine lange Nase, die aber die Aussicht blockiert, und statt mit der Klappnase wie bei der Concorde fliegen moderne Überschallpiloten nur noch mit Live-Bildern aus vorwärtsgerichteten Kameras im Cockpit.

«Die XB-1 war von allen Flugzeugen, die ich kenne, das am schwierigsten zu landende», sagt der Testpilot Tristan Brandenburg, ein früherer Top-Gun-Pilot. Das lag allerdings an der schwierigen Aerodynamik im Langsamflug des für Überschall ausgelegten Jets, nicht an fehlender Sicht. Bei der Landung Kameras zu benutzen, funktioniere hingegen problemlos.

Boom Supersonic hat bisher schon neue Meilensteine im Überschallflug erreicht, die es seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben hatte. Und trotzdem ist der Ausgang ungewiss, das gibt auch der Firmenchef Blake Scholl zu: «Flugtests sind aufregend, aber wir sind so lange noch nicht fertig, bis wir Überschallflüge zu langweiliger Routine gemacht haben.»

Bis dahin stünden noch riesige Hürden auf dem Weg, sagt der DLR-Wissenschafter Bernd Liebhardt: «Unter anderen die Zertifizierung sowohl eines neuartigen Triebwerks als auch eines neuartigen Flugzeuges» sei knifflig. Nicht nur er glaubt, dass es noch viele Jahre und erhebliche Investitionen braucht, bevor eine Markteinführung realistisch wird. Sowohl das eigenentwickelte Triebwerk Symphony als auch das Linienflugzeug Overture existieren bis jetzt nur auf dem Papier.

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