Mittwoch, März 12

Das einzige E-Auto-Werk von Tesla in Europa beschert einer kleinen Brandenburger Gemeinde Arbeitsplätze und Steuereinnahmen. Doch die Ansiedlung hat den Ort tief gespalten.

Die ersten Buhrufe erschallen schon vor der Sitzung des Gemeindeparlaments am Donnerstagabend: Vor der Müggelspreehalle in Hangelsberg, einem Ortsteil der weitläufigen Gemeinde Grünheide im Berliner Umland, haben sich ein paar Dutzend Tesla-Gegner versammelt. Im Hintergrund hält sich eine ähnliche Anzahl Polizisten. Die lokal verankerte Bürgerinitiative Grünheide und die Bewegung «Tesla Stoppen», die zu den Organisatoren eines nahen Protestcamps zählt, beschwören die Gemeindevertreter, den Bebauungsplan zur Erweiterung des Fabrikgeländes des amerikanischen Elektroautoherstellers Tesla abzulehnen.

Bitte um Respekt

Gemeinsam wollen sie «Tesla den Hahn abdrehen». «Grünheide sagt Nein zum Tesla-Ausbau» ist auf Plakaten zu lesen, oder «Grüner Kapitalismus ist eine dreckige Lüge». In kurzen Statements bekräftigen die Gegner ihre Ablehnung, unterbrochen von Zwischenrufen einiger Befürworter, die vor der Halle auf Einlass warten. Insgesamt aber bleibt es friedlich, die Polizei kann im Hintergrund bleiben. Doch sie ist vorsichtig geworden. Letzten Freitag haben radikale Aktivisten versucht, in das Firmengelände von Tesla einzudringen, im März war ein Brandanschlag auf einen Strommast verübt worden.

Drinnen in der Sporthalle zeigt sich, wie stark die Tesla-Ansiedlung auch die Gemeinde mit rund 9200 Einwohnern spaltet. Das Gemeindeparlament heisst hier Gemeindevertretung und besteht neben dem parteilosen Bürgermeister Arne Christiani aus 18 weiteren, ehrenamtlichen Mitgliedern. Die Sitzung ist öffentlich, rund 200 Einwohner und Umweltaktivisten drängen sich in der Halle. Die Vorsitzende, die Sozialdemokratin Pamela Eichmann, bittet um einen friedlichen Verlauf und einen respektvollen Umgang miteinander.

Doch schon die erste Formalität weckt lauten Unmut: Weil zur Zulassung von Foto- und Filmaufnahmen ein einstimmiger Beschluss nötig wäre, der nicht zustande kommt, müssen die Kameraleute das Feld räumen. Immer wieder muss Eichmann in der Folge um Ruhe bitten und mit Ordnungsrufen drohen. Ähnlich wie in der katholischen Kirche, wo Männer und Frauen einst getrennt sassen, haben sich Gruppen zusammengeschart: Auf der einen Seite die lokalen Gegner, auf der anderen die Befürworter, hinten die Aktivisten von auswärts.

Aggressive Stimmung

Als Einwohner von Grünheide Fragen stellen dürfen, entwickeln sich aggressive, unversöhnliche Wortgefechte. Nicht jede Wortmeldung ist eine Frage, viele werden durch laute Zwischenrufe gestört, es fallen Kraftausdrücke und Beleidigungen. Wenn der Bebauungsplan beschlossen werde, «werden Sie als Gemeindevertreter kein schönes Leben mehr haben», droht ein Bürger. Eine Gemeindevertreterin der CDU beklagt die bedrohliche und belastende Stimmung gegen Mandatsträger.

Zur Abstimmung steht ein revidierter Bebauungsplan für ein Grundstück neben dem bestehenden Fabrikgelände von Tesla. Auf dem bestehenden Areal steht die einzige E-Auto-Fabrik von Tesla in Europa. Sie ist 2022 in Betrieb gegangen und beschäftigt rund 12 000 Mitarbeiter. Bisher ist sie auf eine Kapazität von bis zu 500 000 Autos pro Jahr ausgerichtet. Im Gange sei ein Bewilligungsverfahren für einen Ausbau der Kapazität auf bis zu einer Million Fahrzeuge, sagt ein Tesla-Vertreter an der Sitzung.

Perspektivisch peilt Tesla sogar zwei Millionen an. Wie schnell diese Pläne angesichts der jüngsten Absatzschwäche realisiert werden, bleibt abzuwarten.

Weniger Rodung

Beim Grundstück, über das die Gemeinde befinden muss, geht es aber nicht um diese Kapazitätserweiterung, sondern «nur» um ein Waldgelände neben dem bestehenden Fabrikareal, auf dem vor allem ein werkseigener Güterbahnhof entstehen soll. Er soll den Abtransport der Autos per Bahn statt per Lastwagen ermöglichen.

Einen ersten Bebauungsplan haben im Februar in einer Einwohnerbefragung 62,1 Prozent der Teilnehmer abgelehnt. Das Ergebnis war rechtlich nicht bindend, doch gingen die Gemeinde und Tesla nochmals über die Bücher. Mitte März präsentierte Christiani einen überarbeiteten Bebauungsplan. Er sieht weiterhin einen Güterbahnhof vor, reduzierte aber die übrigen Pläne. Deshalb müssen statt 100 Hektaren Wald nur etwa halb so viel gerodet werden. Am Donnerstag fügt die Gemeindevertretung zudem einstimmig einen Passus hinzu, wonach der verbleibende Wald im Landschaftsschutzgebiet und im Eigentum des Bundeslandes bleiben müsse. Dies soll eine Salamitaktik verhindern.

Für die Befürworter sind damit die Bedenken der Einwohner ausreichend berücksichtigt, zumal der Güterbahnhof durch die Entlastung der Strassen gerade auch der Gemeinde zugutekommen würde. Die Gegner stört jedoch nicht nur, dass das Areal in einem Wasserschutzgebiet liege, sondern vor allem auch, dass aus ihrer Sicht der Wille der Bürger missachtet werde. In der Ablehnung treffen sich auch Gruppen, die sonst wenig miteinander anfangen können: Zu den Gegnern zählen lokale Vertreter der Rechtsaussen-Partei AfD, die den «Erhalt der Heimat» beschwören, ebenso wie zum Teil linksradikale und von weit her gereiste Klimaaktivisten, die Tesla schlagen und den Kapitalismus meinen.

Tesla erfreut

Doch am Ende setzen sich die Befürworter durch: Elf Gemeindevertreter stimmen für den revidierten Bebauungsplan, sechs dagegen, zwei enthalten sich. Die Nein-Stimmen stammen von der AfD sowie von Teilen eines Bürgerbündnisses und der SPD-Fraktion. Der Tesla-Riss geht nicht nur durch die Gemeinde, sondern auch mitten durch die lokale Sozialdemokratie.

Dabei hat die SPD – ähnlich wie die Grünen – die Tesla-Ansiedlung auf Landes- und Bundesebene stets unterstützt. Jörg Steinbach, der sozialdemokratische Wirtschaftsminister des Bundeslands Brandenburg, zu dem Grünheide gehört, freute sich auf X (vormals Twitter) über das Votum. Der Bebauungsplan befördere die kommunale Entwicklung. Besonderer Respekt müsse den Gemeindevertretern gezollt werden, die unter starkem persönlichen Druck gestanden hätten.

Auch Tesla zeigte sich in einer Aussendung erfreut. Mit dem Beschluss habe die Gemeinde den Weg frei gemacht für den Infrastrukturausbau in Grünheide. Der Bebauungsplan gehe in zentralen Punkten auf die Bedenken aus der Gemeinde ein. Wann die Rodung und Bebauung beginnen soll, teilte Tesla nicht mit. Es sind noch einige weitere Schritte nötig; im Communiqué ist von «mittel- und langfristigen Planungen» die Rede.

Gegner geben nicht auf

Noch nicht aufgeben wollen die Gegner. Die Bürgerinitiative Grünheide will rechtliche Schritte wegen Verfahrensmängeln prüfen. «Tesla Stoppen» zeigte sich in einer Pressemitteilung enttäuscht über das Votum. Man sehe dadurch die demokratischen Proteste in Grünheide gefährdet. «Deshalb müssen wir bleiben, um das Wasser und den Wald zu schützen, solange unser Schutz gebraucht wird», erklärte eine Sprecherin. Das Ende Februar errichtete Protestcamp im strittigen Waldstück müssen die Aktivisten vorerst nicht räumen: Am Donnerstag hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg eine Beschwerde der Brandenburger Polizei zurückgewiesen.

Und die tief gespaltene Gemeinde? Hier werden die Karten neu gemischt: Am 9. Juni wählt Grünheide parallel zu den Europawahlen eine neue Gemeindevertretung.

Sie können dem Berliner Wirtschaftskorrespondenten René Höltschi auf den Plattformen X und Linkedin folgen.

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