Montag, November 25

Die Situation beim Windkraftzulieferer wird einfach nicht besser, jetzt droht noch Ungemach aus China. Ausserdem: DocMorris enttäuscht erneut, Richemont hängt am US-Markt und Aryzta wird Emmi vorgezogen.

Geschätzte Leserin, geschätzter Leser

Die Aktien von Gurit befinden sich im freien Fall, seit Anfang Jahr hat sich der Kurs halbiert.

Der Hersteller von Verbundwerkstoffen kämpft seit geraumer Zeit mit ausbleibenden Aufträgen seiner westlichen Kunden, den Windkraftanlagen- und Komponentenherstellern Siemens Gamesa, Vestas und General Electric. Diese blicken ihrerseits auf schwierige Jahre zurück, Aufträge und Projekte blieben aus, gleichzeitig sind die Material- und Lohnkosten deutlich gestiegen. Und die Erholung bei Windkraftprojekten ist nur sehr zögerlich spürbar. Hinzu kamen gerade im Fall der Siemens-Tochter hausgemachte Probleme. Qualitätsmängel führten zum Rücktritt von CEO Jochen Eickholt und zu Plänen, rund 15% der Belegschaft abzubauen.

Auslöser für den jüngsten Kursrutsch bei Gurit ist wohl die Sorge vor wachsender Konkurrenz aus China. Der chinesische Turbinenhersteller Mingyang Smart Energy hat unlängst den Zuschlag zur Realisierung eines Windparks in der deutschen Nordsee erhalten. Gurit-Chef Mitja Schulz sah sich am Montag bei der Präsentation der erneut enttäuschenden Halbjahreszahlen mit Fragen zu den chinesischen Anbietern und deren Zulieferern konfrontiert. Der Preisdruck sei gross, räumte er vor Analystinnen, Investoren und Journalistinnen ein, und in China gebe es – wie in anderen Industrien auch – Überkapazitäten in der Windenergie. Dennoch glaubt Schulz, dass europäische Hersteller bei lokalen Aufträgen im Vorteil sind, weil sie auch Serviceleistungen anbieten können.

Die Parallelen zur Herstellung von Solarmodulen sind jedoch offensichtlich. Eine Flut billiger Module aus China hat die europäischen Hersteller in den letzten Jahren aus dem Markt gedrängt. Mittlerweile kontrollieren chinesische Unternehmen mehr als 90% der weltweiten Wertschöpfungskette in der Solarindustrie, praktisch alle in Europa verbauten Module stammen aus Fernost. Das bekam auch die Schweizer Meyer Burger zu spüren: Der Neustart im ostdeutschen Freiberg scheiterte unter anderem an fehlenden Subventionen, nun soll es der Umzug in die USA richten, wo Solarspezialisten besser vor chinesischer Konkurrenz geschützt sind. Bis Ende 2024 will das Unternehmen in Arizona eine Jahreskapazität von 2 Gigawatt aufbauen.

Die Börse glaubt längst nicht mehr daran, die Aktien von Meyer Burger haben allein seit Anfang Jahr 90% an Wert verloren. Auch der Reverse Split Anfang Juli, bei dem jeweils 750 Aktien zu einer zusammengefasst wurden, hat nicht geholfen. Die Titel tauchen regelmässig auf der Liste der grössten Schweizer Short-Positionen auf.

Der tiefere Grund für die Misere von Gurit an der Börse ist, dass die Anlegerinnen den Glauben an die Strategie verlieren. Eigentlich hatte sich das Unternehmen mit der Fokussierung auf Materialien für die Windkraft neu erfinden wollen. Vor gut zwei Jahren verkaufte Gurit das Luft- und Raumfahrtgeschäft an die österreichische Isovolta. Keine zwei Wochen später gab das Unternehmen die Übernahme eines 60%-Anteils an Fiberline Composites bekannt, einem technologisch führenden Hersteller von Karbon- und Glasfaserprodukten, die bei der Herstellung von Rotorblättern für Windkraftanlagen zum Einsatz kommen.

Doch die Neuausrichtung hat sich bisher kaum ausgezahlt, 2022 und 2023 waren operativ zwei sehr schwierige Geschäftsjahre. Nun wird der dänische Standort von Fiberline geschlossen und die Produktion aus Kostengründen an die Standorte in Indien und China verlagert.

Ende Juni hatte ich darauf verwiesen, dass das Umfeld für Gurit schwierig bleiben dürfte, trotz erster optimistischer Signale bei der Vergabe der Windenergieprojekte. Aus den jüngsten Entwicklungen ziehe ich deswegen vor allem einen Schluss: Überall dort, wo chinesische Konkurrenz droht – sei es in der Solarindustrie (Meyer Burger) oder im Automobilsektor (Komax) – lasse ich die Finger von Schweizer Aktien.

DocMorris hat die Geduld überstrapaziert

Einen schlechten Stand an der Börse hatte diese Woche auch DocMorris – einmal mehr.

Der Umsatz der Onlineapotheke mit elektronischen Rezepten für verschreibungspflichtige Medikamente (eRx) in Deutschland ist in den ersten Monaten seit dem Start Mitte April weniger stark gewachsen als erwartet. Auch im Juli zeigten sich die Kunden sehr zurückhaltend, sie müssen sich erst mit der neuen Onlinelösung für die ärztliche Rezepteinreichung vertraut machen. Als Reaktion auf die Zurückhaltung erhöht DocMorris die Marketingausgaben.

Für mich zeigt die heftige Marktreaktion auf die Publikation des vollständigen Halbjahresergebnisses, dass das Unternehmen die Geduld mittlerweile überstrapaziert. Enttäuschungen sind ja für DocMorris-Investorinnen an sich nichts Neues: Der Aktienkurs folgt seit Ende 2021 und dem verschobenen Start des E-Rezepts in Deutschland dem ständigen Auf und Ab der Nachrichtenlage. Dass sich die Schweizer mit ihrer strategischen Entscheidung, voll auf das verschreibungspflichtige Rezept zu setzen, verzockt haben, ist längst klar. Der Aktienkurs hat sich von einstigen Höhen verabschiedet.

Doch am Dienstag scheint der Geduldsfaden vieler Aktionäre gerissen zu sein. Denn aus heiterem Himmel kam die Nachricht, dass die Hoffnungen auf eine schnelle Umsetzung des E-Rezepts erneut enttäuscht werden. Schon mit den im Juli veröffentlichten Umsatzzahlen konnte das Unternehmen die Erwartungen nicht erfüllen. Bereits damals brach der Aktienkurs ein. Da hilft es auch nicht, dass DocMorris in der heutigen Mitteilung betont, auf Ebitda-Ebene die Gewinnschwelle erreicht zu haben – wären da nur nicht diese Marketingkosten für eRx. Dabei sind es gerade diese Ausgaben, die den realisierten und zukünftigen Umsatz im Kerngeschäft überhaupt erst ermöglichen.

Eigentlich ist das E-Rezept in Deutschland – nach jahrelangem Hin und Her – zum 1. Januar 2024 verpflichtend eingeführt worden. Seit Mitte April erlaubt es das CardLink-Verfahren, dass DocMorris-Kunden direkt über eine Handy-Applikation E-Rezepte einlösen können. Konkurrentin Redcare zog kurz darauf nach. Bislang hat sich der kleine Vorsprung jedoch nicht als Vorteil erwiesen. Die Marktdurchdringung kommt ohnehin nur langsam voran. Gian Marco Werro, Aktienanalyst bei der Zürcher Kantonalbank, geht davon aus, dass bis Ende 2026 erst rund 5% aller rezeptpflichtigen Rezepte online eingelöst werden. DocMorris selbst hält 10% für erreichbar – wann genau, ist unklar.

Für das laufende Geschäftsjahr senkt DocMorris die Umsatzprognose und rechnet nur noch mit einem Wachstum in Lokalwährungen von 5 bis 10%, nachdem bisher ein Wachstum von über 10% erwartet worden war. Auch der Betriebsverlust vor Abschreibungen und Amortisationen (Ebitda) dürfte mit 50 Mio. Fr. höher ausfallen als bisher angenommen und damit trotz erheblicher Sparbemühungen in den vergangenen zwei Jahren auch unter dem Vorjahreswert liegen. Unter dem Strich werden frühestens 2026 schwarze Zahlen erwartet. Immerhin kann DocMorris dank einer Nettoliquidität von 195 Mio. (per Ende Juni), unter anderem aus dem Verkauf des Schweizer Geschäfts an die Migros, auch zweistellige Verluste verkraften, ohne dass die Finanzierung erneut zum Thema wird. Im April wurde eine Wandelanleihe refinanziert.

Aus Sicht der Publikumsaktionäre ist mir allerdings schleierhaft, wer nach all den Enttäuschungen der vergangenen Jahre noch die nötige Geduld aufbringen soll. Mit der Unsicherheit über das Wachstum des E-Rezepts wird der Aktienkurs weiterhin von der Nachrichtenlage getrieben – mit grossen Schwankungen.

Richemont: Alle Augen auf die USA

Die Nachfrage in China: weiterhin schwach.

Die Nachfrage in Japan: absehbar schwächer.

Die Nachfrage in den USA: Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Konsumdaten aus den USA geben derzeit beim Aktienkurs von Richemont den Takt vor. So etwa vergangene Woche, als die Titel am Donnerstag mit einem starken Plus auf die guten Detailhandels- und Jobdaten reagierten.

Der starke Fokus überrascht mich wenig. Aus China kommen keine Anzeichen für eine konjunkturelle Erholung, die Nachfrage wird noch eine Weile gedrückt bleiben. Und auch strukturell droht den Luxusgüterkonzernen Ungemach: Die Kommunistische Partei Chinas übt Druck auf die Reichen aus, ihren Reichtum nicht mehr so offen zur Schau zu stellen. Gleichzeitig schürt die Aufwertung des Yen die Sorge, dass Touristen die Reise- und Kauflust vergeht. Der japanische Markt hatte im ersten Quartal des Geschäftsjahres 2024/25 (per Ende Juni) dank der Einkäufe von Gästen aus China, Südkorea und dem übrigen asiatischen Raum sowie aus den USA für die grosse positive Überraschung beim Volumenwachstum gesorgt.

Neben China und Japan gehören die USA zu den wichtigsten Einzelmärkten Richemonts. Im ersten Quartal des Geschäftsjahres 2024/25 (per Ende Juni) wuchs der Absatz in der Region Americas zu konstanten Wechselkursen solide 10% und damit deutlich schneller als der Gesamtkonzern (+1%), wo das Unternehmen fast jeden vierten Euro erwirtschaftet. Dies hängt von der Stimmung der US-Verbraucher ab, die in den vergangenen Wochen immer wieder infrage gestellt wurde.

Die Datenlage präsentiert sich weiterhin uneinheitlich. Von fünf wichtigen Indikatoren – Baugenehmigungen, Stimmung auf dem Arbeitsmarkt, Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe, Lohnwachstum und Einzelhandelsumsätze – deuten zumindest die ersten beiden darauf hin, dass weiterhin Vorsicht geboten ist. Gleichzeitig sind die Ausgaben für Hotelübernachtungen, Restaurantbesuche und Freizeitausflüge bisher stabil geblieben. Die Menschen scheinen also durchaus bereit zu sein, viel Geld über den täglichen Bedarf hinaus auszugeben.

Diese leichte Entspannung spiegelt sich auch im Aktienkurs der beiden Kreditkartenkonzerne Mastercard und Visa. Aufgrund ihrer Monopolstellung im Zahlungsverkehr und ihrer Sensitivität gegenüber Kreditausfällen werden sie häufig als Indikator für die allgemeine Konsumentenstimmung herangezogen. Der Ende März begonnene Abwärtstrend scheint vorerst gebrochen zu sein.

Es besteht also berechtigte Hoffnung, dass es auch für Luxusgüterunternehmen wie Richemont nicht noch schlimmer kommt.

Lieber Aryzta als Emmi

Aryzta hat einen bemerkenswerten Wandel hinter sich. Das Management um Noch-CEO und Präsident Urs Jordi hat den Grossbäcker in den vergangenen vier Jahren vom Sanierungsfall zu einem soliden Unternehmen umgebaut, das Geschäft wurde fokussiert, Schulden und Kosten abgebaut. Das hilft sowohl dem Wachstum als auch der Profitabilität und ist an der Börse nicht unbemerkt geblieben.

Auch mir gefallen die Aktien seit einiger Zeit, wie ich vergangene Woche bereits erläutert habe. Und die Liste der Skeptiker ist in den vergangenen Tagen um einen Namen kürzer geworden: Arben Hasanaj. Der Aktienanalyst von Vontobel hat die Titel von «Hold» auf «Buy» hochgestuft, mit einem neuen Kursziel von 2.30 Fr. – das entspricht zum heutigen Kurs einem Potenzial von über 30%.

Hasanaj stellt die Vontobel-Favoriten im Schweizer Nahrungsmittelsektor neu zusammen; gleichzeitig mit der Kaufempfehlung für Aryzta senkt der Analyst die Einschätzung für die Aktien von Emmi auf «Halten». Beim Milchverarbeiter fehle ihm derzeit ein klarer Impulsgeber. Insbesondere die angekündigte Übernahme von Mademoiselle Desserts überzeuge nicht, da die Expansion über die Kernstärken von Emmi hinausgehe und noch lange keinen Wert schaffe.

Demgegenüber punkte Aryzta auch mit Blick nach vorne dank der Fokussierung auf Premiumprodukte und der umsichtigen Kapazitätsausweitung. Damit sei der Grossbäcker besser positioniert, um mittelfristig für die Aktionäre Wert zu schaffen, und dies bei einer deutlich niedrigeren Bewertung.

Dieser Einschätzung schliesse ich mich an. Nichts gegen Emmi, der Milchverarbeiter hat auch in den vergangenen, eher schwierigen Jahren, sehr gute Arbeit geleistet. Doch das Potenzial scheint vorerst ausgeschöpft zu sein.

Was mir deshalb an Aryzta besonders gefällt: Es bleiben auch vier Jahre nach dem Start von Jordi und seinem Team noch Elemente, die das Unternehmen aus eigener Kraft verbessern kann. Vor allem auf der Kostenseite gibt es Optimierungspotenzial, nicht nur bei den Finanzierungskosten. So wird zum Beispiel das Shared Profit Center in Polen Vorteile bringen. Damit wird der operative und finanzielle Erfolg des Unternehmens weniger stark vom allgemein schwierigen Konsumumfeld in Europa abhängen. Denn gerade bei den Inputkosten dürfte der Druck hoch bleiben. Der Butterpreis ist wieder gestiegen. Und nicht nur die Rohstoffe, auch die steigenden Lohnkosten sind ein Thema.

Freundlich grüsst im Namen von Mrs Market

Gabriella Hunter

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