Montag, September 30

Im Servicegeschäft verdienen Industriegesellschaften überaus gute Margen. Für Investoren ist ein hoher Umsatzanteil bei der Titelwahl ein Qualitätsmerkmal.

Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt: Unternehmen in besonders zyklischen Branchen kennen diese Stimmungsschwankungen zur Genüge. Sie sind untrennbarer Teil ihres Geschäftsmodells. In Expansions- und Boomphasen steigt die Nachfrage exponentiell, entsprechend weisen Umsatz und Gewinn – und der Börsenkurs – steil nach oben.

Genauso rasch geht es dann aber auch in die andere Richtung, wenn eine Rezession einsetzt, Aufträge, Umsatz und Gewinn einbrechen und womöglich sogar Verluste geschrieben werden. Für die Investoren heisst es dann oft: wie gewonnen, so zerronnen.

Kein Kaufen und Vergessen

Die Lehre daraus: Zyklische Valoren eignen sich schlecht für eine Buy-and-Hold-Strategie. Mit Kaufen und Vergessen kommt man mit diesen Aktien langfristig nicht auf einen grünen Zweig.

Zu den typischen Vertretern zyklischer Gesellschaften gehören Industrieunternehmen. Ihr Geschäftsverlauf hängt eng mit der konjunkturellen Entwicklung zusammen. Das BIP-Wachstum in den Ländern, in denen sie tätig sind, sowie die allgemeine Stimmung im Geschäftsumfeld – gemessen zum Beispiel am Verhalten der Einkaufsmanager – geben den Takt an.

Mit Blick auf die geringen Werte der Einkaufsmanagerindizes (Purchasing Managers Index, PMI), sowohl global als auch in Europa und der Schweiz, bekundet die Konjunktur nach Ende der Pandemie Mühe, wieder richtig Fahrt aufzunehmen. Ein wichtiger Faktor ist die hartnäckige Flaute im riesigen Absatzmarkt und Produktionsstandort China.

Mit Schwankungen leben

Auf die Schnelle können Industrieunternehmen wenig ausrichten, wenn die Kunden mit Bestellungen zuwarten, Investitionsfreude vermissen lassen und Aufträge verspätet oder gar nicht abrufen. Ausser Kosten zu senken, Stellen zu streichen und die Schwächephase durchzustehen, bleibt ihnen auf kurze Frist wenig Manövrierraum.

Ein probates Mittel dagegen ist indes ein Geschäftsmodell, bei dem möglichst viele Aufträge wiederkehrend sind. Serviceaktivitäten jeglicher Art eignen sich dazu am besten. Das können langjährige Wartungsverträge sein, Ersatzteile, Modernisierungen, Beratungsangebote oder einfach der sanfte Druck, dass der Kunde schon in der Entwicklungsphase eng begleitet wird, damit er später den Anbieter auch für Ersatzteile und das Upgrade von Anlagen wählt.

Mit Serviceangeboten werden Kunden enger ans Unternehmen gebunden. «Man ist vor Ort beim Kunden, weiss, wo ihn der Schuh drückt, welche Probleme ihm die Software bereitet», umschreibt Tobias Fahrenholz, Analyst beim US-Brokerhaus Stifel, die bevorzugte Ausgangslage. «Aber noch attraktiver als allgemeine Services sind oftmals die zeitkritische Beschaffung von Ersatzteilen und gesetzlich vorgeschriebene Serviceaktivitäten.»

Damit können Industriegesellschaften extreme Zyklen zwar nicht ganz beseitigen, aber immerhin glätten. Die Unternehmensstrategie wird verlässlicher und planbarer und die Geschäftsentwicklung weniger risikobehaftet. «Jedes Unternehmen möchte seine Einkünfte wiederkehrend machen», sagt Alexander Koller, Analyst von Vontobel.

Die Service-Experten

Vor allem aber sind Serviceaktivitäten lukrativ: «Sie sind äusserst attraktiv und erlauben oft doppelt so hohe Margen wie der Verkauf von Anlagen», sagt Fahrenholz. Im Industriebereich sind auf Gruppenstufe Betriebsgewinnmargen von 8 bis 10% normal. Wie viel die Unternehmen mit dem Service genau verdienen, wird meist verschwiegen. Zweistellige Margen liegen jedoch immer drin, wenn es richtig gemacht wird.

In der Schweiz gibt es eine Handvoll Unternehmen, die das Servicegeschäft zur Vollendung gebracht haben. Eines davon ist der Aufzug- und Fahrtreppenhersteller Schindler📈. Mehr als die Hälfte des Umsatzes erwirtschaftet er mit Service, weitere 10% entfallen auf die Modernisierung bestehender Anlagen. «Ein solch hoher Serviceanteil ist indes sehr selten», sagt Vontobel-Analyst Koller.

Weil der für Neuanlagen wichtigste Markt China in der Krise steckt, sind die langjährigen Wartungsverträge derzeit die stabile Säule von Schindler. Ungeachtet der Konjunktur fliessen die Einnahmen aus Serviceverträgen ständig, weil die regelmässige Wartung der Anlagen aus Sicherheitsgründen zwingend ist. Das hat zur Folge, dass Schindlers Margen vorübergehend sogar steigen, wenn das Neugeschäft lahmt.

Aus diesem Grund sind die Anbieter zu Konzessionen bereit. «Bei Neuanlagen schreiben Aufzugsunternehmen oft nur eine schwarze Null, bei Prestigeprojekten sogar noch weniger», sagt Koller. Im Startquartal 2024 lag die Ebit-Marge von Schindler um gut 300 Basispunkte über dem Tiefstand, obwohl die Nachfrage im Neugeschäft nach wie vor rückläufig war.

Ein Service-Champion ist auch Accelleron 📈. Der Hersteller von Turboladern für Grossmotoren erwirtschaftet drei Viertel seiner Einnahmen mit der Wartung und dem Verkauf von Ersatzteilen. Auch die 2023 gekaufte italienische OMT macht 70% mit Service. «Unser Servicegeschäft schwankt selbst in einer Rezession nicht mehr als 5%», erklärte Accelleron-Chef Daniel Bischofberger im vergangenen Jahr gegenüber The Market.

Die lange Betriebsdauer der Motoren, beispielsweise in der Frachtschifffahrt, bewirkt, dass nach Angaben von Accelleron der Kunde über den gesamten Lebenszyklus nochmals drei- bis viermal so viel ausgibt, wie er für den Turbolader bezahlt hat. Accellerons Unterscheidungsmerkmal sind ihr einzigartiges Servicenetz mit mehr als hundert Stützpunkten rund um den Globus sowie eine umfangreiche installierte Basis von über 180 000 Turboladern.

Zur raren Gruppe der Service-Experten gehört die Winterthurer Burckhardt Compression📈. Sie weist das Servicegeschäft separat aus. Im vergangenen Fiskaljahr (per Ende März 2024) erzielte der Hersteller von Kolbenkompressoren damit gut ein Drittel des Umsatzes. Die Ebit-Marge betrug stolze 24,6%. Im Neugeschäft waren es lediglich 7,4%. Dieses Verhältnis sollte so bleiben. Mittelfristig (2027) sieht das Unternehmen die Margen im Service bei 23 bis 26%, im Systemgeschäft bei 6 bis 9%.

Der hohe Serviceanteil hilft dem Unternehmen sogar darüber hinweg, dass die Nachfrage im wichtigsten Absatzmarkt China nach wie vor schwach ist. Mit einem Umsatzanteil von knapp 44% gehört Burckhardt Compression in der Schweiz zu den am meisten von China abhängigen Gesellschaften.

Der Konzern versteht es geschickt, Kunden mit zusätzlichen Dienstleistungen wie Training von Mitarbeitenden, Beratung für geringere Emissionen sowie vorbeugender Wartung zu bedienen. Sein erklärtes Ziel ist, ein Full-Service-Anbieter zu werden.

Sowohl Accelleron als auch Burckhardt Compression kommt dabei zugute, dass nur schon ein temporärer Ausfall eines Frachtschiffs bzw. eines Kolbenkompressors in einer Grossanlage derart hohe Kosten verursacht, dass der Kunde bereit ist, für die Vermeidung einen hohen Preis zu bezahlen.

Die Nachzügler

Doch nicht jeder Industriegesellschaft ist es vergönnt, die Hälfte oder sogar mehr mit Servicearbeiten einzunehmen. Laut Stifel-Analyst Fahrenholz entfallen bei Schweizer Industrieunternehmen im Mittel nur rund 10 bis 15% auf Services. Dies etwas auszubauen, ist den meisten jedoch möglich. So werden die ambitionierten Mittelfristziele von Sulzer 📈nur dann Realität, wenn sie im Servicegeschäft noch mehr verdienen kann. Umfangmässig entfällt bereits ein gewichtiger Teil darauf. Im vergangenen Jahr bestritt die Division Services 35% des Gruppenumsatzes. Mit 18% lag die Ebitda-Marge klar über der der beiden anderen Sparten von Sulzer (Flow: 9%; Chemtech: 14%).

Sulzer forciert Gemeinschaftsprojekte mit Kunden (z. B. den Bau von CO2-Abscheidungsanlagen) und versucht, nicht nur Pumpen und Ersatzteile zu verkaufen, sondern auch die Kontrolle, die Überwachung und den Unterhalt der entsprechenden Anlagen für den Kunden zu übernehmen.

Noch nicht so weit ist der jüngst fusionierte Werkzeugmaschinenbauer StarragTornos 📈. Rund 25% des Umsatzes und 27% des Auftragsbestands entfielen im vergangenen Jahr auf Services. Tobias Klöpper, Analyst der Zürcher Kantonalbank, schätzt, dass das Unternehmen damit Margen von 15 bis 20% oder mindestens doppelt so viel wie mit Neumaschinen verdient. Anteilsmässig sei dies noch ausbaubar. Die deutsch-japanische Konkurrentin DMG Mori erwirtschaftet fast die Hälfte des Umsatzes mit Services (2023: 45%). Was genau dazu gezählt wird, macht den Vergleich indes etwas schwierig.

Analyst Klöpper erwartet, dass mit der Fusion von Starrag und Tornos die Servicenetze besser ausgelastet sind. Das sollte auch der Marge zugutekommen. Während DMG Mori 2023 auf eine Ebit-Marge von 8,8% kam, waren es bei StarragTornos 8,2%.

Schon einige Schritte weiter ist der Intralogistiker Kardex📈. Er macht rund 30% mit Services und hat sich als Systemintegrator etabliert. Das Unternehmen liefere nicht nur eine Anlage, sondern decke den gesamten Prozess der Intralogistik ab, sagt Vontobel-Analyst Koller. Dabei erziele es Margen von 10 bis 15%, sogar mehr als Systemintegratoren.

«Kardex wartet die Anlagen, bietet technische Beratung an, und sie hat den Vorteil, dass nur sie Zugriff auf die typischerweise alleinstehenden Shuttle-Systeme hat», erklärt Stifel-Analyst Fahrenholz. Konkurrentin Interroll 📈sei strukturell weniger vorteilhaft verankert, wolle aber den Anteil des Servicegeschäfts von derzeit rund 11 auf 20% ausbauen.

Mehr als Service

Mit einem guten Service gelingt es einem Unternehmen, für seine Kunden nicht nur Lieferant, sondern im besten Fall unverzichtbarer Partner zu werden. Im Endausbau ist es ein industrieller Dienstleister, der wenig oder gar keine eigenen Produkte mehr herstellt. SFS Group und Bossard gehören zu dieser Kategorie. Beide sind aber noch sehr weit von dieser Vision entfernt.

Mit 140 Standorten in 35 Ländern verfügt SFS 📈bereits über ein engmaschiges Netz, um Kunden nicht nur bei der Beschaffung von Befestigungsteilen für Gebäudehüllen, sondern auch bei der Bereitstellung von Werkzeugen und der Bewirtschaftung der Logistik zu unterstützen. Die direkten Materialkosten betragen dabei oft weniger als 1% der Summe, die der Kunde dem Industriezulieferer für seine Dienste bezahlt. Das meiste Geld verdient SFS mit der Erstellung von Prototypen, bevor die Massenfertigung beginnt, sowie mit dem Testen und der Montage von Kleinserien. Dafür unterhält die Gruppe einen eigenen Werkzeugbau. Allein für den Betrieb der gegen 300 Maschinen an neun verschiedenen Standorten sind mehr als 600 Mitarbeitende von SFS im Einsatz.

Auch Bossard 📈will den Ruf des einfachen Eisenwarenhändlers abstreifen und sich als Verbesserer der Produktivität ihrer Kunden positionieren. «Bossard ist keine typische Industriegesellschaft, weil sie keine eigene Produktion unterhält, sondern die Lieferketten ihrer Kunden ganzheitlich optimiert», umschreibt Stifel-Analyst Fahrenholz die Tätigkeit des Unternehmens. «Doch die Distribution und die Lagerung von Verbindungsteilen bleiben das Brot-und-Butter-Geschäft.»

Zum Serviceangebot zählt er lediglich die Bereiche Smart Factory Logistics, Smart Factory Assembly und Engineering, mit denen das Unternehmen 2 bis 3% des Umsatzes erwirtschafte. Auf einen Anteil von 20% werde es nie kommen, helfe aber, neue Kunden zu akquirieren, ergänzt der Analyst.

Qualitätsmerkmal, aber kein Allheilmittel

Aus Anlegersicht ist ein hoher Serviceanteil ein Qualitätsmerkmal einer Industriegesellschaft. Er schützt sie vor ausländischer Billigkonkurrenz und weist auf eine enge Kundenbindung hin. Die Empfehlung von The Market für die Aktien von Accelleron, Burckhardt Compression und Schindler basiert zu guten Teilen auf diesen Überlegungen. Ein grosses Servicegeschäft sollte aber nur ein Investmentkriterium sein. Wenn immer sollte es mit einem konkreten Produktangebot verknüpft sein. Denn in der Regel dient die installierte Basis als Fundament künftiger Serviceeinnahmen.

Vor einer Krise kann ein grosses Serviceangebot den Anleger nicht gänzlich bewahren. Wenn weniger produziert wird, nimmt auch der Verschleiss ab, es braucht weniger Ersatzteile und weniger Wartung. Doch dann ist das Servicegeschäft immerhin ein Puffer, der ein Industrieunternehmen vor dem Absturz bewahrt.

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