Einsam egoistisch, empathielos? Dem Mann wird vieles angelastet. Doch nun zeigen Männer auf Tiktok ihre soziale Seite: Sie wünschen sich eine gute Nacht. Sogar Robert De Niro wählt eine Nummer.
Der Mann in der Krise begründet ein eigenes mediales Genre. Er ist Gegenstand von Zeitungsdebatten und Talkrunden. So widmet die «FAZ» der «Zukunft der Männer» eine ganze Artikelreihe. Die Sendung «Sternstunde Philosophie» des Schweizer Fernsehens diskutierte kürzlich mit Männerforschern zum Thema «Extreme Männlichkeit: Gefahr für junge Männer».
Fernsehserien wie «Softies» auf RTL+ befragen das männliche Selbstverständnis. Die Netflix-Serie «Adolescence» hat im Frühling in vielen Ländern eine Debatte über die Gewaltbereitschaft männlicher Jugendlicher ausgelöst. Verbunden mit der Welt nur durch ihr Handy, drohen sie sich in ihren Kinderzimmern zu radikalisieren.
Von der «Male Loneliness Epidemic» ist die Rede: Laut Studien fühlen sich junge Männer einsamer als gleichaltrige Frauen, was viele psychologische Medienberichte nach sich zieht. Männern fehle die emotionale Verbundenheit, konstatiert die «Welt», «die Fähigkeit, sich auf stabile, tragende Bindungen einzulassen».
Eine mediale Debatte löste vor einem Jahr ein Report der «Financial Times» aus, in dem die Zeitung globale Daten über das politische Profil der Generation Z auswertete und feststellte, dass junge Männer immer rechter werden. In diesem Fall wurden sie allein aufgrund ihrer politischen Haltung zum Problem erklärt. Vielleicht hängt ja beides zusammen.
Von da führen Erklärungsversuche schnell zu Frauenhassern wie Andrew Tate, die eine grosse Anziehungskraft auf orientierungslose junge Männer ausüben. Diese medialen Darstellungen prägen das Männerbild. Dabei wird gerne auch pauschalisiert. Bisher galt der alte weisse Mann als «toxisch». Nun erhält er Gesellschaft von seinen Enkeln.
Platonisches Bettgeflüster
Doch es gibt auch Erfreuliches vom Mann zu berichten. Dieses Gute entsteht ausgerechnet dank den sozialen Netzwerken, die für die Einsamkeit und Gefährdung junger Männer verantwortlich gemacht werden. Ein Trend auf Tiktok und Instagram zeigt Männer von einer beziehungsfähigen, liebevollen und empathischen Seite.
Bei dem Trend rufen sich Männer vor dem Schlafengehen an, um sich eine gute Nacht zu wünschen. Unter dem Hashtag «Good Night, Bro» finden sich auf Social Media unzählige Videos, in denen die freundschaftliche Geste dokumentiert wird.
Der Reiz daran ist, einen Freund mit dem Gute-Nacht-Gruss zu überraschen. Ihm so zu sagen, dass er einem etwas bedeute und man an ihn denke, bevor man ihn ins Traumreich entlässt. Männer könnten keine tiefen Freundschaften pflegen? Sie und überhaupt die Generation Z scheuten sich vor dem Telefonieren? Hier beweisen sie das Gegenteil.
«Alles in Ordnung mit dir?»
Auf den kurzen Videos zeigen sich die Männer im Bett liegend oder zwischen Kissen auf dem Sofa, sie tragen ein Pyjama oder Shirt, während sie die Nummer des Freundes, Bruders oder Schwiegervaters wählen. Die Reaktionen am andern Ende der Leitung reichen von «Wie süss von dir», «Was willst du?», «Spinnst du?» bis «Geht es dir gut?». Manchmal fragt einer: «Soll ich dir ein Schlaflied vorsingen?» Und singt. Die Leute sind überrumpelt, aber auch berührt. Es wird viel gelacht.
Selbst berühmte Leute finden Gefallen daran, ihre Kumpel mit einem Gedanken in die Nacht zu entlassen. Viral ging das Video von Robert De Niro, wie er den Regisseur Martin Scorsese anruft. «Schlaf gut, Lieber», sagt De Niro, der bei sich zu Hause vor dem Fernseher sitzt. «Danke, mein Schatz», antwortet Scorsese an seinem Arbeitspult. Nachdem er aufgehängt hat, fragt er seine Tochter, die alles filmt: «Was? Das ist ein Trend? Dass er mich angerufen hat, um mir ‹Gute Nacht› zu sagen?»
Der britische Sänger Ed Sheeran teilte ein Video, auf dem er dem schottischen Sänger Lewis Capaldi gute Nacht wünscht. Er habe ihn gerne und sei ihm wichtig, sagt Sheeran und bekommt dasselbe von Capaldi zurück. Sheeran ist geübt darin, seine Gefühle zu zeigen, er spricht auch öffentlich über seine Depressionen.
Intimer, schutzloser Moment
Wie so viele andere Trends wird auch dieser wieder verschwinden. Dennoch hat die kleine Geste etwas für sich. Wer jemandem zum Abschied «Bis morgen» sagt, rechnet anderntags mit ihm. Ein intimer Moment wird geteilt: Der Schlaf ist eine Reise, man sinkt hinab in das Vergessen. Ein Mensch, der sich schlafen legt, wird schutzlos.
So erlebte es der 24-jährige Mann, der um elf Uhr nachts seine Freunde anrief, ermuntert von seiner Freundin im Bett neben ihm. Er sagte der «New York Times»: Es sei ungewöhnlich, dass Männer so fürsorglich miteinander redeten. Deshalb bleibt der Trend auch unter Männern und wird für sie zur Mutprobe. Viele Männer gestehen, ihnen habe schon lange niemand mehr eine gute Nacht gewünscht.
Die sozialen Netzwerke, denen man heute fast nichts Gutes mehr abgewinnt, machen es möglich. Natürlich geht es bei «Gute Nacht, Bro» auch um Selbstinszenierung, die Währung für die Nettigkeit gegenüber Freunden sind Likes und mehr Follower. Man könnte den Freund auch anrufen, ohne dass man den Anruf filmt und online stellt.
Dann fänden sich aber nicht so viele Nachahmer. Bei all den Diskussionen um die schädlichen Auswirkungen von Social Media geht vergessen, dass diese auch Nähe herstellen, Verbindung schaffen und ein Gemeinschaftsgefühl fördern, das im besten Fall die Nacht überdauert und bis zum Morgen und darüber hinaus anhält.