Donnerstag, Oktober 10

Der Bundesrat lud auf einen Bauernhof im Berner Mittelland und zeigte viel Verständnis für die Sorgen der Landwirte. Wieso die Charmeoffensive?

Als der Winzer Guy Parmelin Bundesrat werden wollte, wurde er als Kandidat der Bauern gehandelt. Zwischen den «linientreuen Teilzeit-Bauer» und die offizielle Politik des Bauernverbands gehe «kein Blatt Verordnungspapier», schrieb die «Bauernzeitung» 2015.

Offenbar war es diesen Sommer für den SVP-Bundesrat wieder einmal Zeit, seine Nähe zur Landwirtschaft zu demonstrieren. Am Freitag lud er Schweizer Journalisten auf einen Hühnerhof in Wileroltigen. Dort produziert die Familie Herren im Berner Mittelland unter anderem Eier, Poulet und Kartoffeln. Parmelins Hauptbotschaft war klar: «Ich bin im Kontakt mit den Schweizer Bauern», sagte er zur Begrüssung. Und er nehme ihre Sorgen sehr ernst, beispielsweise was die bürokratischen Hürden betreffe.

Anfang Jahr sind Landwirte in verschiedenen Schweizer Regionen auf die Strasse gegangen und haben gegen Bürokratie und hohe Produzentenpreise protestiert. Parmelin signalisierte nun Verständnis: «Ich bin ein praxistauglicher Bundesrat», sagte er. Er werde im Herbst einen runden Tisch zum Thema Bürokratie organisieren. Und er werde sich dafür engagieren, beim Direktzahlungssystem eine «grösstmögliche Stabilität» sicherzustellen. Die Auflagen zum Erhalt von Geldern würden im nächsten Jahr nicht strenger.

Doch diese Versprechen wirkten etwas hilflos angesichts der Komplexität des Problems. Diese wurde deutlich, wenn man Bauer Herren zuhörte: «Ich möchte jetzt schon auch noch etwas zur Bürokratie sagen», sagte er und liess sich von seiner Ehefrau einen Stapel Tabellen reichen. «Schauen Sie einmal, wie viele Punkte ich alleine für meine Kartoffeln erfüllen muss», sagte er, «das ist doch nicht mehr tragbar.»

Bevor die Kontrolleure kommen, kann Herren jeweils die halbe Nacht nicht schlafen. «Das macht uns kaputt.» Einige der Vorschriften verstehe er nicht. Beispielsweise steht in den Richtlinien, dass Angestellte Zugang zu einem WC haben müssen. Herren sagt: «Es ist doch gesunder Menschenverstand, dass ich meine Leute auf die Toilette lasse.»

Parmelin kann nichts dafür

Doch die vielen Auflagen lassen sich nicht so einfach entwirren. Denn es sind nicht nur der Bund und die Kantone, die den Bauern Vorgaben machen, sondern auch Abnehmer. So kann Parmelin nichts für die Kartoffel-Checkliste. Es handelt sich um den Standard der Vereinigung Swissgap. Bauern müssen sie erfüllen, um ihre Ware im Detailhandel verkaufen zu dürfen. Herrens Eier und sein Fleisch wiederum tragen das Label IP-Suisse. Dabei handelt es sich um eine Vereinigung, die sich für umweltschonende und tiergerechte Haltung einsetzt. «Ganz freiwillig mache ich das nicht», sagt Herren, sein Abnehmer habe darauf bestanden.

Herren spürt das Engagement des Bundesrats, möchte sich aber nicht zu früh über dessen runden Tisch freuen: «Ich glaube noch nicht so recht daran, dass das etwas bringt. Wir sprechen schon seit Jahrzehnten über das Problem.» Die Mühlen der Politik mahlen langsam. Dazu kommen Geldsorgen. Die Landwirte leiden unter der Inflation und höheren Produktionskosten aufgrund von Wetterextremen.

Bauer Herren demonstrierte die Problematik auf dem Kartoffelfeld. Dort musste er zuerst die Journalisten von den Furchen verscheuchen: «Da ist noch Ware drin.» Dann holte er mit einer Hacke ein paar Kartoffeln aus der Erde. Zum Glück sahen die Knollen gut aus. Herrens Nachbarn hatten teilweise ganze Felder an die Kartoffelfäule verloren. Zwar kämpfte auch er diesen Frühling wegen des vielen Regens mit dem Schädling. Doch dank rechtzeitigem Einsatz von Pflanzenschutzmitteln konnte er seine Ernte retten.

Die Zukunft macht dem Bauern aber Sorgen: Die Wetterextreme nehmen zu, Pestizide sind teuer. Und die Bauern haben weniger davon zur Verfügung, weil die Politik eine Reihe von Pflanzenschutzmitteln verboten hat. Herrens Forderung: Die Produzentenpreise müssen steigen. «Ich muss ein schlechtes Jahr mit einem überdurchschnittlich guten kompensieren können.»

Parmelin zeigte, natürlich, auch hier Verständnis: «Eine fehlende Wertschöpfung kann sich langfristig kein Unternehmen leisten, auch nicht in der Landwirtschaft.» Um die fehlenden Pestizide wettzumachen, brauche es resistentere Sorten und nachhaltige Pflanzenschutzmittel. Für deren Entwicklung will der Bundesrat 24 Millionen Franken zur Verfügung stellen. So steht es in der Botschaft zum landwirtschaftlichen Zahlungsrahmen 2026 bis 2029, welche der Bundesrat im Juni verabschiedet hat. Dazu kommen zusätzliche Gelder für Strukturverbesserungen, diese sollen bis 2030 von 87 auf 125 Millionen Franken steigen. Dabei geht es darum, den Bauern nötige Investitionen zu ermöglichen, beispielsweise in neue Bewässerungsanlagen aufgrund des Klimawandels.

Bauern sollen sparen

Was Parmelin weniger offensiv ansprach: Der Bundesrat will auch bei den Bauern sparen. Die Finanzlage des Bundes ist bekanntlich angespannt, auch die Landwirtschaft soll mithelfen, sie zu sanieren. Unter dem Strich sollen die Bauern von 2026 bis 2029 «nur noch» mit rund 13,8 Milliarden Franken unterstützt werden. Das sind 230 Millionen oder 1,6 Prozent weniger als in der laufenden Periode. Ursprünglich wollte der Bundesrat die Ausgaben um 2,5 Prozent reduzieren, aber die Kantone, der Bauernverband und die grosse Mehrheit der Parteien protestierten in der Vernehmlassung dagegen.

Der Bauernverband gibt sich allerdings auch mit dem reduzierten Sparplan nicht zufrieden. «Wir wehren uns gegen jeglichen Abbau», bekräftigte Mediensprecherin Sandra Helfenstein auf Anfrage. Denn die beschriebenen Mehrausgaben bei Infrastruktur und resistenten Sorten sollen unter anderem bei den Direktzahlungen kompensiert werden. Dabei handelt es sich um Beiträge für gemeinwirtschaftliche Leistungen, die der Ernährungssicherheit, der Umwelt oder der Landschaft zugutekommen. Beispielsweise gibt es Beiträge für die Entwaldung von Weideland, das Käsen oder das Produzieren von Zucker. Im Schnitt machen sie einen Fünftel des Einkommens eines Betriebes aus. Laut Helfenstein mag es daher bei den Direktzahlungen «nichts leiden».

Am Ende entscheidet das Parlament über die Staatsbeiträge an die Landwirtschaft. Parmelin hatte am Freitag ein kleines Trostpflaster parat: Er engagiere sich dafür, bei den Direktzahlungen eine «grösstmögliche Stabilität» sicherzustellen. Die Auflagen zum Erhalt von Geldern würden im nächsten Jahr nicht strenger. Die Bauern werden sich damit nicht zufriedengeben. Parmelin weiss das. Doch eine Charmeoffensive bei einer der mächtigsten Lobbys des Landes kann nie schaden.

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