Sonntag, Oktober 6

Die FDP-Nationalrätin kritisiert die Kampagne der Gewerkschaften gegen die Pensionskassenreform. Fast noch mehr ärgert sie sich aber über Wirte, Bäcker und weitere Gegner aus der Wirtschaft: «Sie spielen direkt der Linken in die Hände.»

Den Pensionskassen geht es gut, die Deckungsgrade sind hoch. Weshalb braucht es diese komplizierte Reform, Frau Sauter?

Zum Glück geht es den Pensionskassen gut. Vergessen wir nicht, dass sie nicht für sich selbst arbeiten, sondern für uns: Das ist unser Geld, das sie verwalten und anlegen. Ihr guter Zustand ändert aber nichts daran, dass wir in der beruflichen Vorsorge Reformbedarf haben. Erstens: Es gibt Angestellte mit tiefen Löhnen oder Teilzeitpensen, die schlecht oder gar nicht versichert sind, das betrifft vor allem Frauen. Zweitens: Einige Pensionskassen sind heute gezwungen, eine schädliche und systemfremde Umverteilung von Jüngeren zu Älteren vorzunehmen, damit sie ihr Leistungsversprechen halten können. Drittens: Ältere Arbeitnehmer sind wegen der steigenden Lohnnebenkosten auf dem Arbeitsmarkt tendenziell benachteiligt. All dies können wir mit der vorliegenden Reform verbessern.

Fangen wir beim ersten Thema an: Der Ausbau im Tieflohnbereich ist teuer und stösst in der Wirtschaft auf prominenten Widerstand. Sie sind eine Frau der Wirtschaft. Weshalb unterstützen Sie das?

Also so prominent ist dieser Widerstand auch wieder nicht: Der überwiegende Teil der Wirtschaft, insbesondere auch der Gewerbeverband, steht klar hinter der Vorlage. Es sind vereinzelte Verbände aus dem Tieflohnbereich, die sich wehren, Gastronomen, Coiffeur- oder Bäckereibetriebe. Für sie führt die Reform zu Mehrkosten, das lässt sich nicht bestreiten, aber anders lässt sich eine bessere Altersvorsorge nicht erreichen. Höhere Renten in der zweiten Säule fallen ja nicht vom Himmel, dafür müssen Angestellte und Arbeitgeber gemeinsam mehr einzahlen, um höhere Sparguthaben zu bilden. Man sollte das nicht als Mehrkosten betrachten, sondern als Investition in die Vorsorge der Mitarbeitenden und in die Attraktivität des Betriebs im Arbeitsmarkt. In Branchen wie dem Detailhandel oder der Hotellerie hat man das erkannt, ihre Verbände unterstützen die Reform.

Trotzdem ist die Vorlage akut gefährdet, weil sie nicht nur von der Linken angegriffen wird, sondern auch von rechts. Weshalb beschloss das Parlament keine Lösung, die zumindest von der Wirtschaft geschlossen unterstützt wird?

Weil es unmöglich war. Wir bewegen uns in einem extremen Spannungsfeld: Aus Sicht der Gewerkschaften und der SP kann die Reform gar nicht genug kosten, sie möchten möglichst viel zusätzliche Umverteilung. Auf der anderen Seite finden Teile der Wirtschaft, die Vorlage dürfe gar nichts kosten. Keine dieser Positionen ist mehrheitsfähig, wir mussten irgendwo in der Mitte einen Kompromiss finden.

Wieso sollte eine Wirtin oder ein Bäcker diesem Kompromiss trotz Mehrkosten zustimmen?

Weil auch diese Branchen eine tiefergehende Analyse vornehmen sollten, die über die unmittelbaren Folgen hinausgeht: Die gesellschaftliche Bedeutung einer guten Altersvorsorge, der die Menschen vertrauen können, kann gar nicht überschätzt werden. Sie bedeutet auch soziale Sicherheit. Ist sie infrage gestellt, hat dies Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort – und das bekommt früher oder später auch das Kleingewerbe zu spüren. Diese Kreise sollten sich fragen, was ihr Widerstand bewirkt: Sie spielen direkt der Linken in die Hände, die die AHV zulasten der zweiten Säule massiv ausbauen will, und das wird am Ende für die ganze Wirtschaft teurer. Hier reden wir dann nicht mehr über zielgerichtete Verbesserungen, sondern über die Giesskanne und höhere Lohnprozente für alle. Daran können auch Bäcker oder Wirte kein Interesse haben.

Kritiker der Reform sagen, der Ausbau habe ein schlechtes Kosten-Nutzen-Verhältnis, die zweite Säule sei etwa wegen der Verwaltungskosten nicht effizient für tiefe Löhne.

Das ist typisch linke Irreführung. Das Ziel ist stets dasselbe: noch mehr Querfinanzierung. Natürlich funktioniert die berufliche Vorsorge auch für tiefe Einkommen und Teilzeitpensen. Man darf nie vergessen, dass die Arbeitgeber mindestens gleich viel einzahlen wie die Angestellten und dass die Vermögenserträge im Durchschnitt etwa einen Drittel beisteuern. So kann jede und jeder ein eigenes Guthaben für das Alter aufbauen. Und aufgrund der längerfristigen Perspektive ist auch die Performance besser als bei der AHV.

Ein grosses Thema sind die Auswirkungen auf die Frauen. Linke Frauen sagen, die Reform sei ungerecht . . .

. . . das ist komplett unverständlich. Dieselben Kreise, die seit Jahren die Benachteiligung der Frauen in der zweiten Säule kritisieren, wehren sich nun dagegen, dass diese korrigiert wird. Heute haben wir im BVG ein System zur Berechnung des versicherten Lohns, das im Ergebnis zu einer Diskriminierung der Frauen führt: Personen mit tieferen Einkommen oder kleinen Pensen und ihre Arbeitgeber zahlen geringere Sparbeiträge ein, können deshalb weniger Guthaben bilden und erhalten später kleinere Renten. Das ist ein Grund, weshalb Frauen eine schlechtere Altersvorsorge haben als Männer. Das wollen wir mit dieser Reform ändern. Deshalb sind alle grossen Frauenverbände dafür. Ihr Dachverband Alliance F – beileibe keine bürgerliche Organisation – unterstützt die Vorlage ebenso wie die Bäuerinnen und Landfrauen. Auch einzelne linke Parlamentarierinnen wagen es, den Gewerkschaften und ihren Parteien zu widersprechen. Dank der Reform würden laut einer Studie von Alliance F 360 000 Personen höhere Renten erhalten, davon sind 275 000 Frauen.

Im Gegenzug würden ihre verfügbaren Einkommen sinken . . .

. . . ja, so ist das, wenn man spart, egal ob man das Geld ins Sparsäuli legt oder auf ein Konto einbezahlt: Im Moment hat man weniger, dafür später mehr. Das mag ein altmodisches Konzept sein, aber ein bewährtes. Deshalb rede ich auch nicht von Lohnabzügen, sondern von Sparbeiträgen. Das heutige BVG ist antiquiert: Es ist auf eine Vollzeitbeschäftigung ausgerichtet – und damit gewissermassen auf das familiäre Ein-Ernährer-Modell. Hingegen sind Erwerbskarrieren mit schwankenden Pensen und Unterbrüchen – wie sie bei Frauen häufig sind – nur schlecht versichert. Die Reform würde das ändern, trotzdem ist die Linke dagegen. Sie vertritt ein überholtes Frauenbild, mit dem ich nichts anfangen kann. Frauen sind nicht stärker als Männer darauf angewiesen, von der Allgemeinheit unterstützt zu werden. Sie können genauso für sich selbst Verantwortung übernehmen.

Kommen wir zum zweiten Thema: der Umverteilung von Jung zu Alt in jenen Pensionskassen, die mehr oder weniger nur das gesetzliche Minimum umfassen. Die Reform soll diesen Kassen helfen. Doch nun sagen ausgerechnet Vertreter solcher Kassen, die Vorlage sei für sie schlecht. Wie kann das sein?

Erstens argumentieren nicht alle betroffenen Pensionskassen so, der Pensionskassenverband unterstützt die Reform. Zweitens kann ich die Einwände der Fachwelt nachvollziehen: Natürlich sähe eine technisch perfekte Reform anders aus. Auch ich fände es wunderbar, wenn wir den Umwandlungssatz aus dem Gesetz streichen und die Umverteilung gezielt beseitigen könnten. Dass Fachleute diese Punkte kritisieren, ist ihnen unbenommen. Aber sie sollten nicht vergessen, dass wir in einer Demokratie leben. Am Ende entscheidet die Mehrheit der Bevölkerung. Wir haben leidvolle Erfahrungen mit gescheiterten BVG-Reformen gesammelt. Eine technisch ideale Lösung hat null Chancen. Jetzt haben wir einen breit abgestützten Kompromiss. Wenn auch dieser Versuch scheitert, weiss ich nicht, wie eine Reform gelingen könnte.

Wäre das so schlimm? Die Pensionskassen können sich mit dem Status quo arrangieren.

Ich finde es nicht gut, wenn wir Gesetze haben, die seit Ewigkeiten die Realitäten nicht mehr spiegeln und keine Relevanz mehr haben. Zudem würde weiterhin eine Minderheit von Versicherten unter der systemfremden Umverteilung leiden. Und das sind gerade Personen mit tieferen Löhnen, bei denen das besonders gravierend ist. Für sie besteht weiterhin das Risiko, im Alter auf Ergänzungsleistungen angewiesen zu sein. Das wollen wir nicht.

Die Linke wird Ihnen zustimmen und einen Ausbau der AHV für tiefe Einkommen verlangen.

Genau das wäre der falsche Weg. Wir gefährden unser bewährtes Drei-Säulen-Prinzip mit AHV, BVG und privater Vorsorge, wenn wir es nicht schaffen, auch die zweite Säule stabil zu gestalten, und stattdessen die AHV weiter ausbauen.

Ein heftig umstrittenes Element der BVG-Reform sind die Rentenzuschläge für die ersten fünfzehn Jahrgänge: Viele Neurentner bekämen Zuschläge, obwohl ihre Rente nicht sinkt. Die Lösung ist so teuer, dass die Umverteilung, welche die Reform beheben will, vorübergehend sogar zunehmen könnte. Zu diesem Schluss kommt die Studie von Alliance F, die Sie erwähnt haben. Wie können Sie als Freisinnige eine solche Reform unterstützen?

Ich kann mich nur wiederholen: Wir leben in einer Demokratie. Entweder wollen wir eine Lösung und sind bereit Konzessionen zu machen, oder wir nehmen in Kauf, zu scheitern. Keinen Aspekt haben wir so lange und intensiv verhandelt wie die Übergangsregelung. Die Vorschläge des Bundesrats waren um ein Vielfaches teurer. Am Ende haben wir diesem Kompromiss zugestimmt. Ich verhehle nicht, dass wir über unseren Schatten springen mussten.

Ist Ihnen heute noch wohl damit? Die Entscheide im Parlament fielen am Ende relativ schnell, ohne dass alle Eckwerte und Folgen klar waren.

Im Gegenteil, die Debatten waren gründlich und langwierig. Ja, ich stehe zu dieser Lösung. Und ich lasse mir diese Leistung auch nicht kleinreden: Wir haben eine unglaublich breite Allianz von der SVP bis zur GLP zusammengebracht, alle grossen Wirtschaftsverbände von Economiesuisse bis zum Gewerbe stehen hinter dieser Reform. Das ist ein grosser Erfolg, den kaum jemand erwartet hat. Wer jetzt Nein sagt, soll bitte den bürgerlichen Parteien nie mehr vorwerfen, sie würden in der Sozialpolitik keine Lösungen zustande bringen.

Nehmen Sie den bürgerlichen Gegnern übel, dass sie den Kompromiss bekämpfen?

Nein, ihr Einsatz ist legitim. Offenbar wollen diese Kreise keine Lösung für die zweite Säule, offenbar wollen sie auch ihre Mitarbeitenden nicht besser versichern. Ich nehme das zur Kenntnis.

Einen Vorwurf muss sich das Parlament gefallen lassen: Trotz den enormen Rentenzuschlägen gibt es eine kleine Gruppe von Versicherten, die mehr bezahlen muss und trotzdem tiefere Renten erhält. Darauf baut die Nein-Kampagne der Gewerkschaften auf. Wie war dieser Konstruktionsfehler möglich?

Der Reihe nach: Die linke Kampagne ist haarsträubend. Um nur das schlimmste Beispiel zu nennen: Die Gewerkschaften suggerieren, Rentner würden weniger erhalten. Das ist eine glatte Lüge, laufende Renten sind nicht betroffen. Und jetzt zu Ihrem Vorwurf: Es gibt keinen Konstruktionsfehler. Wir haben gefühlt tausend Varianten und Modelle studiert, aber keine gefunden, die mehrheitsfähig und vor allem finanzierbar waren und zudem jeden Einzelfall perfekt abdeckten. Deshalb haben wir eine Lösung beschlossen, die für die ganz grosse Mehrheit funktioniert, vor allem aber für Personen mit sehr tiefen Löhnen und Renten. Bei Einzelfällen kann es je nach Lohnentwicklung und Zinsen tatsächlich gewisse Verluste geben.

Nach der BVG-Abstimmung muss sich das Parlament im Herbst mit der AHV befassen. Sie haben gesagt, alle Säulen müssten stabil sein. Wie soll das bei der AHV gelingen?

Die Bevölkerung hat beschlossen, sich eine 13. Rente auszuzahlen. Ich bin gespannt, ob sie dann auch einsehen wird, dass dies etwas kostet. Wichtig ist, dass man sich bewusst ist, was das für die nachhaltige Ausgestaltung der AHV bedeutet. Wir lehnen deshalb eine vorgezogene Zusatzfinanzierung für die 13. Rente ab und fordern stattdessen eine Gesamtschau. Die Ausgaben der AHV steigen nicht nur wegen der 13. Rente, sondern wegen der Demografie generell. Der Bundesrat soll nächstes Jahr eine Reform vorlegen, die diese Probleme umfassend angeht, dabei aber nicht nur neue Finanzierungsquellen vorsieht, sondern auch strukturelle Massnahmen wie ein höheres Rentenalter.

Wäre es nicht richtig, jetzt unmittelbar die Rechnung für die 13. Rente zu präsentieren, um klarzumachen, dass ein solcher Ausbau nicht gratis ist?

Ich bin sicher, dass diese Botschaft längst angekommen ist. Aber noch nicht allen ist klar, wie gross der Finanzierungsbedarf ab 2030 insgesamt ist. Wenn wir der Bevölkerung mit einer einzigen Vorlage das Gesamtproblem aufzeigen und auch ein Gesamtpaket an Massnahmen präsentieren, ist das ehrlicher, als scheibchenweise neue Abgaben zu beschliessen, die das Grundproblem nur verschleiern.

Glauben Sie noch daran, dass eine generelle Erhöhung des Rentenalters eine Chance hat?

Das ist keine Glaubensfrage, sondern eine Notwendigkeit. Wenn wir nicht die ganzen Lasten der AHV auf die nachfolgenden Generationen abschieben wollen, kommen wir nicht darum herum.

Breite Kritik an linker Nein-Kampagne

fab. Der Gewerkschaftsbund weckt mit seiner Kampagne gegen die BVG-Reform zunehmend Unmut. Am Freitag gingen neun Ständerätinnen und Ständeräte mit einem offenen Brief auf Distanz: «Was wir aktuell erleben, hat eine neue Dimension.» Die Gruppe, zu der nebst Vertretern von Mitte, FDP und SVP die Grüne Maya Graf gehört, moniert, die Gegner hätten sich nie dafür entschuldigt, dass sie irreführende Zahlen verwendet hätten. Stattdessen würden sie nun auch noch die Zahlen des Bundes anzweifeln, die sie selbst ebenfalls verwendeten. Die Ständeräte betonen, alle laufenden Renten seien gesichert.

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