Montag, Januar 13

Manchmal ist es nicht so leicht, einen kritischen Alkoholkonsum bei sich zu bemerken. Denn: «Menschen, die sehr viel trinken, haben häufig Freunde, die sogar noch mehr trinken», sagt Falk Kiefer, Co-Präsident der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie, im Gespräch.

Herr Kiefer, Sie sind Suchtforscher und haben oft mit Menschen zu tun, die ihren Alkoholkonsum nicht mehr kontrollieren können. Trinken Sie angesichts dessen überhaupt Alkohol?

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Falk Kiefer: Das wollen auch viele meiner Patienten wissen. Die Antwort würde ihnen aber nicht weiterhelfen. Wenn ich sagen würde, ich trinke gar nicht, dann würde die Patientin oder der Patient meinen: Der hat ja gar keine Ahnung, wovon er redet. Wenn ich sagen würde, früher habe ich durchaus Erfahrungen mit Alkohol gesammelt, dann hiesse es: Aha, die grössten Kritiker der Elche waren früher selber welche – und jetzt will er, dass andere seinem Pfad folgen. Würde ich antworten, gelegentlich trinke ich schon auch ganz gerne, dann wäre die Reaktion: Der säuft ja selber und will mich bekehren. Die Frage ist also überhaupt nicht dazu da, etwas über mich zu erfahren. Sie dient meist eher dazu, das eigene Trinkverhalten zu relativieren oder meine medizinischen Empfehlungen abtun zu können, bevor man über sie nachdenken muss.

Zur Person

Peter von Felbert

Falk Kiefer

Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Professor für Suchtforschung an der Universität Heidelberg, Direktor der Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim, Co-Präsident der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie sowie Co-Autor des kürzlich im Kailash-Verlag erschienenen Sachbuchs «Frauen und Alkohol».

Haben Sie sich eine Antwort für Ihre Patienten zurechtgelegt?

Als Psychotherapeut antworte ich darauf nicht direkt, sondern indirekt. Ich erkundige mich nach dem Hintergrund der Frage. Also: Warum interessiert Sie das? Wer zu viel Alkohol trinkt, vergleicht sich gern mit dem Gegenüber. Aber ist das eine gute Strategie, um über das eigene – womöglich problematische – Trinkverhalten etwas zu lernen?

Warum sollte das nicht so sein?

Menschen, die sehr viel trinken, haben häufig Freunde, die sogar noch mehr trinken als sie. Und das verschafft ihnen das Gefühl, dass sie sich noch irgendwie in einem normalen Rahmen bewegen. Wer aber zu mir kommt, hat wahrscheinlich bereits negative Konsequenzen aufgrund seines Alkoholkonsums erlebt, hat Folgeerkrankungen oder zwischenmenschliche Probleme. Da hilft es doch nicht, die eigenen Trinkmengen mit denen anderer Menschen abzugleichen, um sich zu fragen, was normal ist.

Aber gibt es das nicht: ein eher normales Trinken in unserer Gesellschaft und ein Verhalten, das im Vergleich dazu abweicht und problematisch ist?

Es gibt gesellschaftlich als normal angesehene Trinkstile, im Sinne einer Durchschnittsnorm. Damit kann also normales Trinken bereits gesundheitsschädliches Trinken sein, nur dass sich die Gesellschaft daran gewöhnt hat. Wie früher beim Rauchen.

Das klingt jetzt, als sei Trinken immer problematisch, als gebe es gar keinen gesunden, eigenverantwortlichen Umgang mit Alkohol.

Es gibt tatsächlich keinen gesundheitsfördernden Konsum von Alkohol. Medizinisch ist Nichttrinken immer gesünder als Trinken. Aber eine Risikoabwägung machen wir für viele Dinge im Leben. Auch mehr Bewegung und weniger Zucker wären gesünder. Man darf also natürlich trotzdem trinken. Mir ist als Mediziner aber wichtig, dass die Menschen die Risiken kennen und eine informierte Entscheidung für sich selbst treffen. Und viele Erwachsene schaffen das auch.

Einige hingegen entwickeln einen problematischen Konsum. Ab wann spricht man davon? Ist es schon bedenklich, wenn man regelmässig ein Feierabendbier trinkt, um sich zu entspannen?

Problematisch ist ein weiter und auch subjektiver Begriff. Wer das regelmässig macht, sollte sich fragen, ob das Trinken denn schon zu Problemen geführt hat – und sich vor Augen führen, dass bei diesem Entspannungseffekt sehr viel Konditionierung im Spiel ist.

Was meinen Sie damit?

Wir nutzen Alkohol zur Entspannung, weil wir es so gelernt haben. Menschen, die nicht in einer alkoholnahen Gesellschaft aufgewachsen sind, haben andere Mechanismen, um sich nach der Arbeit zu entspannen. Wenn man denen sagen würde, dazu brauchst du ein Bier, dann würden sie das total absurd finden. Man sollte sich also ganz bewusst sagen: Ich habe es so gelernt, dass mich das Bier oder der Wein entspannt, dafür nehme ich die negativen Konsequenzen gerne in Kauf. Manche Menschen spüren aber, dass ihnen das Feierabendgetränk nicht guttut, eventuell sind ihre Abende dadurch auch ein bisschen trist und einseitig geworden. Einige schaffen es nicht, etwas zu ändern, obwohl sie es gerne würden – und das ist dann ein problematischer Konsum, würde ich sagen.

Man muss ja vielleicht nicht gleich den Alkohol weglassen, sondern das Drumherum ändern. Ein guter Wein in Gesellschaft bei einem feinen Abendessen nach getaner Arbeit ist für viele Menschen ein Genuss.

Wichtig ist auch hier wieder das Wissen darum, dass es sich um einen gelernten Zusammenhang zwischen Spargel und Weisswein oder zwischen Rinderbraten und Rotwein handelt. Das passt geschmacklich womöglich gut zusammen, und man kann das als erwachsener Mensch gern zusammen geniessen. Ich kann das auch. Wir sollten uns aber vor Augen führen, dass es in anderen Ländern üblich ist, sich beim Essen an einem Tee oder einem Lassi zu erfreuen. Das scheint offensichtlich auch eine grossartige Kombination zu sein, wenn man es so gelernt hat.

Ich höre heraus, einen unproblematischen Alkoholkonsum macht aus, dass ich ihn reflektieren kann?

Genau. Menschen, die unproblematisch konsumieren, gehen ehrlich und offen mit ihrem eigenen Alkoholkonsum um. Anzeichen für einen kritischen Konsum sind hingegen, dass man zum Beispiel seine Freizeitaktivitäten danach ausrichtet, ob sie mit Trinkgelegenheiten verbunden sind, oder dass man heimlich trinkt, weil man die Kritik anderer fürchtet. Darüber hinaus sollte man für sich prüfen, ob man seinen eigenen Alltagsanforderungen gerecht wird, die Leistung im Beruf bringt, die man von sich erwartet, und in Beziehungen so ist, wie man es möchte. Das Problem ist aber: Der Übergang von einem ganz unproblematischen Trinken hin zur Abhängigkeit ist sehr sanft.

Erklären Sie das bitte genauer.

Alkohol ist ein Suchtmittel: Mit jedem Konsum steigt ein bisschen die Vorliebe für den weiteren Konsum. Die Kontrolle geht in Mikrometerschritten verloren. Aber Menschen leben ja in einer sozialen Umwelt. Deshalb noch einmal: Kritisch wird es, wenn man trotz besorgten Rückmeldungen nicht weniger trinkt.

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Gibt es Fragen, die sich jeder selbst stellen kann, um auch ohne Rückmeldung von anderen den eigenen Alkoholkonsum zu reflektieren?

Es gibt den sogenannten Cage-Test. Diese vier Buchstaben stehen für vier Fragen, die man sich stellen kann. C steht für cutdown, also reduzieren: Habe ich mir schon einmal vorgenommen, weniger zu trinken? Das A steht für annoyed, zu Deutsch verärgert: Habe ich mich schon einmal darüber geärgert, dass andere Leute mich aufs Trinken angesprochen haben? Das G steht für guilty, was so viel heisst wie Schuld oder Schuldgefühle: Habe ich mich schon einmal schlecht oder schuldig gefühlt, weil ich zu viel getrunken habe, weil ich in der falschen Situation getrunken habe oder weil ich unangemessen getrunken habe? Und das E steht für eye-opener, Augenöffner: Habe ich schon einmal am nächsten Morgen getrunken, um einen Kater loszuwerden, weil ich mich besser fühlen wollte? Diese Fragen helfen, ins Nachdenken zu kommen, denn sie sind Hinweise auf einen problematischen Konsum.

Manche Menschen neigen dazu, sich in Bezug auf ihren Alkoholkonsum zu belügen. Gibt es eine konkretere Massnahme, um dem eigenen Trinkverhalten auf die Schliche zu kommen?

Häufig merken Menschen im Alltag kaum, wie viel sie wirklich trinken. Man kriegt hier mal ein Glas Wein angeboten, da geht man mit Freunden irgendwohin. Ich empfehle deshalb ein Trinktagebuch. Dabei schreibt man zum Beispiel zwei oder vier Wochen lang jeden Tag auf, wie viel Alkohol man getrunken hat. Eventuell erkennt man: Ich trinke deutlich mehr, als ich gerne würde. In einem nächsten Schritt kann man sich einen Vorsatz fassen: In der kommenden Woche trinke ich nicht mehr als einen Liter Wein oder zwei Liter Bier oder so – einfach um zu prüfen, ob das geht oder nicht, ob man noch die Kontrolle hat.

Was erleben Sie bei Ihren Patienten? Gibt es typische Situationen, in denen es klick macht, in denen sie ihren problematischen Konsum erkennen?

Menschen kommen ja in unsere Klinik, weil sie schon an dem Punkt sind, dass es für sie ohne Hilfe nicht mehr geht. Meistens haben sie Rückmeldungen bekommen, die sich kaum verleugnen lassen: Die Partnerschaft steht vor der Trennung, der Arbeitsplatz ist auf der Kippe, der Führerschein ist weg. Das sind die harten Fakten, die man sich nicht mehr schönreden kann. Mir ist es natürlich wichtig, dass die Menschen ihren problematischen Alkoholkonsum schon erkennen, bevor es so weit kommt. Denn je weiter der kritische Konsum oder gar die Sucht fortgeschritten ist, desto schwieriger wird es, etwas zu ändern. Einfacher ist das vorher, wenn Arbeitgeber, Partnerin oder man selbst erste Anzeichen bemerken – schon dann darf man sich gerne Hilfe holen.

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