Sonntag, November 24

Humor diene in unserer Gesellschaft als sanftes Korrektiv, sagt der Psychologe und Humorforscher Willibald Ruch. Was wir lustig fänden, verrate zudem vieles über unseren Charakter.

Herr Ruch, kürzlich habe ich im Zug einen Mann beobachtet, der von seinem Sitz fiel. Ich wollte es nicht, aber ich musste lachen. Warum geschieht das?

Zum einen hat Unvorhergesehenes manchmal eine komische Seite. Aber wenn etwas sehr Schlimmes passiert und wir nicht wissen, wie wir adäquat reagieren sollten, müssen wir häufig entweder weinen oder lachen. Lachen ist dann meistens die gesündere Variante.

Wir lachen, wenn jemand stirbt?

Ja, in Extremsituationen wird oft über Lachen berichtet, zum Beispiel auf Intensivstationen, wo um Menschenleben gekämpft wird, oder nach Flugzeugabstürzen, wenn Forensiker Leichen identifizieren. Es ist kein unbeschwertes, fröhliches Lachen, aber es hilft dabei, Spannung abzubauen. Aus der Forschung mit amerikanischen Kriegsgefangenen in Korea wissen wir: Häftlinge, die viel gelacht haben, haben das Eingesperrtsein mit weniger Langzeitschäden überstanden.

Ist es also ein Missverständnis, dass Lachen mit Heiterkeit verbunden ist?

Lachen ist schon häufig der Ausdruck von Freude. Aber wir lachen auch, wenn uns etwas peinlich ist, wenn wir uns überlegen fühlen oder eben in Extremsituationen.

Willibald Ruch

Willibald Ruch ist einer der bekanntesten Humorforscher in Europa. Der Psychologe promovierte im Jahr 1980 zum Thema Humor und widmete seither seine Karriere dem Lachen und der Heiterkeit. Seit 2002 arbeitet er als Professor an der Universität Zürich. Im Jahr 2021 wurde er emeritiert.

Warum lachen wir denn eigentlich?

Lachen ist eine Form von Kommunikation. Es schafft Gemeinschaft und Nähe.

Sind Männer gleich humorvoll wie Frauen?

Es gibt alte Studien, die zeigen, dass Frauen eine etwas freundlichere Art von Humor bevorzugen. Neue Studien, die modernen wissenschaftlichen Standards folgen, finden keine signifikanten Geschlechtsunterschiede beim Humor.

Warum lachen wir weniger, wenn wir allein sind – ist die Gruppe wichtiger als die Pointe?

Wir lachen mehr, wenn die Stimmung gehoben und locker ist. Eine heitere Gemeinschaft, aber auch geringe Mengen an Alkohol senken die Schwelle für das Lachen.

Über wessen Witze wird am meisten gelacht?

Lachen kann sehr unterschiedlich motiviert sein. Bei Teamsitzungen wird häufiger gelacht, wenn der Chef oder die Chefin etwas Lustiges sagt. Das erleichtert die Kommunikation und die weitere Zusammenarbeit. Grundsätzlich lacht man häufiger mit Menschen, die man mag.

Warum können wir manchmal nicht aufhören zu lachen, teilweise auch in unangebrachten Situationen?

Lache ich bereits, reichen kleine Reize aus, um weiteres Lachen auszulösen. Dabei ist Lachen Ausdruck einer Erregung, die wir nicht kontrollieren können.

Warum ist Lachen ansteckend?

Lachen schafft Gemeinschaft und signalisiert Entspannung.

Gibt es nicht noch die Erklärung mit den Spiegelneuronen?

Spiegelneuronen gibt es, und sie erleichtern uns das Zusammenleben. Aber es gibt keine Studie, die zeigt, dass Spiegelneuronen beim gemeinsamen Lachen aktiv wären.

Positive Psychologie

In der positiven Psychologie wird erforscht, was das Leben lebenswert macht. Um die Jahrtausendwende begannen sich immer mehr Forschende mit dem Thema Humor zu beschäftigen. Heute ist die Humorforschung insbesondere in der Psychologie und in der Sprachwissenschaft etabliert. In der Medizin fehlt sie weitgehend.

Wie wichtig ist Humor in Beziehungen?

Es ist schön, sich mit heiteren Menschen zu umgeben, und Humor kann Konflikte entschärfen. Wer aber Beziehungsprobleme hat, die er lösen kann, soll sie angehen. Lachen kann man über Dinge, die man nicht ändern kann.

Wie wichtig ist Humor in der Partnerwahl?

Überall auf der Welt geben Singles an, dass ihnen Humor bei der Partnerwahl sehr wichtig ist. Gemeinsam über etwas zu lachen, ist sehr verbindend. Aber Humor ist nicht gleich Humor. Bin ich zynisch, sarkastisch, böse – oder bin ich wohlwollend, kindlich, spielerisch? Eigentlich kann man keine Aussagen zu Humor machen, ohne nicht genauer zu definieren, welche Art davon man meint.

Wer mag welche Art von Humor?

Menschen, die die Welt gerne in Kategorien einteilen, mögen typischerweise Inkongruenz-Witze, die mit der Auflösung Sinn ergeben (der liebste Inkongruenz-Witz der Redaktion: «Herr Ober, zahlen, bitte!» – «Siebzehn, drei, sieben, zwölf.»). Wer gerne Witze über blöde Blondinen hört, fühlt sich vielleicht in seinem Weltbild bestärkt. Wer verworren und komplex denkt, mag eher Nonsens-Witze, die nicht aufgelöst werden können (ein Beispiel der Redaktion: «Was ist der Unterschied zwischen einem Spatz? Das dritte Bein ist länger.»).

Was sagt mein Sinn für Humor über meinen Charakter?

Sehr viel. Goethe sagte schon, durch nichts verrieten Menschen mehr über ihren Charakter als über das, was sie lustig fänden. Wer lacht gerne über Schwiegermütter? Über die Schotten? Über den Pfarrer? Über sich selbst?

Haben introvertierte Menschen einen anderen Humor als extrovertierte?

Man dachte einst, Introvertierte mögen eher versponnene Witze und Extrovertierte eher Sex-Witze. Aber es gibt keine belastbaren Studien, dies das bestätigt hätten.

Was hat Humor mit Intelligenz zu tun?

Alte Forschung zeigte eine Korrelation zwischen Intelligenz und Humor. Studien, die heutigen Standards entsprechen, fanden allerdings keinen Zusammenhang. Heute gehen wir davon aus, dass Humor eher mit Kreativität zusammenhängt.

Humorvolle Menschen sind also kreativer als andere?

Nicht zwingend. Aber wer Nonsens-Witze mag, denkt häufig kognitiv komplex. Und wer kognitiv komplex denkt, ist häufig kreativer als andere. Mit kognitiver Komplexität meine ich, dass Menschen Denkmuster haben, anhand deren sie versuchen, eine Situation in ihrer ganzen Kompliziertheit zu erfassen. Dazu gehört es auch, Widersprüche auszuhalten und zu akzeptieren, dass viele Fragen offenbleiben.

Ist Humor angeboren?

Ja. Kinder spielen mit Gesten und Worten, «kämmen» sich mit der Zahnbürste die Haare und dergleichen. Wenn wir älter werden, kommt der Ernst des Lebens. In einer anstrengenden Ausbildung werden wir weniger humorvoll.

Gibt es ein Humor-Gen?

Bisher hat niemand ein Humor-Gen gefunden. Aber wie freudig und ungehemmt ich lache, ist genetisch bedingt.

Wie wird man lustiger?

Niemand muss das Lustigsein völlig neu lernen. Es schlummert in uns allen. Witz folgt erlernbaren Techniken wie der Unter- oder der Übertreibung. Und wer eine lustige Geschichte erzählen will, braucht ein gutes Gespür für das Timing. Das kann man trainieren.

Was weiss man über Klassenclowns?

Wir haben für eine Studie Schulklassen mit insgesamt 600 Kindern untersucht. 60 bis 70 von diesen Kindern waren Klassenclowns, haben also den Unterricht immer wieder mit mehr oder weniger witzigen Interventionen gestört. Wir fanden heraus, dass viele von diesen tatsächlich eine Humorbegabung hatten. Viele hatten ausserdem ein überdurchschnittlich hohes Führungsvermögen. Andererseits hatten sie Mühe mit der Selbstregulation.

Wie meinen Sie das?

Wer während des Unterrichts Witze reingrätscht, versteht meist intuitiv, dass er etwas Unerwünschtes tut. Haben wir einen Witz auf der Zunge, plagt er uns so lange, bis wir ihn erzählen. Schülerinnen und Schüler mit einer starken Selbstregulation behalten den Witz für sich oder erzählen ihn erst in der Pause. Klassenclowns müssen ihn gleich loswerden.

Was bedeutet das für ihre Stellung im Klassenzimmer?

Sie haben eher schlechte Beziehungen zur Lehrperson, sind dafür aber beliebt bei den Mitschülern.

Wer wird Klassenclown?

Meist sind dies Schülerinnen oder Schüler, die entweder überfordert oder gelangweilt sind. Sie sind unzufrieden im Unterricht. Je länger sie in der Klasse sind, desto grösser ist die Unzufriedenheit.

Wie gehen Lehrpersonen damit idealerweise um?

Indem sie selbst lustiger werden.

Sind humorvolle Menschen erfolgreicher im Job?

Es gibt keine guten Studien zu Humor als Karrieretreiber. Ich würde dennoch sagen, dass Humor auch im beruflichen Kontext helfen kann. Wer humorvoll kommuniziert, kann andere eher von sich überzeugen. Aber Humor, der als unangebracht empfunden wird, kann auch Fremdscham oder Ärger auslösen. Witze können dann auch zum Karrierekiller werden.

Gibt es ein Tabu beim Humor?

Das bestimmt die Gesellschaft, in der man sich aufhält. Mancherorts lacht man nicht über Gott oder über Heilige. In Diktaturen wird oft auch zensiert und bestraft, wer die Führungselite aufs Korn nimmt. Aber auch in westlichen, liberalen Gesellschaften gibt es immer mehr Tabus beim Humor. Die Political Correctness versucht, den Humor ganz sauber zu halten: keine Sex-Witze vor Kindern, keine Witze über die sexuelle Orientierung oder über bestimmte Personengruppen.

Wie finden Sie das?

Wer in jeder Situation Political Correctness fordert, übersieht, dass Humor ein sanftes Korrektiv sein kann. Wer Witze machen kann, wird nicht zuschlagen, obwohl er oder sie vielleicht stark genervt ist. Dennoch ist Humor, der andere abwertet, ungesund, vor allem, wenn jemand aus einer starken Position über jemanden lacht, der oder die abhängig von ihm ist.

Ist Humor in der Evolution des Menschen zufällig entstanden, oder hatte er einen Zweck?

Menschen, die gemeinsam lachen, schaffen Verbundenheit und vereinfachen die Zusammenarbeit. Humor ist evolutionär entstanden und auch im Tierreich verbreitet. So machen Schimpansen humorvolle Gesten, wenn sie sich langweilen, oder sie veräppeln nervige Artgenossen, indem sie sie mit Fäkalien bewerfen. Schimpansen haben aber keine Stimmbänder. Lachen zeigt sich bei ihnen, indem sie schnell ein- und ausatmen.

Wozu dient den Schimpansen der Humor?

Sie unterhalten sich und heitern sich auf. Sie signalisieren mit Lachen aber auch, dass sie es nicht ernst meinen, wenn sie mit gefletschten Zähnen auf einen Artgenossen zuspringen. Damit trainieren sie spielerisch den Kampf.

Gibt es auch sonst Humor im Tierreich?

Dazu gibt es wenig Forschung. Aber wir können davon ausgehen, jedenfalls lachen auch Ratten. Das kann man mit einem Fledermausdetektor erkennen, der Töne in sehr hoher Frequenz erkennt.

Wie bringt man Ratten zum Lachen?

Sie lachen beim Spielen. Aber man kann sie auch kitzeln.

Zurück zum Menschen: Haben auch Menschen Humor, die an Depressionen leiden?

Das hängt vom Schweregrad der Depression ab. Humor kann in einer Therapie helfen, sich zu reflektieren und die negative Gedankenspirale zu durchbrechen.

Warum sind so viele Komiker depressiv?

Weil sie zu wenig verdienen? Nein, im Ernst: Humor ist kein Risikofaktor für eine Depression. Lachen heitert eher auf. Komiker müssen aber in allem eine Diskrepanz finden. Dann fällt ihnen auch eher auf, wie viel in der Welt schiefläuft. Und natürlich gibt es auch Humor, der sich gegen einen selbst richtet.

Wann ist Humor ungesund?

Es gibt Spott, Schadenfreude und diskriminierende oder abwertende Witze. Wer Humor fies statt spielend einsetzt, kann anderen schaden.

Wie können Psychotherapeuten mit Humor arbeiten?

Oft ist es sinnvoll, wenn Therapeuten Lebensfreude und Lockerheit zeigen, schliesslich sind sie auch eine Art Vorbild. Bei der Behandlung von Phobien gibt es Therapieansätze, in denen die Angst des Patienten gnadenlos übertrieben wird, damit er merkt, wie unbegründet sie ist. Niemand kann lachen und gleichzeitig Angst haben.

Können Sie ein Beispiel machen?

Eine Therapeutin behandelt einen Patienten, der grosse Angst vor Spinnen hat. Sie stellt ein kleines Bild einer Spinne in dem Abstand von zehn Metern vor den Patienten und mutmasst dann, wie er sich jetzt fühlen muss: Schweissausbrüche, zittrige Hände, Herzrasen? Der Patient wird dann vermutlich erklären, dass es so schlimm dann doch nicht ist.

Und das wirkt?

Naja, es braucht eine Vertrauensbasis zwischen dem Patienten und der Therapeutin. Hat der Patient das Gefühl, ausgelacht zu werden, wird es nicht funktionieren.

Wie wirken Lachyoga oder Lachseminare?

Gemeinsam zu lachen, tut vielen Menschen gut. Dann spricht nichts gegen solche Lach-Treffs. Aber es gibt keine Studien, die zeigen, dass solche Interventionen langfristig tatsächlich positive Effekte haben.

Was bringt der Clown im Krankenhaus?

Humoristen nehmen den Schrecken vor einer Operation und verbessern die Stimmung. Man kommt auf andere Gedanken. Aber was Lachen tatsächlich mit der Gesundheit macht, ist noch weitgehend unerforscht. Manche Studien sagen, humorvolle Menschen lebten länger. Andere sagen, das stimme nicht.

Was glauben Sie?

Ich finde, es kommt weniger darauf an, wie lange man lebt, als vielmehr, wie gut.

Gibt es eine Art bester Witz der Welt?

Meine Erfahrung zeigt: Egal, welchen Witz man nimmt, die meisten Leute finden ihn nicht lustig. Für meine Forschung habe ich mit einem Witzkatalog gearbeitet. Immer wieder bekam ich die Rückmeldung, dass er zu wenig lustig sei. Ich bat meine Probanden also, Witze aufzuschreiben, die sie besonders glatt fanden, und legte den angepassten Katalog den nächsten Studienteilnehmern vor. Resultat: Auch die neuen Witze wurden als nicht lustig eingestuft.

Gibt es Leute ohne Humor?

Es gibt Menschen, die gelernt haben, dass sie überall ausgelacht werden, wo Leute zusammen lachen. Sie meiden Humor, insbesondere wenn er in Gruppen stattfindet. Das heisst aber nicht, dass sie sich nicht erfreuen könnten.

Was ist der älteste Beweis von Humor?

Archäologen haben humorvolle Höhlenzeichnungen gefunden. Auf antiken Vasen gibt es Karikaturen. Sehr alt sind auch Darstellungen von übertriebenen Sexualorganen.

Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag»

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