Donnerstag, März 6

Selenskis Wut während des Gipfeltreffens in Washington kommt zu Hause zwar gut an, die Reihen um ihn werden geschlossen. Doch ein Bruch mit den USA birgt enorme Risiken.

Die Stimmung zwischen der Ukraine und den USA war auch vor dem Treffen der beiden Präsidenten in Washington nicht gut. Doch nach zwei Wochen, in denen Donald Trump viel Sympathie für Russland erkennen liess und umso mehr Druck auf Wolodimir Selenski ausübte, sollte die Unterzeichnung eines Rahmenabkommens über die Ausbeutung von Rohstoffen für Entspannung sorgen. Es kam anders: Die Diskussion im Oval Office eskalierte. So sehr, dass Trump seinen ukrainischen Amtskollegen fast schon aus dem Weissen Haus warf.

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Die fünfzigminütige Pressekonferenz war dabei geprägt von Trumps länglichen Auslassungen, in denen er seine eigenen Fähigkeiten als Dealmaker überschwänglich lobte und auf Balance zwischen Kiew und Moskau bedacht war. Selenski wirkte zunehmend ungeduldig über die Unverbindlichkeit des Amerikaners und versuchte, Trump zu klaren Aussagen über Sicherheitsgarantien oder zu einer Parteinahme zu verleiten.

Das Gespräch eskalierte in dem Moment, da sich Vizepräsident J. D. Vance einmischte und Selenski ihn fragte, was Diplomatie gegenüber jemandem wie Putin bewirken könne, der sich an keine Verträge halte. Daraufhin überzog Vance den Ukrainer mit Vorwürfen und warf ihm vor, keine Wertschätzung für die amerikanische Hilfe zu zeigen: «Haben Sie ein einziges Mal Danke gesagt?» Auch Trump sagte danach wütend, Selenski solle endlich dankbarer sein.

Die Ukrainer im Stolz getroffen

Dass Selenski darauf wütend und unsouverän reagierte, ist kein Zufall. Bereits 2023 hatten polnische Forderungen nach mehr Dankbarkeit zu Verstimmungen geführt. Der ukrainische Präsident steht an der Spitze eines Landes, das sich seit drei Jahren gegen einen übermächtigen Feind verteidigt. Er ging nicht als Bittsteller nach Washington, wie dies Trump von ihm erwartet hatte, sondern als Partner. Nach dem Treffen mit Trump setzte Selenski Posts auf X ab, die man als trotzig oder gar leicht ironisch verstehen kann: Er dankte den Amerikanern, dem Präsidenten und dem Kongress überschwänglich. Eine Entschuldigung lehnte er hingegen ab.

Die herablassende Behandlung durch die Amerikaner hat die Ukrainer tief in ihrem Stolz verletzt. Sie führen ihren Verteidigungskrieg mit dem Selbstverständnis, nicht nur sich, sondern den Westen ganz allgemein vor der Aggression durch die Feinde der Freiheit zu schützen. Selenskis wichtigster Berater verglich sein Land nach dem Treffen mit der letzten Bastion des Lichts, welche die Welt gegen die Kräfte der Dunkelheit verteidige. Dieses Pathos fühlen viele Ukrainer ehrlich. Dass Trump Selenski vorwarf, er provoziere einen dritten Weltkrieg und spiele mit dem Leben von Millionen, ist eine bittere Täter-Opfer-Umkehr.

Emotional unterstützen die Ukrainer deshalb Selenskis Haltung. Seine Zustimmungswerte sind seit Jahresbeginn um 5 Punkte auf 57 Prozent gestiegen, massgeblich wegen Trumps Angriffen. Auch in den sozialen Netzwerken stellen sich viele normalerweise kritische ukrainische Journalisten und Aktivisten demonstrativ hinter den Präsidenten. Die meisten Kommentatoren glauben, dass Trump seinen ukrainischen Amtskollegen unter Druck setze, weil er gegen Putin keine Hebel in der Hand habe. Manche glauben sogar, der Amerikaner habe Selenski im Oval Office bewusst eine Falle gestellt.

Dabei bestand das Misstrauen gegenüber den USA bereits vor Trumps Amtsantritt. Ende 2024 sah nur gerade ein Viertel die Amerikaner als Alliierte. Zwei Drittel betrachteten sie lediglich als «notwendigen Partner». Umso mehr befindet sich nun die Meinung im Aufwind, die Amerikaner hätten seit 2022 nie genug Hilfe geleistet und die Ukrainer stets unterschätzt. So sprach auch Selenski am Freitag die Einschätzung der amerikanischen Geheimdienste an, wonach Kiew nach Kriegsbeginn höchstens zwei Wochen Widerstand hätte leisten können. Die Desillusionierung über die zögerliche Politik der Biden-Jahre hatte sogar dazu geführt, dass sich erstaunlich viele von Trump einen Befreiungsschlag erhofften.

Dass sich dieser rhetorisch nun so eindeutig an die Seite Moskaus stellt und die Ukrainer so hart kritisiert, löst in Kiew Schockwellen und Ratlosigkeit aus. Der polnische Strategieexperte Slawomir Debski zitierte einen ukrainischen Kollegen mit den Worten, er brauche Trump nicht, damit ihn dieser zwinge, Regionen abzugeben, die Armee zu verkleinern und einen Nato-Beitritt aufzugeben. «Falls er sich Putin ergeben wollte, würde er gleich nach Moskau gehen, nicht nach Washington.»

Kritik an Selenski

Das Dilemma der Ukrainer ist dabei riesig. Zwar glaubt inzwischen fast die Hälfte der Menschen im Kriegsland, dass eine Verhandlungslösung inklusive schmerzhafter territorialer Konzessionen kaum mehr abwendbar ist. Doch politisch würde wohl keine Regierung ein solches Abkommen überleben. Ausserdem führt Russlands brutale Kriegsführung und kompromisslose Haltung dazu, dass die Ukrainer weiterkämpfen, weil sie anders keine Zukunft für ihr Land sehen.

Die Armee des Landes bleibt unbesiegt, die Front ist nicht kollabiert. Deshalb betonen die Ukrainer trotzig, dass sie auch ohne amerikanische Waffenhilfe weiterkämpfen könnten. Doch sie wissen, dass der Blutzoll drastisch steigt, wenn Luftverteidigungssysteme wie die Patriots und moderne Waffen an der Front keine Munition mehr haben. Wie gross das Risiko eines Bruchs mit Washington ist, zeigte sich am Freitagabend, als Trumps Regierungssprecherin ankündigte, dass die USA ein sofortiges Ende der Lieferungen von militärischen Hilfsgütern prüften. Gleichentags stellten sie ihr Reparaturprogramm für das ukrainische Energiesystem ein.

Angesichts dessen, was auf dem Spiel steht, wundern sich auch proukrainische Experten, weshalb sich Selenski provozieren liess. Er habe sich mit diesem Verhalten keinen Gefallen getan. Innerhalb der Ukraine weichte bisher nur der Kiewer Bürgermeister Witali Klitschko, ein politischer Gegner Selenskis, die Einheitsfront vorsichtig auf. «Heute ist nicht die Zeit für Emotionen. Wir brauchen Gemeinsamkeiten», schrieb er auf X in Anspielung auf den Eklat von Washington. Die Beziehungen zu den USA seien zu wichtig.

Gleichzeitig stand Selenski vor der Reise nach Washington auch unter Druck anderer Oppositionsgruppen, die davor warnten, Trump könne die Ukraine mit dem Rohstoff-Deal über den Tisch ziehen. Die Abhängigkeit von einem antiukrainisch und teilweise kolonialistisch auftretenden Weissen Haus hatte die politischen Optionen für den ukrainischen Präsidenten deshalb schon vor dem Besuch im Oval Office stark reduziert. Der Eklat hat die Lage nun aber für sein Land stark zugespitzt.

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