Die deutsche Wirtschaft lechzt nach Arbeitskräften. Gleichwohl haben erst 22 Prozent der in Deutschland lebenden Ukrainer im erwerbsfähigen Alter einen «richtigen» Job. Was läuft da schief?

«Es muss jetzt über zwei Jahre nach Kriegsbeginn der Grundsatz gelten: Arbeitsaufnahme in Deutschland oder Rückkehr in sichere Gebiete der Westukraine»: Mit diesem Satz gegenüber der «Bild am Sonntag» über die ukrainischen Flüchtlinge hat Alexander Dobrindt, Vorsitzender der konservativen CSU-Landesgruppe im Bundestag, unlängst viel Kritik auf sich gezogen, selbst aus den Reihen der Schwesterpartei CDU. Zugleich hat er aber einen Nerv getroffen. Je länger sich der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und die wirtschaftliche Flaute in Deutschland hinziehen, je aufgeheizter das politische Klima nach der Europawahl und vor den Landtagswahlen in Ostdeutschland wird, desto mehr bröckelt der Konsens über die Unterstützung der Ukrainer.

Von Anfang an Bürgergeld

Laut Ausländerzentralregister lebten im April 2024 rund 1,3 Millionen ukrainische Staatsangehörige in Deutschland. Davon sind über 1,1 Millionen erst nach dem Einmarsch der Russen als Flüchtlinge ins Land gekommen. Im Gegensatz zu Geflüchteten aus anderen Regionen der Welt mussten sie kein Asylverfahren durchlaufen, um in Deutschland leben und arbeiten zu dürfen. Diese Sonderbehandlung auf Basis eines EU-Beschlusses wurde unter anderem damit begründet, dass eine derartige Menge an Asylverfahren einen enormen bürokratischen Aufwand bedeutet hätte, obwohl wegen der Kriegssituation jeder Asylantrag am Ende bewilligt worden wäre.

Damit durften die Ukrainer vom ersten Tag an arbeiten. Sie haben zudem, wenn sie nicht arbeiten oder nicht genug verdienen, seit Juni 2022 Anspruch auf Bürgergeld (damals noch «Hartz IV»). Das Bürgergeld ist die deutsche Form der Sozialhilfe, die auch einheimische Langzeitarbeitslose erhalten. Derzeit beträgt es beispielsweise für einen alleinstehenden Erwachsenen 563 Euro pro Monat zuzüglich angemessener Kosten für Miete und Heizung. Ein alleinstehender Asylbewerber erhält im Regelfall mit 460 Euro pro Monat (zuzüglich Unterkunft) rund 100 Euro weniger.

Damit seien die Ukrainer aber auch von Anfang an von den Job-Centern betreut worden und Teil der Förder- und Forderstrukturen gewesen, sagt Herbert Brücker vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), der Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit, im Gespräch. Deswegen habe das IAB diesen Weg damals unterstützt.

Integration braucht Zeit

Doch auch auf diesem Weg ist die Integration in den Arbeitsmarkt nicht einfach. Zwei Jahre nach der grossen Flüchtlingswelle lebt die Mehrheit der Ukrainer in Deutschland noch immer von Bürgergeld: Im März erhielten laut Daten der Bundesagentur für Arbeit rund 0,7 Millionen Ukrainer Bürgergeld. Davon waren 0,5 Millionen im erwerbsfähigen Alter und hatten Anspruch, weil sie nichts oder zu wenig verdienten. Rund drei Fünftel der Ukrainer im erwerbsfähigen Alter haben somit Bürgergeld bezogen.

Entsprechend gering ist im Gegenzug die Beschäftigungsquote: Im April 2024 waren nur 22 Prozent der Ukrainer im erwerbsfähigen Alter als sozialversicherungspflichtig beschäftigt registriert. Zählt man die Menschen mit geringfügiger Beschäftigung hinzu, mit Mini-Jobs, die den Lebensunterhalt nicht decken, beträgt die Quote 27,4 Prozent.

Das ist zwar mehr als im April und im Mai 2022, als die Quote bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten knapp 14 Prozent und insgesamt um die 16 Prozent betrug. Aber der Anstieg verläuft harzig.

Deutschland liege im internationalen Vergleich im Mittelfeld, hinter Ländern wie Polen, den baltischen Staaten, Dänemark und den Niederlanden, aber vor der Schweiz, Österreich, Frankreich, Italien und Rumänien, erklärt Brücker. Genaue Vergleiche sind wegen unterschiedlicher Methoden bei der Erfassung schwierig.

Im Vergleich zur Flüchtlingswelle von 2015/2016 in Deutschland erfolge die Integration in den Arbeitsmarkt bei den Ukrainern schneller, im Vergleich zu ihrer derzeitigen Integration in Staaten wie Polen oder den Niederlanden langsamer, ergänzt Panu Poutvaara, Ökonom und Migrationsforscher am Münchner Ifo-Institut.

Warum so langsam?

Liesse sich die Integration in den Arbeitsmarkt verbessern, würde das nicht nur den Sozialstaat entlasten und die zuweilen gehässig geführte politische Debatte entkrampfen, sondern es könnte auch den verbreiteten Arbeitskräftemangel lindern und damit die deutsche Wirtschaft stützen. Warum gelingt das bis jetzt nur ansatzweise?

«Bei der Beschäftigungsquote der Ukrainer sind wir immer noch nicht da, wo wir hinwollen», sagt die an der Universität München lehrende «Wirtschaftsweise» Monika Schnitzer. Die Gründe dafür seien personelle Engpässe bei den Job-Centern, fehlende Kinderbetreuung für Mütter mit kleineren Kindern, mangelnde Flexibilität bei der Vermittlung, die ausstehende Anerkennung von Berufsabschlüssen sowie ungenügende Sprachkenntnisse.

Man wisse aber viel zu wenig über diese Mechanismen. Deshalb rät Schnitzer dazu, «dass einige ausgewählte Job-Center in Grossstädten mit Tiefeninterviews herausfinden, warum nicht mehr ukrainische Geflüchtete in Arbeit sind».

Der Mangel an Kinderbetreuungsplätzen erschwert in Deutschland auch einheimischen Frauen die Erwerbstätigkeit, kurzfristige Abhilfe ist nicht in Sicht. Und da rund 0,54 Millionen der insgesamt 0,86 Millionen Ukrainer im erwerbsfähigen Alter Frauen sind (Stand: Mai), viele von ihnen mit Kindern, macht sich dieser Mangel stark bemerkbar.

Zudem verweist auch Brückner unter anderem auf Sprachbarrieren. So lässt sich die hohe Beschäftigungsquote der Ukrainer in Polen wenigstens zum Teil mit der Nähe der beiden slawischen Sprachen und der gemessen an der Bevölkerung grossen Gemeinschaft erklären, die Ukrainisch spricht. In den Niederlanden wiederum sei es einfacher, ohne die Landessprache zu arbeiten, da man in etlichen Jobs auch mit Englisch klarkomme, sagt Poutvaara.

Eine Hürde bildet zudem die hohe Regulierungsdichte in Deutschland. Gerade in den Bereichen Bildung, Kinderbetreuung und Gesundheitswesen, wo grosser Fachkräftemangel herrscht, ist eine Tätigkeit von der Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen abhängig. Das ist ein langwieriger Prozess. Ein pragmatischerer, flexiblerer Ansatz könnte hier helfen. So sollten zum Beispiel ukrainische Ärzte ukrainische Patienten behandeln oder Betreuerinnen aus der Ukraine ukrainische Kinder beaufsichtigen dürfen, auch wenn ihre Qualifikationen noch nicht anerkannt oder ihre Deutschkenntnisse noch ungenügend seien, regt Poutvaara an.

Zwei Strategien im Test

Unter Fachleuten umstritten bleibt die Frage nach der richtigen Strategie zur Integration der Geflüchteten. Grob vereinfacht, stehen sich das «niederländische» und das «deutsche» Modell gegenüber. In der Annahme, dass die Ukrainer nur kurz bleiben würden, verfolgten die Niederlande vor allem zu Beginn die «Work-first-Strategie»: Die Geflüchteten sollten möglichst schnell im Arbeitsmarkt eingesetzt werden, zum Beispiel für kurzfristige Einsätze auf Abruf in Zeitarbeitsfirmen. Dafür wurde auf Sprachförderung und Qualifizierungsprogramme fast völlig verzichtet.

Deutschland hingegen legte den Fokus zunächst auf Integrations- und Sprachkurse mit dem Ziel, die oft gut ausgebildeten Ukrainerinnen anschliessend in adäquaten Jobs einsetzen zu können. Auch im Juni 2024 besuchten laut der Bundesagentur für Arbeit rund 112 000 ukrainische Staatsangehörige einen Integrationskurs, wobei sie während dieser Kurse in der Regel von Bürgergeld leben.

Welche dieser beiden Strategien am Ende erfolgreicher ist, lässt sich bis anhin kaum abschätzen. Obwohl inzwischen viele Ukrainer in Deutschland Sprachkurse abgeschlossen haben, hat das noch nicht zum erhofften starken Anstieg der Beschäftigungsquote geführt. «Der grosse Erfolg ist noch nicht zu sehen, das muss man leider sagen», räumt Schnitzer ein.

Längerfristig könnte der Ansatz gleichwohl Früchte tragen. So schätzt Brücker, dass 60 Prozent der ukrainischen Flüchtlinge langfristig in Deutschland bleiben werden. «Je länger der Krieg dauert, desto mehr Ukrainer werden wohl bei uns bleiben, weil die soziale Integration steigt», sagt er. Für diese sei es besser, zuerst Deutsch zu lernen, um höher qualifizierte Arbeitsplätze besetzen zu können und vor allem die Beschäftigungsstabilität zu sichern.

«Work first» könne natürlich auch funktionieren, doch meistens würden die Menschen dann in prekären, zumeist geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen oder bei Zeitarbeitsfirmen landen. Langfristig seien nach einführenden Vollzeit-Sprachprogrammen wie den Integrationskursen berufsbegleitende, weiterführende Sprachprogramme sinnvoll, um eine nachhaltige Arbeitsmarktintegration zu erreichen. Schnitzer und Poutvaara können sich auch Mittelwege vorstellen, bei denen Geflüchtete einen ersten Job mit parallelen Sprachkursen kombinieren würden.

Zu hohe Leistungen?

Ebenso umstritten ist, ob das Bürgergeld so hoch ist, dass es zu wenig Anreize für die Aufnahme einer Arbeit bietet. Laut Poutvaara sind die Sozialleistungen in Deutschland höher als in den meisten anderen Ländern. Daraus ergebe sich schon eine gewisse Sogwirkung. «Ein niedrigeres Bürgergeld würde die Arbeitsmarktintegration erhöhen, aber hier gibt es Restriktionen des Bundesverfassungsgerichts», sagt er. Ein Mittelweg wäre aus seiner Sicht vielleicht, Geflüchteten in den ersten Jahren niedrigere Sozialleistungen zu zahlen und diese über einen Zeitraum von beispielsweise fünf Jahren langsam auf das Niveau von inländischen Bezügern anzuheben.

Zudem verweist er darauf, dass gerade Menschen mit einer guten Ausbildung und einem hohen Bildungsniveau, wie sie unter den Ukrainern zahlreich sind, höherwertige Arbeitsplätze präferieren. Fänden sie diese nicht, würden sie häufig lieber Bürgergeld beziehen.

Brücker plädiert dafür, von den Erfahrungen mit den Ukrainern zu lernen, auch Asylbewerber aus anderen Herkunftsländern sofort in die Job-Center zu integrieren und die beiden Systeme einander anzugleichen. Über die Höhe der Sätze könne man dann reden. So sieht er die Möglichkeit, die Leistungen für Geflüchtete während der Asylverfahren zunächst geringer zu halten. Gegenüber dem Verfassungsgericht müsste man das aber damit begründen können, dass zu Beginn auch der Bedarf geringer sei.

Dass Ukrainer Bürgergeld erschleichen, indem sie beispielsweise die meiste Zeit in der Ukraine lebten und in Deutschland nur abkassierten, ist nach Einschätzung von Brücker ein vernachlässigbares Problem. Die Empfänger hätten eine hohe Kontaktdichte mit dem Job-Center und müssten Abwesenheiten wie zum Beispiel Heimaturlaube melden. Es gebe keine Berichte aus den Job-Centern, dass es zu Missbrauch in nennenswertem Umfang komme.

Wichtig ist für den IAB-Ökonomen, dass die Job-Center nun signalisieren, dass es Zeit sei, eine Arbeit aufzunehmen, und die Job-Suche Priorität habe. «Und wenn die Leute da nicht mitmachen, kann das wie bei allen anderen Bürgergeldsempfängern auch sanktioniert werden», fügt er an. «Allerdings zeigen die bisherigen Erfahrungen, dass die meisten ukrainischen Geflüchteten sich an die Vorgaben der Job-Center halten.»

Der von der Regierung lancierte «Job-Turbo» sei noch schwierig einzuschätzen, wirke aber in die richtige Richtung: «Die Beratungs- und Vermittlungsdichte erhöht sich, die Job-Center sind zurückhaltender bei der Genehmigung eines zweiten und dritten Sprachkurses, und der soziale Druck zur Aufnahme einer Beschäftigung steigt.» Tatsächlich spiegele sich das schon in den Zahlen: Im März sei die Beschäftigung der ukrainischen Geflüchteten um 9800 und im April um 9000 Personen gestiegen – im Vergleich zu 6400 und 5100 Personen in den entsprechenden Vorjahresmonaten.

Sie können dem Frankfurter Wirtschaftskorrespondenten Michael Rasch auf den Plattformen X, Linkedin und Xing folgen. Den Berliner Wirtschaftskorrespondenten René Höltschi finden Sie auf X und Linkedin.

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