Donnerstag, Oktober 10

Mehr als jeder Dritte schiebt regelmässig Überstunden. Oft verhindert Müdigkeit effizientes Arbeiten. Ein besseres Energiemanagement kann helfen, schneller zum Ziel zu kommen.

In der heutigen Arbeitswelt wird Zeitmanagement oft als Schlüssel zur Produktivität angesehen: Tausende von Ratgebern versuchen uns von Methoden zu überzeugen, mit denen wir unsere Aufgaben noch effizienter bewältigen können. Doch die Realität ist meist ernüchternd: Am Ende des Arbeitstages haben die meisten Beschäftigten das schale Gefühl, den Aufgabenberg wieder nicht geschafft zu haben.

Im Fachjargon spricht man dabei von einer hohen Arbeitsintensität: Gemäss einer Studie des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) berichten 59 Prozent der Schweizer Arbeitnehmer, dass sie ihre Arbeit häufig oder ständig mit einem hohen Tempo erledigen müssen. Schuld daran ist sicher auch der Termindruck, den mehr als die Hälfte der Erwerbstätigen häufig oder ständig spürt. Es gibt zu viel zu tun, zu wenig Zeit dafür und zu starre Terminvorgaben. Um den Arbeitsanforderungen trotzdem gerecht zu werden, arbeiten 36 Prozent der Erwerbstätigen in der Schweiz häufig in ihrer Freizeit. Zeitmanagement scheint also kaum die Lösung zu sein.

Fehlt die Energie, bringt alles Planen wenig

Schon nur das Wort Zeitmanagement ist paradox: Zeit ist eine konstante Ressource, die unaufhaltsam vergeht. Die Vorstellung, Zeit kontrollieren oder gar ausdehnen zu können, erweist sich als Trugbild. Was wir hingegen managen können, ist unsere Energie – eine variable Ressource, die sich erneuern und regulieren lässt. Es ist auch klar, dass es sinnlos ist, Zeit für das Erledigen von Aufgaben einzuplanen, wenn die Energie dafür fehlt.

Das Konzept des Energiemanagements ist weit weniger bekannt als jenes des Zeitmanagements. In der Arbeitswelt geht man davon aus, dass Energie immer vorhanden ist, sonst hilft man mit Kaffee, Energydrinks oder anderen Substanzen mit Suchtpotenzial nach. Dabei ist es normal, dass die verfügbare Energie variiert, je nach Schlafqualität, Gesundheitszustand, Lebensphase und anderen Faktoren. Doch was bedeutet das nun konkret für den Arbeitsalltag? Sollen wir nur noch dann arbeiten, wenn wir gerade ein Energiehoch spüren? Und alles liegen lassen, wenn die eigene Batterie nicht ganz voll ist? Nein, beides ist unrealistisch.

Wenn die innere Uhr anders tickt

Effektives Energiemanagement bedeutet, den Tagesablauf und die Tätigkeiten so zu planen, dass sie mit der Energie übereinstimmen. Idealerweise wird dabei auch der genetisch bedingte Biorhythmus berücksichtigt, der unter anderem die tageszeitlichen Schwankungen der Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit bestimmt.

Dies ist das Forschungsgebiet der Chronobiologie. Grob lassen sich drei Chronotypen unterscheiden: Frühtypen, die frühmorgens wach sind, aber frühabends wieder müde werden, Intermediärtypen, die weder besonders früh noch besonders spät am Tag aktiv sind, und Spättypen, zu denen die Spätaufsteher gehören, die abends fit sind und morgens gerne länger schlafen.

Till Roenneberg, Professor am Zentrum für Chronobiologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, sagt, dass etwa die Hälfte der Menschen in Mitteleuropa gegen ihren eigenen Takt leben muss. Sie leiden unter dem sogenannten sozialen Jetlag, weil ihre innere Uhr anders tickt, als ihre Arbeitszeiten vorgeben.

Vor allem Spättypen müssen oft früher für die Arbeit aufstehen, als ihre innere biologische Uhr vorgibt. Als Folge davon sind sie tagsüber häufig müde. Gibt man Spättypen die Möglichkeit, ihre Arbeitszeiten an ihre innere Uhr anzupassen und im Home-Office später am Tag mit der Arbeit zu beginnen, sinkt der Anteil derer, die sich während ihrer Arbeitszeit müde fühlen, von 71 auf 16 Prozent, wie eine im «Zentralblatt für Arbeitsmedizin, Arbeitsschutz und Ergonomie» publizierte Studie ergab.

Einfache Lösungen gibt es nicht

Zwar kann theoretisch nur knapp die Hälfte der Erwerbstätigen in der Schweiz Home-Office machen. Aber auch für Schichtarbeiter lohnt es sich, die Schichtpläne auf ihren Chronotyp abzustimmen: Wenn nur diejenigen Schichten zugeteilt werden, die mit dem individuellen Chronotyp vereinbar sind, ist der Schlaf besser und länger, und das Wohlbefinden steigt, so eine Studie des Chronobiologen Roenneberg. All das reduziert Fehler und Leistungseinbussen bei der Arbeit, die oftmals durch Müdigkeit entstehen.

Trotzdem ist es eine Illusion, zu glauben, dass wir den übermächtigen Aufgabenberg allein durch das optimierte Nutzen unserer biologisch vorgegebenen inneren Uhr bewältigen können. «Man hat doch immer zu viel zu tun», sagt mein Schwiegervater. Uns bleibt wohl nichts anderes übrig, als das zu akzeptieren. Und zu hoffen, dass uns die künstliche Intelligenz, die Automatisierung und Digitalisierung bald die meisten lästigen Aufgaben abnehmen, so dass wir Zeit und Energie für anderes haben.

Nicole Kopp ist Arbeits- und Organisationspsychologin und Mitgründerin der Beratungsfirma GoBeyond.

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