Gut für Blutzucker, Darmflora und Cholesterinspiegel: Hafer gilt als äusserst gesund. Doch die Aufnahme vieler Nährstoffe, die im Hafer stecken, wird durch die ebenfalls enthaltene Phytinsäure gehemmt. Wie wird man sie los? Und ist das überhaupt nötig?
Leserfrage: Sollte man das Einweichwasser von Haferflocken weggiessen wegen der Phytinsäure, die im Hafer steckt und durchs Einweichen abgebaut wird? Und ist Haferkleie genauso gesund wie Haferflocken?
Winfried Keuthage hält viel von Hafer. So viel, dass der Ernährungsmediziner und Diabetologe sogar mehrere Bücher zu den positiven Auswirkungen des Getreides auf unsere Gesundheit geschrieben hat. «Hafer ist äusserst nährstoffreich und gut verträglich, zahlreiche Studien belegen seine gesundheitsförderliche Wirkung», sagt er. Das liegt zum Beispiel an seinem hohen Ballaststoffgehalt. Keuthage: «Insbesondere das lösliche Beta-Glucan stabilisiert nachweislich den Blutzucker, senkt den Cholesterinspiegel, fördert das Sättigungsgefühl und schützt die Darmschleimhaut.»
Zudem stecken in Hafer viele wertvolle ungesättigte Fettsäuren, reichlich Eiweiss und Mikronährstoffe wie Magnesium, Phosphor, Eisen, Zink und Mangan sowie B-Vitamine, Biotin, Vitamin K und Folsäure. «Bereits 100 Gramm Haferflocken decken mehr als die Hälfte des täglichen Bedarfs an Vitamin B1, Magnesium und Zink», sagt Keuthage und verweist darauf, dass Hafer sich bei der Behandlung von Erkrankungen wie Bluthochdruck, Fettleber, Reizdarm, Fettstoffwechselstörungen und Diabetes mellitus Typ 2 bewährt habe.
All diese Vorteile gelten sowohl für Haferflocken als auch für Haferkleie, die Unterschiede liegen im Detail: «Haferflocken werden aus dem ganzen Korn hergestellt, während Haferkleie nur aus den äusseren Schichten und dem Keimling gewonnen wird.» Weil diese Teile besonders nähr- und ballaststoffreich sind, enthält Haferkleie mehr von dem Ballaststoff Beta-Glucan. Konkret bedeutet das: In 100 Gramm Haferflocken stecken 10 Gramm Ballaststoffe, davon 4,5 Gramm Beta-Glucan. In Haferkleine sind es 15 und 7,5 Gramm. Sollte also lieber die süssliche Kleie statt der nussigen Haferflocken in der Müeslischale landen? «Das kann man frei nach Geschmack und persönlichen Vorlieben entscheiden, beide Produkte bieten grosse gesundheitliche Vorteile», so Keuthage, der allenfalls Menschen mit Diabetes oder erhöhten Cholesterinwerten dazu rät, etwas häufiger zu Haferkleie zu greifen.
Allen Vorteilen zum Trotz haftet Hafer aber auch ein Schreckgespenst an, das durch die sozialen Netzwerke geistert. Dort wird häufig empfohlen, Haferflocken unbedingt vor dem Verzehr einzuweichen, weil sonst ein Nährstoffmangel drohe. Ist da etwas dran?
Haferflocken mindestens zwei Stunden lang quellen lassen
Keuthage schüttelt den Kopf. Hafer enthalte zwar tatsächlich Phytinsäure, welche die Aufnahme von Mineralien wie Eisen, Kalzium, Magnesium und Zink hemmen könne. «Allerdings ist der Gehalt mit etwa 800 bis 1200 Milligramm pro 100 Gramm relativ niedrig.» Entsprechend gibt es keine wissenschaftlichen Belege dafür, dass der Verzehr von Haferflocken allein die Nährstoffaufnahme nennenswert beeinflusst.
Wer trotzdem auf Nummer sicher gehen will, bereits unter einem Nährstoffmangel leidet oder sich vegetarisch oder vegan ernährt, kann den Phytinsäuregehalt von Haferflocken und -kleie durch Einweichen reduzieren. «Dadurch wird das in Hafer enthaltene Enzym Phytase aktiviert, das Phytinsäure abbaut», erklärt Keuthage. Er empfiehlt zum Einweichen Wasser oder fermentierte Flüssigkeiten wie Joghurt und Kefir, weil das saure Milieu den Abbau zusätzlich fördert und die Nährstoffaufnahme verbessern kann.
Egal, wofür man sich entscheidet: Mindestens zwei Stunden sollte das Haferprodukt quellen, die Einweichflüssigkeit kann man bedenkenlos mitessen, weil die Säure nicht nur aus dem Hafer gelöst, sondern ganz zerstört wird. «Kochen ist übrigens keine Alternative, weil die hitzeempfindliche Phytase dabei zerstört wird», sagt der Mediziner. Es ist aber auch völlig in Ordnung, Haferflocken ohne besondere Vorbereitung zu essen. Dazu hat der Mediziner eine klare Haltung: «Die gesundheitlichen Vorteile von Hafer überwiegen mögliche Nachteile durch Phytinsäure bei weitem.»