Dienstag, November 26

1924 wurde die «Radiogenossenschaft in Zürich» gegründet. Es war der Grundstein für den Aufstieg der Stadt zur Radio- und Fernsehmetropole.

Kurz nachdem Adolf Hitler in Deutschland geputscht und Mussolini in Italien die Macht übernommen hat, wird in der Schweiz über den Namen des ersten Deutschschweizer Radios gestritten. Initianten aus der gesamten Deutschschweiz wollen 1923 in Zürich die Schweizerische Radiogenossenschaft gründen, als überregionale Organisation. Mehrere Ingenieure sind dabei, Direktoren der schweizerischen Elektroindustrie, Führungspersonen aus dem Bildungs-, Tourismus- und Bankensektor, aber auch Politiker und Publizisten wie der NZZ-Redaktor Alfred W. Glogg, der 1936 Generaldirektor der SRG wird.

Der Bund will jedoch auf Lokalradios setzen – und knüpft die Vergabe einer Sendekonzession an die Bedingung, einen Namen mit Lokalbezug zu wählen. Deshalb wird am 16. Februar 1924 die Radiogenossenschaft in Zürich (RGZ) gegründet. Zwei Buchstaben machen einen feinen Unterschied: Die Formulierung «in Zürich» soll auf den Sitz, aber nicht auf die Begrenzung des Wirkungsraumes der Genossenschaft verweisen.

«Die Schweiz darf in diesem Kampfe nicht zurückbleiben»

Das Genossenschaftsvermögen wird hauptsächlich für den Bau einer Sendeanlage auf dem Hönggerberg bei Zürich benötigt. Der Sendestart erfolgt am 23. August 1924 mit der Ansage: «Hallo, Radio Zürich!» Die Programme werden über Empfangsgebühren finanziert. Radio Zürich arbeitet eng mit Kulturveranstaltern zusammen, überträgt Konzerte, Opern und Theater. Die NZZ liefert dem Sender Nachrichtenbulletins, Schriftsteller halten Lesungen, oder sie liefern wie Jakob Bürer oder Felix Moeschlin Manuskripte für erste Hörspiele und Hörfolgen. Dazu gibt es Hochschulvorträge und Predigten der Landeskirchen. Politische und religiöse Propaganda und alle Arten kommerzieller Werbung sind verboten. Das Radio soll nicht wie die Meinungspresse polarisieren.

Nach der Gründung weiterer Radiostationen in Bern und Basel zeigt sich, dass die Empfangsgebühren nicht für drei qualitativ hochstehende Programme in der Deutschschweiz reichen. Gleichzeitig geht der Trend im Ausland hin zu sendestarken «Propagandasendern», wie die RGZ-Genossenschafter 1926 feststellen: «Es darf niemals ausser acht gelassen werden, dass zwischen unsern Nachbarstaaten ein eigentliches Wettrüsten im Bau von mächtigen und immer noch stärkeren Sendern zum Zwecke der Übermittlung von Sprache und Kultur nach dem Auslande im Gange ist. Die Schweiz darf in diesem Kampfe nicht zurückbleiben.»

Lobbying für den Standort Zürich

Mit der Gründung der SRG 1931 als nationale Dachorganisation für sprachregionale Landessender korrigieren die Behörden ihre Radiopolitik. In der Deutschschweiz produzieren die drei bestehenden Radiostudios fortan gemeinsam das Programm für den Landessender Beromünster. Nach der Machtübernahme Hitlers 1933 wird die Abgrenzung von Propagandasendern noch wichtiger.

Schon in den 1930er Jahren befasst sich die RGZ intensiv mit dem Fernsehen – 1939 erklärt der Genossenschaftspräsident Hermann Gwalter, man brauche einzelne Räume des Radiostudios für das Fernsehen «schneller, als wir erwarteten». Es werde schon im Winter möglich sein, «in der Nähe des Studios Fernsehsendungen zu empfangen». So schnell geht es dann aber nicht. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs stoppt weitere Investitionen in die zivile Nutzung der Fernsehtechnologie.

Erst 1952 startet die SRG ihren Fernsehversuchsbetrieb im zugemieteten Zürcher Studio Bellerive. Ab 1958 wird der TV-Betrieb konzessioniert, womit sich der Konflikt um die Standortwahl für das Deutschschweizer Studio zuspitzt. Die SRG-Generalversammlung entscheidet sich knapp für Basel. Die Bundesbehörden setzen sich jedoch darüber hinweg und bestimmen Zürich 1959 als Standort – wohl auch dank dem Lobbying der RGZ.

Streit um die Anstellung eines linken Journalisten

Mit dem zentralisiert aufgebauten Fernsehen verändert sich die Rolle der RGZ grundlegend. 1966 in Radio- und Fernsehgenossenschaft in Zürich (RFZ) umbenannt, will sie das Radio als Gegenpol zum Fernsehen profilieren. Der Ausbau der wöchentlichen Lokalsendungen auf tägliche Angebote soll für Nähe zum Publikum sorgen.

Die Einführung der täglichen Regionaljournale am 23. November 1978 ist ein Meilenstein der Lokalberichterstattung. Das Regionaljournal Zürich-Schaffhausen durchläuft Anfang der 1980er Jahre eine turbulente Zeit: Die Berichterstattung über die Zürcher Jugendunruhen sorgt für eine bisher ungekannte Beachtung der Lokalsendungen. In der politisch aufgeheizten Stimmung geraten das Regionaljournal und die Radiodirektion DRS ins medienpolitische Kreuzfeuer.

1982 kommt es zum offenen Streit um den Journalisten Balz Hosang, der die Leitung des Regionaljournals am Radiostudio Zürich übernehmen soll. Hosang ist SP-Mitglied, weshalb der RFZ-Vorstand unter dem freisinnigen Publizisten Oscar F. Fritschi seine Anstellung blockiert. Es gehe, so erklärt Fritschi, nicht um «Zweifel an der journalistischen Qualität des Bewerbers», sondern vielmehr um «Bedenken in Bezug auf die politische Ausgewogenheit». Die Auseinandersetzung mobilisiert, und innert Wochen verdoppelt sich die Mitgliederzahl der RFZ auf über 3000. Die ausserordentliche Generalversammlung vom 16. Dezember 1982 stützt den Vorstand – und Hosang wird nicht angestellt.

Aufbau einer Konkurrenz zur SRG?

Ebenfalls für Unruhe sorgen damalige Pläne des Bundesrates, das faktische Radio- und Fernsehmonopol der SRG in der Schweiz zu brechen. RFZ-Mitglieder, welche die SRG als zu links kritisieren, planen ein teilweise kommerzielles Lokalradio. Doch eine Mehrheit der Mitglieder der RFZ ist grundsätzlich gegen Werbung und eine Konkurrenzierung der DRS-Programme. Damit wird das Feld den Privatradios überlassen, die ab 1983 auf Sendung gehen, zuerst der legalisierte Piratensender Radio 24 von Roger Schawinski.

Die RFZ hat heute keine Ambitionen mehr auf eine direkte Beteiligung an der Programmgestaltung. Sie wahrt kritische Distanz zur SRG und nimmt vor allem eine Brückenfunktion zwischen der Bevölkerung und dem Medienunternehmen wahr, für den Service public. Diese integrative Rolle gewinnt für die SRG mit zunehmender Kommerzialisierung des Radio- und Fernsehmarkts an Bedeutung. Das mag erklären, weshalb die 2008 in Radio- und Fernsehgenossenschaft Zürich Schaffhausen umbenannte Trägerschaft kontinuierlich wächst. Heute zählt sie rund 6000 Mitglieder. Ihre Präsidentin Cécile Bachmann möchte die Mitgliederzahl weiter erhöhen.

Die Voraussetzungen dafür scheinen günstig zu sein: Der mit Gebühren finanzierte Service public der SRG steht politisch so stark wie schon lange nicht mehr unter Druck.

Edzard Schade lehrt als Medien- und Kommunikationsforscher an der Fachhochschule Graubünden und der Universität Zürich. Eine akustische Vertiefung in die hundertjährige Genossenschaftsgeschichte bieten fünf Podcasts, welche die RFZ in Auftrag geben hat: https://srgzhsh.srgd.ch/ueber-uns/geschichte/

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