Mittwoch, März 12

Claudio Zanetti hatte einen Beitrag eines Deutsch-Israelis geteilt. Dieser verfolgt die Vorgänge in Zürich mit Interesse.

Die sozialen Netzwerke sind kein rechtsfreier Raum. Doch wo genau liegen die Grenzen zur Strafbarkeit? Mit dieser Frage sieht sich der Zürcher SVP-Politiker und Altnationalrat Claudio Zanetti konfrontiert.

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Zanetti hat wegen eines Beitrags auf der digitalen Plattform X, dem ehemaligen Twitter, Post von der Zürcher Staatsanwaltschaft erhalten. Diese wirft ihm Diskriminierung und Aufruf zu Hass vor, also einen Verstoss gegen die Anti-Rassismus-Strafnorm im Sinne von Art. 261bis StGB.

Die zuständige Staatsanwältin hat Zanetti mitgeteilt, dass die Strafuntersuchung vor dem Abschluss stehe. Sie werde Anklage gegen ihn erheben. Der Brief der Staatsanwaltschaft liegt der NZZ vor.

Zanetti ist sehr aktiv auf X. Er zählt über 26 000 Follower und hat bis heute eine Viertelmillion Beiträge gepostet. Das sind eigene Äusserungen, aber auch sehr viele Posts von Dritten, die er unkommentiert teilt. Es war einer dieser Reposts, welcher ihm die Strafuntersuchung eingebracht hat.

«Leicht verständliche Bildsprache»

In der von ihm geteilten Meldung ist eine Zeichnung zu sehen. Darin zertrümmert eine Faust, die mit der israelischen Fahne dekoriert ist, ein Hakenkreuz in den palästinensischen Farben. In der Mitteilung stehen zudem die Sätze «Nie wieder ist jetzt!» und «Komme, was wolle».

Was an dieser Nachricht diskriminierend oder ein Aufruf zu Hass sein könnte, erschliesst sich Zanetti nicht. «In leicht verständlicher Bildsprache wird lediglich zum Ausdruck gebracht, dass Israel (. . .) eine kriminelle Organisation/Ideologie bekämpft, die erklärtermassen seine Vernichtung zum Ziel hat», schreibt der SVP-Mann in einer Stellungnahme.

Der Post richte sich offensichtlich gegen die Hamas. Diese habe am 7. Oktober 2023 das grösste Verbrechen an der israelischen Zivilbevölkerung seit dem Holocaust verübt. Es sei absurd, die Zerschlagung eines Hakenkreuzes als rechtswidrigen Gewaltakt zu qualifizieren.

Ein bekannter Twitter-Fall vor Gericht

Ob man für das Teilen einer Nachricht auf Twitter/X belangt werden kann, ist eine Frage, die im Kanton Zürich schon einmal juristisch behandelt wurde.

2016 befasste sich das Bezirksgericht Zürich mit einer Nachricht, die ein Journalist der «Wochenzeitung» retweetet hatte. In der Meldung wurde der Thurgauer SVP-Politiker Hermann Lei als «Hermann ‹Dölf› Lei» bezeichnet. Lei reichte in der Folge Strafanzeige gegen den Journalisten ein, weil er sich in die Nähe des Nationalsozialismus gerückt sah.

Der Fall war für die Schweiz ein Novum – noch nie hatte sich ein Gericht mit Retweets auseinandergesetzt. Das Bezirksgericht Zürich nahm in der Folge eine umfangreiche strafrechtliche und zivilrechtliche Beurteilung vor.

Es kam zu dem Schluss, dass die Weiterleitung der Nachricht durch den Journalisten zivilrechtlich eine Persönlichkeitsverletzung darstelle. Aus strafrechtlicher Sicht aber sprach das Gericht den Mann frei. Ein Retweet sei eine für das Medium typische Verbreitungskette. Wer sich nur als Verbreiter betätige und nicht als Autor, könne strafrechtlich nicht belangt werden.

Ein Freipass für die Weiterleitung aller möglichen Inhalte ist dies aber nicht. Das Bezirksgericht erwähnte in seiner schriftlichen Urteilsbegründung, dass es bei der Straffreiheit eine wesentliche Ausnahme gebe: Sie gelte nicht bei harter Pornografie, Gewaltdarstellungen – und Rassendiskriminierung.

Dazu liegt ein Bundesgerichtsurteil von 1999 vor. Ein Buchhändler hatte ein Werk eines Holocaust-Leugners beworben und verkauft. Das oberste Schweizer Gericht kam damals zu dem Schluss, dass der Buchhändler sich damit strafbar gemacht habe. Er könne sich nicht darauf berufen, dass er selbst nicht der Autor des Werks sei.

«Mein Kampf» im Gazastreifen

Die Nachricht mit der Faust und dem Hakenkreuz, die Claudio Zanetti auf X geteilt hat, stammt von Arye Sharuz Shalicar.

Shalicar ist ein deutsch-israelischer Politologe, Podcaster und Schriftsteller, der für die israelische Regierung arbeitet und Sprecher der israelischen Armee ist. Auf X hat Shalicar über 44 000 Follower; sein Post mit der Faust und dem Hakenkreuz ist knapp 450 Mal geteilt worden, auch von mehreren Personen, die wie Zanetti offenbar in der Schweiz zu Hause sind.

Die Zeichnung stamme nicht von ihm, sagt Shalicar im Gespräch mit der NZZ. Er habe sie auch nur weitergeleitet. Dass Zanetti wegen des Bildes Probleme erhalten habe, sei nicht aussergewöhnlich. «In Israel sehen wir, dass es auf der Welt sehr viele engagierte Menschen gibt, die sich gegen Antisemitismus einsetzen. Leider wird auch auf juristischem Weg versucht, diese Menschen einzuschüchtern.»

Shalicar betont, dass man die Zeichnung nicht überinterpretieren solle. Es gehe nicht darum, einer Gruppe pauschal ein Etikett umzuhängen. «Mit dem Hakenkreuz in den Palästinenser-Farben sind genauso wenig alle Palästinenser gemeint wie mit der Faust mit der Israel-Fahne alle Israeli», sagt er.

Gleichzeitig sei es eine Tatsache, dass Hitler und der Nationalsozialismus in Teilen der arabischen Welt und auch unter den Palästinensern bis heute als antisemitische Vorbilder verehrt würden. «Im Gazastreifen wurden sogar Exemplare von Hitlers ‹Mein Kampf› gefunden», sagt Shalicar. Die Symbolik mit dem Hakenkreuz sei somit nicht falsch.

Die SVP kritisiert die Staatsanwaltschaft

In Zürich hat die Angelegenheit mit Zanettis Post auf X die Politik erreicht. Seine Partei liess diese Woche im Kantonsparlament eine Erklärung verlesen, in der sie die Staatsanwaltschaft kritisiert. Der Verdacht liege nahe, dass die Toleranzschwelle der Behörden bei SVP-Politikern deutlich tiefer liege als bei anderen. Es handle sich um eine offensichtliche und undemokratische Verpolitisierung des Justizapparates.

Die Zürcher Staatsanwaltschaft schreibt auf Anfrage, sie sei dazu verpflichtet, Strafanzeigen zu behandeln und entsprechende Untersuchungshandlungen durchzuführen. Im Zweifelsfall sei sie auch verpflichtet, Anklage zu erheben und dem Gericht die Würdigung des Sachverhalts zu überlassen. Es gelte die Unschuldsvermutung.

Es ist nicht das erste Mal, dass die SVP der Staatsanwaltschaft vorwirft, mit unterschiedlichen Ellen zu messen.

2013 beschimpfte ein Mann einen Zürcher SVP-Kantonsrat per E-Mail aufs Übelste. Typen seines Kalibers gehörten an die Wand gestellt und den Fischen in der Limmat zum Frass vorgeworfen, schrieb der Absender dem Politiker.

Als der SVP-Kantonsrat bei der Zürcher Staatsanwaltschaft eine Anzeige einreichen wollte, wurde er abgewiesen. Der SVPler werde nur als Politiker, nicht als Mensch abgewertet, sagte der zuständige Staatsanwalt gemäss einem damaligen Bericht in der NZZ. Eine Drohung liege angesichts der Vagheit der Äusserung nicht vor.

Der Politiker liess das nicht auf sich sitzen und ging vor Obergericht. Dieses gab ihm recht und wies die Staatsanwaltschaft an, Ermittlungen aufzunehmen.

Der SVP-Politiker, um den es damals ging, war Claudio Zanetti.

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