Montag, September 30

Kinder und Jugendliche sollen ihre Smartphones in der Schule nicht mehr benutzen dürfen. Für diese Forderung gibt es gute Gründe. Aber ein von oben verfügter Bann wäre falsch.

Eine Oberstufenklasse im Zürcher Oberland. Es ist die erste Stunde des Tages, die Teenager sind erst halb wach. Bis schlagartig Leben in sie kommt. Mit dem, was die Lehrerin unterrichtet, hat dies wenig zu tun. Der Unruheherd ist schnell gefunden. Die Handys im Hosensack einzelner Schüler. Offensichtlich schickt man sich Nachrichten hin und her.

Es ist eine unheimliche Kraft, die von diesem kleinen Gerät ausgeht. Nun ist die Klasse hellwach, fokussiert auf die Lausejungen. Die Lehrerin versucht es mit gutem Zureden und allen möglichen Argumenten. Irgendwann greift sie zu einer drastischen Massnahme und zieht die Handys ein. Grosses Lamentieren, niemand konzentriert sich mehr auf den Unterricht.

Die Szene ist einige Jahre her, aber auch heute gibt es sie jeden Tag an Schweizer Schulen zu bestaunen. Szenen wie diese sind der Grund, warum viele Eltern nach Aktionismus verlangen – ihre Forderung: Nehmt den Schulkindern diese Geräte weg!

In der Politik wird bereits ein Handyverbot für Jugendliche gefordert. Italien hat zum Schulstart ein flächendeckendes Verbot von Smartphones in den Schulen des Landes verfügt. Es gilt für alle Altersstufen, von der Grundschule bis zur Sekundarstufe. In amerikanischen Gliedstaaten werden soziale Netzwerke «zum Schutz der Jugend» eingeschränkt. Derweil will Schweden die Digitalisierung im Klassenzimmer gerade zurückdrehen. Primarschüler sollen dort wieder gedruckte Bücher lesen, Bildschirme gibt es für Schulanfänger keine mehr.

Stets dreht es sich um die gleiche Frage: Wie viel Bildschirm verträgt die Kindheit?

Einmal davon abgesehen, dass in erster Linie die Eltern dafür verantwortlich sind, ob und wann ihr Nachwuchs mit einem Smartphone ausgestattet wird, liefert auch die Wissenschaft immer mehr triftige Argumente, um gegenüber Smartphones skeptisch zu sein.

Die ständige Nutzung von digitalen Medien und Spielen kann bei Kindern und Jugendlichen zu enormen Schäden in deren Entwicklung führen. Kinder, die häufig am Gerät hängen, bewegen sich weniger, was zu Fettleibigkeit und motorischen Defiziten führen kann. Auch nimmt die Fähigkeit ab, sich in andere hineinzuversetzen.

Mit zunehmendem Alter wird die Sache auch nicht einfacher. Selbst Erwachsene können wegen eines dauerhaften Internetkonsums an einer permanenten «Aufmerksamkeitszerstäubung» leiden, wie der amerikanische Netzexperte Nicholas Carr schon vor fünfzehn Jahren herausgefunden hat. Der Professor bekundet selbst Mühe mit dem Lesen ganzer Bücher.

Vollends beängstigend ist das Ausmass, das Cybermobbing angenommen hat. Gemäss einer Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ist hierzulande fast jede zweite jugendliche Person zwischen 12 und 19 Jahren auf dem Handy mit sexuellen Absichten belästigt worden. Und fast jede dritte erlebte laut derselben Studie Cybermobbing.

Nicht immer dreinreden

In Zürich wollen Kantonsräte der SVP und der EDU vom Regierungsrat wissen, an welchen Schulen bereits solche Verbote existieren. Die gleichen Fragen stellt das Thurgauer Kantonsparlament (auch wieder die SVP), wo man bereits «Bildungsziele gefährdet» sieht. Und auch in Luzern wird über eine Smartphone-Verbannung diskutiert. Dort stört man sich unter anderem an der «uneinheitlichen Handhabe» an den einzelnen Schulen. Man wünscht sich eine «kantonale Vereinheitlichung».

Der Tenor ist gesetzt. Am liebsten hätte man ein von oben herab verordnetes Handyverbot.

Ein generelles Verbot einzuführen, ist allerdings der falsche Weg. Denn er widerspricht den Grundpfeilern der Volksschule: dem Föderalismus und der Schulautonomie. Das Schweizer Schulwesen funktioniert von unten herauf. Es braucht weder neue Gesetze noch Verordnungen. Was es braucht, sind autonome Schulen, die einen grossen Handlungsspielraum haben und das Problem von sich aus angehen.

Mit Verboten von oben herab wird den Schulen aber gerade die Möglichkeit genommen, selbst zu handeln. Vernünftige Lehrerinnen und Schulleiter haben mittels Schulordnung längst ihre eigenen Spielregeln für das Smartphone eingeführt. Vielerorts ist die Nutzung bereits heute im Unterricht oder auf dem Schulareal verboten oder stark eingeschränkt. Dass das Gerät während des Unterrichts auszuschalten ist, gilt an vielen Schulen längst als selbstverständlich.

Ein Beispiel ist die Schule Würenlos im Kanton Aargau. Dort dürfen die Kinder ihr Handy zwar weiterhin in die Schule mitbringen, es darf aber während der Schulzeit, dazu gehört auch die grosse Pause, nicht sichtbar sein. So will die Schule das Recht auf Eigentum wahren, ähnlich halten es viele andere Schulen.

Würenlos hat schon vor über einem Jahrzehnt diese Regeln für sich definiert. Wer sonst kennt die Bedürfnisse und Gegebenheiten besser als die Praktiker vor Ort? Ein generelles Verbot ist auch deshalb Unsinn, weil es gerade nicht berücksichtigt, wie die Situation an einer Schule konkret aussieht. Auch Ausnahmeregeln für bestimmte Schulprojekte, Exkursionen, Klassenlager oder Krankheiten müssen spezifisch definiert werden können.

Ein Handyverbot ergibt deshalb nur dann Sinn, wenn Schulleiterinnen und Lehrer dieses mittragen, ob aus Überzeugung oder aus Pragmatismus. Entscheiden soll, wer unmittelbar davon betroffen ist – und nicht irgendeine Instanz, die mit dem Schulalltag nichts zu tun hat.

Natürlich stehen auch die Schulen in der Pflicht. Es sind unangenehme Entscheide, manche Eltern dürften Widerstand leisten. Aber wer derlei Beschlüsse am liebsten vom Kanton verantworten und kommunizieren lässt, entmündigt sich selbst. Dann muss man sich nicht wundern, wenn Schulleiter und Lehrer zunehmend von höheren Ebenen zu Vollzugsbeamten herabgestuft werden.

Eine Schule fürs Leben

Wer mit Teenagern zusammenlebt, weiss: Wenn diese mitmachen, ist das Leben einfacher. Damit also eine Schulordnung umgesetzt wird, darf eine entscheidende Gruppe nicht vergessen werden: die Schülerinnen und Schüler.

Gemeinsam erarbeitete Regeln werden von den Schülerinnen und Schülern eher befolgt als generelle Verbote. Dies fand jüngst auch die Solothurner Regierung, als sie zu Handyverboten befragt wurde. Verbote können bekanntlich sogar kontraproduktiv sein. Wenn der Reiz des Verbotenen zu einer versteckten Nutzung verleitet, verfehlt ein Verbot komplett seine Wirkung.

Die Lösung ist simpel und dürfte jedem Pädagogen einleuchten. Regeln sollten gut begründet werden, Argumente gilt es anzuhören. Wenn die Jugend bei den Handyrichtlinien einbezogen wird, lernt sie, Eigenverantwortung zu übernehmen.

Der Elefant im Raum betrifft aber die Freizeit. Kinder und Jugendliche verbringen immer mehr Zeit an Bildschirmen. Über drei Stunden unter der Woche und rund fünf Stunden am Wochenende, wie eine Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften zeigt. Viele Eltern haben längst kapituliert. Ein Eindruck aus der Praxis des damaligen Schulpräsidenten von Rapperswil-Jona, wo seit Jahren ein Handyverbot gilt: Manch Eltern seien froh über das Verbot, weil dadurch ein heikler Diskussionspunkt mit den Kindern entfalle.

Man kann das als Erziehungsversagen werten. Und man kann das bedauern. Was dies aber vor allem zeigt: Die digitalen Geräte gehören zur Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler dazu. Es wäre darum absurd, an der Schule etwas grundsätzlich verbieten zu wollen, was im Alltag omnipräsent ist.

Die Schule hat allerdings die Aufgabe, Kinder lebenstüchtig zu machen. Der Umgang mit dem Smartphone ist am Ende nichts anderes als eine neue Kulturtechnik, gleich dem Rechnen, Lesen oder Schrei­ben. Im Lehrplan wird verlangt, dass Schüler Medien für das Lernen nutzen. Dazu gehören auch Handys.

Es geht nicht darum, ein iPhone bedienen zu können, was wohl längst jeder Erstklässler kann. Vielmehr ist es zentral, den Nachwuchs über die Gefahren von Tiktok und Co. aufzuklären. Gerade auch was problematische Filme und Bilder angeht, hilft ein Verbot sowieso wenig. Statt in der grossen Pause wird solches Material einfach nach Schulschluss verschickt. Entscheidend ist darum, dass die Jugend lernt, wie sie sich online verhalten soll und, vor allem, wie sie sich schützt.

Schweden macht die Kehrtwende

Den richtigen Umgang mit den Geräten glaubte man in Skandinavien gefunden zu haben. Schweden huldigte in den vergangenen Jahren einem Technikkult, der dazu führte, dass Kleinkinder lernten, Tablets zu bedienen, noch bevor sie laufen konnten. Schulbücher wurden ausgemustert. Vergangenes Jahr kam unter der neuen konservativen Regierung die Kehrtwende. Nun sollen die Bildschirme aus der Primarschule verbannt und wieder Bücher gekauft werden.

Die Schweiz ist nicht Schweden, hier hat die Digitalisierung des Unterrichts gerade erst begonnen. An der Volksschule benutzt jede zweite Schülerin und jeder zweite Schüler einen Computer, wie Umfragen zeigen. Von einer naiven Digitalisierungswelle kann also keine Rede sein. Aber auch Schweizer Wissenschafter und Ärzte fordern, dass die Bildschirme aus der Primarschule verschwinden.

Das ist die Lage an den Schulen: Der Kanton stellt neue Computer ins Klassenzimmer, um die Digitalisierung voranzutreiben. Und kaum sind die Rechner hochgefahren, trudeln E-Mails ein, die vor den Gefahren des Internets warnen.

Die Schule war immer schon ein Spiegel der Gesellschaft. Und diese verändert sich konstant. Die Schulen haben entsprechend gelernt, damit umzugehen. Verbote von oben helfen dabei wenig.

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